Donnerstag, 2. August 2012

Noctambule III: Das Findelkind

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Jules Rozier eilte mit langen Schritten und ernstem Gesicht auf sein Haus zu. Er war sicher, dass seine Frau sich des Kindes annehmen würde, das sich durch seine Körperbewegung und seine Wärme wieder beruhigt hatte. Es musste eine Fügung des Schicksals sein, dass er dieses Kind genau in dem Moment gefunden hatte, in dem es seiner Frau so schrecklich schlecht ging, weil sie ihres verloren hatte.


Findelkinder gab es oft genug in diesen schlechten Zeiten. Doch meistens wurden sie vor der Tür einer Kirche oder eines Klosters abgegeben.
Dass dieses Kind nun ausgerechnet unter einem Busch am Rande seines Arbeitsweges abgelegt worden war, musste Gott so gewollt haben. Ein leises Lächeln legte sich in sein Gesicht. Wer auch immer dieses Kind vielleicht vermissen könnte, niemand würde wissen, wo es nun war und Manon könnte es wie ihr eigenes aufziehen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er nicht einmal wusste, ob es ein Junge oder Mädchen war. Aber das war auch nicht das wichtigste. Hauptsache war doch, dass seine Frau wieder lächeln würde.
Als er die Tür öffnete und sich unter dem Türrahmen bückte, drehte Manon sich erschrocken herum und starrte ihren Mann mit offenem Mund verständnislos an. Die beiden Mädchen waren bereits aufgestanden und Manon hatte gerade heißes Wasser fertig, um es in den kleinen Bottich zu schütten, wo die Mädchen sich morgens wuschen. Auch sie starrten ihren Vater überrascht an, denn es war noch nie vorgekommen, dass er umgekehrt und zurück gekommen war.
"Was ist passiert?" platzte Manon beunruhigt heraus. Jules lächelte leicht und kam an den Tisch, auf dem noch die Reste seines Frühstückes standen und der gleich der Ort des gemeinsamen Frühstücks seiner drei Frauen gewesen wäre. Vorsichtig öffnete er den Umhang und legte das kleine Bündel auf den Tisch.
"Jemand hat es unter einem Busch ausgesetzt. Es hat geweint, wohl weil es Hunger hat und fror." berichtete er kurz in die verblüffte Stille hinein. Fragend musterte er Manon, die erst kreidebleich wurde und dann sofort feuchte Augen bekam. Nachdem das Neugeborene aus dem wärmenden Umhang geholt worden war, öffnete es nun die Augen und verzog das kleine Gesicht. Winzige Fäustchen streckten sich hoch, die kleinen Beinchen zogen sich an und es stieß einen langen, weinerlichen Schrei aus.
Sofort kam Bewegung in Manon. Sie trat an den Tisch, hob das Bündel hoch und presste es an sich.
"Du armes Kind! Ach Gott, es ist noch keine Woche alt, schau doch nur!! Ach, du armes Kind, du bist ja eiskalt!" stieß sie aus und trat an das wärmende Feuer während sie es beruhigend wiegte. Die beiden Mädchen traten neugierig näher und bestaunten die kleinen Fäustchen, die sich wild bewegten. Manon hob den Blick fragend zu Jules, der ihr lächelnd zunickte.
Ein kleines, zögerndes Lächeln zitterte in ihren Mundwinkeln. Beide hatten sich ohne Worte verstanden. Sein Nicken bestätigte ihre Hoffnung, das Kind einfach behalten zu dürfen und nicht zur Kirche bringen zu müssen, wo man es in das Waisenhaus stecken und unter ärmlichen, harten Bedingungen groß ziehen würde.
Von diesem Augenblick an blieb Jules unbeachteter Beobachter. Fürsorglich öffnete Manon den Stoff, der das Kind noch halbwegs umhüllte und strich zärtlich über die zarte Haut des Bauches, an dem die Nabelschnur noch hing. Für Manon war das ein weiteres Indiz für das Alter des Babys, das nun heftig mit den kleinen Beinchen strampelte und zu hungrigem Geschrei anhob. Doch das Schreien störte Manon nicht. Sie hob den Blick zu ihrem Mann und lächelte ungläubig.
