Samstag, 11. August 2012

Noctambule III: Verzweifelte Anya

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Anya bekam kaum noch Luft. Sie war im Höchsttempo am Ufer des Flusses entlang gerannt, wobei sie immer wieder inne gehalten hatte, um das Wasser anzustarren und irgendwo nach leblosen Körpern Ausschau zu halten. Es war nicht einfach zu laufen, denn das Ufer war nass, rutschig, schlammig und zum Teil musste sie sogar einen Umweg machen, weil das Ufer zu steil und das Dickicht zu dicht war.


Am anderen Ufer hatte sie einen Karren mit zwei Männern gesehen, die wohl auf dem Weg zur Feldarbeit waren, doch diese waren bald abgebogen und Anya hatte den Wagen aus den Augen verloren und ihre Konzentration wieder dem Ufer gewidmet, zumal die Strömung des Flusses Miriams Körper sicher nicht auf die andere Seite geschwemmt hätte. Durch die Krümmungen des Flusslaufs hätte Miriam auf dieser Seite angespült werden müssen, doch Anya fand keine Spur.
Die Verzweiflung lähmte Anyas Denken. Ihre Brüste schmerzten und ihr Körper brannte von den Anstrengungen der Nacht. Schließlich musste sie stehen bleiben und einsehen, dass diese Suche keinen Zweck mehr hatte. Sie hatte eine sehr weite Strecke zurückgelegt und irgendetwas drängte sie immer stärker, wieder zurückzukehren. Anya glaubte nicht mehr daran, Miriam hier zu finden. Aber der Ort, wo sie ihr Kind das letzte Mal gesehen hatte, zog sie fast magisch an.
Schluchzend kehrte sie um und rannte die ganze Strecke wieder zurück, immer wieder zum Wasser blickend. Der Morgen brach bereits an und das beginnende Tageslicht brannte in ihren Augen und auf der Haut. Anya kümmerte sich nicht darum, doch als sie endlich den Ausgangspunkt wieder erreicht hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie einen Unterschlupf brauchte.
Nirgendwo hatte sie einen Platz entdeckt, der sie ausreichend vor der aufgehenden Sonne schützen konnte. Flussaufwärts ließ der Baumbestand deutlich nach und machte großen Feldern Platz. Dort musste sie gar nicht erst suchen. Schließlich kroch Anya unter die kleine Brücke und kauerte sich dort im Schatten zusammen. Sie zitterte am ganzen Körper und die Verzweiflung ließ sie immer wieder aufschluchzen.
Alles in ihr wehrte sich gegen den Gedanken, dass Miriam und Raoul tot waren. Doch so schlimm es auch war, mit jeder Stunde schwand die Sorge um Miriam und machte der verzweifelten Angst um Raoul Platz. Anya kam nicht zur Ruhe. Während hin und wieder einige Menschen die Brücke passierten, sich dabei unterhielten und lachten, hockte sie im schmalen Schattenstreifen unter der Brücke am feuchten Ufer, die Beine fest an sich gezogen und am ganzen Körper zitternd.
Hin und wieder schlief sie erschöpft ein, doch wenn der Schatten weit genug gewandert war und die Sonne ihre Haut traf, wachte sie auf und rutschte ein Stück weiter in den Schatten zurück. Immer, wenn sie Stimmen und Schritte hörte, spannte sich ihr Körper an, bereit zur Flucht oder zum Angriff. Doch keiner der Menschen kam auf die Idee die Böschung zum Ufer hinunter zu klettern. Niemand bemerkte die verzweifelte junge Frau, die sich unter ihnen zusammenkauerte.
Als endlich die Abenddämmerung einsetzte, waren Anyas Augen dunkelrot und schmerzten höllisch von der Helligkeit des Sonnenlichts, das sie den ganzen Tag ertragen hatte. Dunkle Ringe hatten sich unter ihren Augen gebildet und offensichtlich lähmte der Stress auch ihre Selbstheilung massiv.
Ihre tropfenden Brüste hatten längst ihre Kleidung durchnässt und sie roch die Muttermilch so stark, dass sie glaubte, jeder müsse sie hier unten nur durch den Geruch entdecken. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die nächsten Schritte, die sie mit Einbruch der Dämmerung tun sollte. Doch wo sollte sie noch suchen? Wo könnte ihr Baby nur sein, wenn es nicht ins Wasser gefallen war?
Natürlich kam auch die Möglichkeit in Betracht, dass man Miriam überfallen und beide verschleppt hatte. Aber wohin? Musste sie in der Stadt suchen oder eher außerhalb? Alleine der Gedanke, dass irgendwelche Verbrecher nun einen Tag Vorsprung hatten, machte sie fast wahnsinnig. Doch sie würde diesen Vorsprung aufholen, sobald sie eine Spur hatte. Nur wo sollte sie diese Spur finden?
Als die Sonne endlich unterging und die Menschen sich bereits in ihre Häuser zurückzogen, kroch Anya unter der Brücke hervor und richtete sich auf. Sie würde die nähere Umgebung absuchen und jedes Haus kontrollieren. Vielleicht konnte sie irgendwo Miriams Stimme oder Raouls Weinen hören.
Während sie sich konzentriert auf den Weg machte, befiel sie mit plötzlicher Wucht eine heftige Unruhe und wütende Aggression breitete sich in ihr aus. Irgendetwas war geschehen, aber sie wusste nicht, warum sie sich dessen plötzlich so sicher war. Und ebenso sicher war sie sich, dass sie gerade die falsche Richtung einschlug, weshalb sie auf dem Absatz kehrt machte und zurück lief. Ihre Mordlust war mit einem Schlag geweckt und ihr Puls beschleunigte sich massiv. Anya war sich plötzlich absolut sicher, dass ihr Kind lebte. Sie wurde atemlos ohne gerannt zu sein und schlug mit langen Schritten den Weg zu einigen Häusern ein ohne zu wissen, warum ausgerechnet diese Häuser ihr Ziel sein sollten. Sie wusste nur noch eines: Egal wer ihr Kind in den Händen hatte, er würde sofort sterben, wenn es nicht gerade Miriam war.

1 Kommentar:

  1. Ahhhh.. Die Mutter Kind Bindung ist also stärker als Anyas Taubheit. Raouls "schreien" dringt doch zu ihr durch. Wenn auch nur dumpf und undeutlich.

    Jetzt wird es für die junge Familie wirklich brenzlig. Ich denke nicht, dass Anya Beherrschung aufbringen kann, wenn sie ihr Kind in deren Händen sieht.
    Ich bezweifle sogar, dass ein anwesender Armand in der Lage wäre sie zu stoppen.

    Wer kommt nun zuerst dort an? Und wie geht das aus?

    Und hoffentlich kann man sich dann in Ruhe darauf konzentrieren Miriam zu finden.

    LG
    Joe

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