Dienstag, 7. August 2012

Noctambule III: Die herrenlose Tasche

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Der Karren war gerade hinter einer kleinen Baumgruppe verschwunden, als Anya ihren schnellen Lauf stoppte und sich unsicher umsah. Sie war sicher gewesen, dass sie nun den Ort erreicht hatte, an dem sie Miriam mit ihrem Sohn verlassen hatte, doch war niemand zu sehen. Ratlos blickte sie sich um und lauschte, doch der ungepflasterte Weg war leer und nichts war zu hören.


Anya nagte auf ihrer Unterlippe und starrte den Weg entlang. Sie erkannte die kleine Mauer wieder, auf der Miriam sich nieder gelassen hatte. Wo konnten die Beiden nur stecken? Raoul musste doch Hunger haben. Warum also hörte sie sein Quengeln oder Weinen nicht?
"Miriam? Miriam!" Wieder blieb sie lauschend stehen, doch es kam keine Antwort.

Anyas Puls beruhigte sich nicht. Sie war sicher, dass Miriam nicht ohne wichtigen Grund diesen Treffpunkt verlassen hatte. Doch welchen Grund konnte sie gehabt haben? Und wie lange war sie schon weg? Anya beschloss, sich einfach auf die Mauer zu setzen und zu warten. Miriam würde sich beeilen, schnell wieder zurück zu kommen. Anyas besorgter Blick galt nun dem dämmrigen Himmel. Auch Miriam wusste, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Und das Baby brauchte ebenfalls die Dunkelheit.
Besorgt knetete sie ihre Finger und blickte sich immer wieder um. Ihre Unruhe wuchs gleichermaßen wie die Sehnsucht nach ihrem Kind. Noch immer hatte sie nicht die leiseste Ahnung, was Miriam veranlasst haben konnte, fortzugehen. Selbst wenn sie nur kurz austreten gewesen wäre, hätte sie doch schon lange wieder da sein müssen oder doch zumindest ihren Ruf gehört. Aber auch Anyas empfindliches Gehör nahm keinerlei Laut wahr.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und stand auf. Wieder schaute sie unruhig zum Himmel, dann beschloss sie, die Umgebung abzusuchen. Da sie den Weg einsehen konnte und Miriam dort nicht zu sehen war, lief Anya gleich über die Wiese und drängte sich durch die Bäume zum Fluss. Vielleicht hatte Miriam ja einfach nur den Schutz der Bäume gesucht und war mit dem Kind zusammen eingeschlafen. Doch auch hier fand sie nichts. Als ihr Blick suchend das Ufer entlang wanderte, stockte ihre Atmung.
Die Tasche, die Miriam niemals alleine liegen gelassen hätte, lag verlassen auf einem Stein. Hastig kletterte Anya die Böschung hinunter. Die Tasche lag so, wie Miriam sie abgelegt hatte: Ordentlich auf einem Stein deponiert, so dass sie nicht nass werden konnte. Hastig öffnete Anya den Beutel und sah erleichtert, dass Miriam in ihren eigenen großen Beutel die Tasche von Anya hineingestopft hatte. Immerhin waren alle wichtigen Dokumente noch da. Doch trotz der Erleichterung über diese Tatsache wuchs die Sorge massiv.
Wo war Miriam und wo Raoul? Der Kloß in ihrem Hals wurde größer und größer. Sie hörte ihren eigenen Herzschlag in ihren Ohren und der erste Schluchzer kam hervor, als sie die Rutschspuren im Schlamm entdeckte. Was hatte Miriam hier unten gewollt? War sie ausgerutscht und mit dem Baby ins Wasser gefallen?
"Miriam!!" Ihr Schrei hallte ungehört über das Wasser, teilweise verschluckt von dem Rauschen des fließenden Wassers. Bebend presste Anya die Tasche an ihre Brust und starrte den Fluss hinunter. War Miriam ertrunken? Und wenn, hatte sie Raoul mit in den Tod gezogen? Konnte die Strömung des Wassers stark genug sein, beide Körper davon zu tragen? Und wenn das alles wirklich geschehen war, wie lange war es her? Sollte sie nun versuchen, irgendwo am Flussufer einen angeschwemmten Körper zu finden?
Anya wusste, dass sie niemals Ruhe finden würde, wenn sie es nicht wenigstens versuchte. Hier konnte sie nichts weiter ausrichten. Sie musste sich beeilen und zudem dringend einen Unterschlupf finden, bevor die Sonne aufging. Gerade wollte sie sich abwenden, als sie die dunkle Spur auf einem Stein entdeckte. Klopfenden Herzens beugte sie sich darüber. Aufspritzendes Wasser hatte einen großen Teil bereits abgewaschen, doch als Anya mit ihrem Finger durch die dunkle Masse fuhr, wusste sie es schon, bevor sie daran roch. Es war Blut.

1 Kommentar:

  1. Arme Anya!

    Die Dokumente erscheinen auf einmal so unwichtig gegen den Verlust des Sohnes und der Freundin.

    Nun hat sie also Miriams Fährte gefunden und vermutet fürs erste natürlich, dass beide zusammen veruglückt sind.

    Aber wie geht es nun weiter? Findet sie Miriam jetzt? Kann sie die Fährte weiter aufnehmen? Riechen Vampire so gut wie Hunde? Und kann Anya unterscheiden, wessen Blut sie da gefunden hat, ob es Miriams oder Raouls ist?

    Jedenfalls ist sie jetzt erneut auf der Jagd und schon bald wird der quälende Tag kommen, wo sie einen Unterschlupf finden muss und Stundenlang nichts tun kann, als im Versteck zu hocken und zu warten, dass die Sonne sich verzieht.

    In der Zei wird sie viel nachdenken und hoffentlich das richtige vermuten...

    LG
    Joe

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