"Ein Junge." murmelte sie leise, was Jules durch das Schreien kaum hören konnte. Mit ruhigem, konzentriertem Ton begann sie nun, ihren Töchtern Aufgaben zu erteilen.
"Anna, setz frisches Wasser auf und hol Handtücher. Wir müssen es vorsichtig baden und die Nabelschnur vernünftig abbinden. Nicht dass es noch krank wird. Julie, ich brauche frische Ziegenmilch. Lauf zum Nachbarn und bitte um einen kleinen Krug. Anna, wenn du fertig bist, müssen wir eine Flasche finden. Das Kind muss trinken und ich weiß noch nicht, wie.. ich kann ihm ja nicht die Brust geben. Ja, Julie, nimm diesen Krug, lauf nur schnell!"
Jules hatte das Gefühl, plötzlich in einem summenden Bienenschwarm zu stehen. Seine Anwesenheit war offensichtlich vergessen. Manon floss sichtbar über vor mütterlichen Gefühlen für dieses Findelkind und die Mädchen hasteten los, um ihre Aufgaben zu erledigen. Vergessen war der gewohnte Alltag, Frühstück und Waschen war nicht mehr wichtig. Jules beobachtete mit andächtigem Lächeln, wie seine Frau sich zärtlich über das strampelnde Kind beugte und es zu trösten versuchte.
"Heilige Maria, wie blass du bist!" murmelte sie mitfühlend, denn die Blässe war für sie ein untrügliches Zeichen dafür, dass es dem Kind sehr schlecht gehen musste. Anna hatte neues Wasser in den Kessel geschüttet und diesen über das Feuer gehängt. Nun goss sie das andere, etwas abgekühlte Wasser, das eigentlich für die Mädchen bestimmt gewesen war, in den Bottich und beobachtete, wie ihre Mutter das Kind über das Wasser hielt. Manon tauchte es nicht hinein, sondern schöpfte nun vorsichtig Wasser, um das Kind damit zu beträufeln und abzureiben.
"Warum badest du es nicht, Maman?"
"Es ist noch zu klein. Man badet ein Kind immer erst dann, wenn die Nabelschnur abgefallen ist." erklärte Manon ruhig und ließ sich lächelnd von ihrer Tochter helfen. Jules sah stumm zu, bis ihm einfiel, dass er zu spät zur Arbeit kommen würde, wenn er sich nun nicht beeilen würde. Noch einmal prägte er sich das Bild seiner Frau ein, die mit ihrer ältesten Tochter die Köpfe über dem Kind zusammen steckte und leise erklärte, wie man ein Neugeborenes pflegte. Dann drehte er sich glücklich lächelnd um und verließ das Haus. Dieser Tag war ein guter Tag.

1 Kommentar:

  1. Da warten noch einige Überraschungen auf die kleine Familie.

    Ich bin so gespannt, ob Anya oder Armand ihnen wohlgesonnen sein werden, wenn sie sie erst finden. Denn, dass sie das Kind wiederfinden daran habe ich keinen Zweifel. Sie werden nicht aufgeben und irgendwann werden die mentalen Kräfte des Kleinen erwachen, so er nicht den Makel von seiner Mutter geerbt hat.

    Doch wie nun weiter? Die neue Mutter wird das KInd mit hinausnehmen wollen und feststellen, dass es jämmerlich verbrennt, selbst wenn man es nur im Schatten hält.
    Waren Pigmetstörungen und Sonnenallergie damals schon bekannt? Was wird man vermuten, wenn das Kind die ersten spiten Zähnchen bekommt? Wie schnell werden Vampirbabys überhaupt erwachsen?

    Da ist noch viel im Busch und Anya wird so um ihr Kind bangen, wenn sie erst wieder am Mäuerchen angelangt ist.

    Wie selbstüchig und zugleich doch großherzig Jules ist. Vielleicht packt ihn ja doch noch irgendwann das Gewissen.

    Aber wir werden sehen...

    LG
    Joe

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