Montag, 27. August 2012

Noctambule III: Sie fressen deine Seele

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die kleine Kirche Saint Marthe gehörte noch zu dem Außenbezirk der Stadt und vor nicht all zu langer Zeit erst erbaut worden. Abbé Jean Partise hatte keine besonders große Gemeinde, um die er sich kümmern musste. Im Grunde war er froh darüber, denn seine alten Knochen schafften keine großen Strecken mehr ohne bei der Ankunft im Hause seiner Schäfchen erst einmal erschöpft zusammen zu sacken.


Nachdem er sein ganzes Leben lang nur in kleinen Dörfern gelebt hatte, war seinem Versetzungsgesuch in die Nähe einer Stadt entsprochen worden und Jean war mehr als glücklich über diese neue Kirche. Die wenigen Menschen hier waren brav und gottesfürchtig. Sie brachten ihm Achtung und sehr bald auch Zuneigung entgegen, erschienen artig jeden Sonntag zum Gottesdienst und die Beichten brachten so gut wie nie skandalöse Dinge ans Tageslicht.
Eigentlich wollte Jean auch gar keine Skandale mehr in seinem Bezirk. Die Beichten, die er regelmäßig abnahm, verschafften ihm einen willkommenen Einblick in das Familienleben seiner Gemeinde und halfen ihm, die Menschen besser einzuschätzen. Mit seiner Lebenserfahrung genügte ihm das vollkommen, um entsprechend auf die Menschen einzugehen und die Predigten vorzubereiten.
Ansonsten blieb nicht viel zu tun für ihn. Er pflegte hingebungsvoll einen kleinen Bauerngarten und genoss dort gern die Sonne auf einer Bank, während er über sein Leben oder das Problem einer Beichte nachdachte. Doch nun, nachdem der junge Yanis erneut bei ihm aufgetaucht war, hatte er es für angebrachter gehalten, mit ihm in seine kleine Küche zu gehen, um dort einen Tee zu trinken.
Er betrachtete den aufgewühlten Jungen mitfühlend und mit einigem Unbehagen. Das Thema, welches den schmächtigen Burschen so sehr beschäftigte, war für ihn keineswegs angenehm. Es erinnerte ihn an seine Zeit als junger Mann kurz vor der Priesterweihe, in der er selbst ein Massaker erlebt hatte, das ihn noch heute in unregelmäßigen Abständen in seinen Träumen heimsuchte. Lange Zeit hatte er darüber geschwiegen, bis er eines Tages in alten Kirchenschriften über Geschichten und Darstellungen von fratzenhaften Dämonen stolperte, die ihm bewiesen, dass er keineswegs den Verstand verloren hatte.
"Keiner glaubt mir, Abbé. Die alle halten mich für geistesgestört." seufzte der Junge vor ihm nun und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Jean füllte die Tasse seines Gegenübers erneut mit dem beruhigenden Teeaufguss. Auch er seufzte.
"Sie haben nicht das gesehen, was du gesehen hast. Du darfst es ihnen nicht verübeln. Dein ganzes Leben lang wird dir kaum jemand glauben." meinte er sanft und schob den Teller mit Keksen näher zu Yanis. Doch dieser beachtete sie nicht. Er umklammerte mit beiden Händen die warme Tasse und starrte trübsinnig aus dem kleinen Fenster.
"Es macht mir Angst. Sie können überall sein. Niemand weiß, wie viele es gibt. Niemand weiß, wie man sie bekämpfen kann." knurrte er nun ungeduldig. Jean schüttelte den Kopf.
"Das ist so nicht ganz richtig, Yanis. Man kann sie töten. Doch es ist sehr schwer. Die Kraft Satans ermöglicht es ihnen, sich selbst zu heilen und verleiht ihnen dämonische Kräfte. Aber man kann sie bekämpfen." korrigierte der Pfarrer seinen Gast. Yanis stierte ihn an.
"Habt Ihr das jemals getan, Hochwürden? Habt ihr sie bekämpft? Bringt Ihr es mir bei?" Jean musste lachen und schüttelte den Kopf.
"Nein, mein Sohn. Doch weiß ich es genau. Man muss ihr Herz treffen und sie dann köpfen. Ihre Körper zerfallen im Sonnenlicht zu Staub, doch tun sie das nur, wenn sie schwer verletzt sind. Im Nahkampf sind sie nicht zu besiegen. Eine Armbrust, gezielt eingesetzt, kann sie jedoch leicht zu Fall bringen. Besonders, wenn die Pfeile der Armbrust von Gott geweiht sind." erklärte Jean ruhig, während er sich einen Löffel Honig gönnte, den er nun im Tee verrührte. Yanis sog jedes seiner Worte auf wie ein Schwamm, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
"Aber man muss schnell sein. Sobald sie verletzt sind, muss man sich ihnen nähern und sie enthaupten. Lässt du dir zu viel Zeit, stehen sie wieder auf. Du darfst dich auf keinen Fall von ihnen verletzen lassen. Einmal verletzt, wirst du zu einem von ihnen. Zu einem Geschöpf der Nacht, der ewigen Dunkelheit." Die ruhigen Worte des Priesters verpassten Yanis eine Gänsehaut. Der Junge schüttelte sich angewidert.
"Man darf ihnen nicht in die Augen sehen. Und doch muss ich hinsehen, um richtig zu zielen." Seine Stimme brach verzweifelt. Die Aufgabe erschien ihm nur schwer lösbar. Zu seinem Ärger nickte der alte Mann zustimmend.
"Sie fressen deine Seele, wenn sie in deine Augen sehen. Du wirst ihr Sklave und tust die grauenhaftesten Dinge in ihrem Auftrag." bestätigte Jean ihm nun und schauderte selbst bei diesem Gedanken. Dann beugte er sich vor.
"Dieses Weib Satans, dem du begegnet bist, treibt sich schon lange hier herum. Eine alte Frau redet seit einigen Tagen ununterbrochen davon, in die Augen des Teufels geblickt zu haben. Ihr Sohn ist ganz verzweifelt." raunte er nun leise. Yanis saß mit einem Mal kerzengerade. Seine Nackenhaare stellten sich auf und eisige Luft schien über seine Wirbelsäule zu ziehen.
"Wie heißt sie? Ich muss sie sprechen!" zischte er sofort. Jean zögerte nicht, den Namen preis zu geben, verletzte er doch kein Beichtgeheimnis sondern gab nur Klatsch und Tratsch weiter.
"Bernadette. Die Mutter des Schweinebauern. Du wirst sie bestimmt kennen. Für alle anderen faselt sie wirres Zeug. Ich glaube ihr." Yanis nickte sofort. Atemlos starrte er seinen Gastgeber an und in seinen Augen glomm der Schimmer des Jagdtriebes auf.
"Ich muss mit ihr sprechen. Und ich werde einen Weg finden, dieses Weib zu töten!" versprach er erneut. "So wahr mir Gott helfe!"

1 Kommentar:

  1. Anya ist so jung und hat schon einen Todfeind.

    Yanis geht die Sache sehr besonnen und sehr genau an. Und er hat in dem alten Priester auch noch einen einsichtigen Vertrauten.

    Wenn er tatsächlich zu einem Kämpfer heranwächst, könnte er für die Vampire durchaus eine ernst zu nehmende Gefahr darstellen. Die Arroganz der Vampire, den Menschen überlegen zu sein, könnte gefährlich werden.

    Man hat es ja gerade erst in den Rückblicken gesehen.

    Nun bin ich gespannt, was er sich von Bernadette erzählen lässt. Und hoffentlich - für Miriam - erinnert sie sich nicht zu lautstark an die Vampire, wenn es erst soweit ist. :)

    Lg
    Joe

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