Montag, 6. August 2012

Noctambule III: Der Körper im Wasser

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Der kleine Fluss war eine natürliche Grenze. Auf der einen Seite wuchs die Stadt und verdrängte mehr und mehr die Natur. Auf der anderen Seite überwog noch die Natur, zumindest, wenn man die Felder mitzählte, die dort bestellt wurden. Nur wenige Bauernhöfe verteilten sich dort über eine große Fläche. Einer davon wurde von den Brüdern Noel und Adolphe seit dem frühen Tod ihres Vaters geführt. Eigentlich waren es drei Brüder, doch der Jüngste der Dreien hatte sich einen anderen Beruf gewählt und keinen Sinn für die Arbeit als Bauer.


Nun, da der Winter vom Frühling besiegt worden war und es bald Zeit sein würde, die Saat auszubringen, mussten die beiden Männer wieder sehr früh aufstehen. Die Zeit der Ruhephase war vorbei. Es war noch dunkel, als die Brüder den Ochsenkarren mit dem Pflug, Hacken, Schaufeln und Proviant beluden, um das erste von etlichen Feldern für die Saat vorzubereiten.
Die beiden sprachen nie sehr viel. Ihre Arbeit war aufgeteilt, jeder konnte sich auf den anderen verlassen und man brauchte nicht viele Worte, wenn man schwere Arbeiten verrichten musste.
Auch an diesem Morgen warfen sie müde ihr Werkzeug in den Karren und spornten den ebenso müden Ochsen an, seine Last zu ziehen. Keiner der Brüder hatte noch Sinn für die Schönheit eines Sonnenaufgangs. Das war Alltag und sie warfen höchstens einen prüfenden Blick in den Himmel, um anhand der Farbe des Himmels oder der Wolken, des Windes und der Farbe der aufgehenden Sonne das Wetter für den Tag zu erkennen. Doch das war meistens nur die Bestätigung dessen, was sie bereits durch den Geruch und Geschmack der Luft und der gefühlten Temperatur wussten.
Doch bis zum Sonnenaufgang würde noch einiges an Zeit vergehen. Jetzt färbte sich gerade mal der Nachthimmel am Horizont in ein sanftes Blau, das nach und nach heller werden würde. Die Nacht war kalt gewesen, doch nun bildete sich Tau auf den ersten zarten Pflanzen, die sich schon aus der Erde wagten. Immerhin konnten die Brüder den Weg mit jeder Minute besser sehen, während sie neben ihrem Ochsen einher stapften.
Der Weg war nicht weit. Wie in jedem Jahr begannen die Brüder mit dem Feld, das nah am Hof lag. Sie erreichten ihren Arbeitsplatz kurz vor Tagesanbruch und wenn sie sich ein wenig beeilten, würden sie vor Einbruch der Nacht fertig sein damit, es umzupflügen. Noel mochte dieses Feld am Liebsten. Es lag am Fluss und da er gerne am Fluss saß und angelte, konnte er sich während der Arbeit immer wieder einmal einen Blick auf das Wasser gönnen und seine Vorfreude nähren, bald einmal wieder Sonntags angeln zu können.
Wie jeder Angler konnte Noel kaum den Blick vom Wasser wenden. Fachmännisch betrachtete er die Wasseroberfläche, musterte Strudel und kleine Strömungen und versuchte, huschende Schatten am Grund zu erkennen, obwohl er wusste, dass es dafür noch viel zu dunkel war.
Doch nun kniff er die Augen zusammen und blieb stehen, um besser durch die Dunkelheit sehen zu können, während sein Bruder stumm begann, die Werkzeuge abzuladen und auf den Boden zu werfen.
"Dolphe, sieh mal! Da schwimmt Stoff!" meinte er und deutete mit dem Finger auf den Fluss. Sein Bruder hob nicht einmal den Blick.
"Sind die Waschfrauen mal wieder verbotenerweise am Fluss?" knurrte er mürrisch und zerrte den Pflug vom Karren. Noel schüttelte den Kopf.
"Nein, dann wären doch Seifenspuren im Wasser." meinte er und ging langsam ein Stück flussaufwärts. Adolphe ließ vorsichtig den schweren Pflug auf dem Boden nieder, seinem Bruder einen unwirschen Blick hinterher werfend.
"In der Dunkelheit sieht man die nicht. Wäre aber nett, wenn du mir mal helfen würdest." maulte er. Doch Noel ging unbeirrt weiter. Dann blieb er ruckartig stehen und stieß einen unflätigen Fluch aus.
"Dolphe! Schnell!" Sein Ruf war so kurz und scharf, dass sein Bruder nun doch aufsah. Er sah, wie sein Bruder startete und hastig am Flussufer entlang spurtete. Auch Adolphe wusste, dass nur ein kleines Stück weiter oben eine schmale Brücke über den Fluss führte. Offenbar hatte sein kleiner Bruder etwas Interessantes entdeckt, doch warum rannte er dann so schnell? Neugierig geworden trat er näher an das Ufer und sah seinem Bruder hinterher.
Noel hatte die kleine Steinbrücke erreicht und rannte hastig hinüber. Am anderen Ufer angelangt, flankte er über die kleine Brüstung und sprang die Böschung hinunter. Schon von weitem hatte er den Körper klar erkannt und beugte sich nun über ihn, packte nach den Schultern und zog ihn höher. Fassungslos starrte er auf das blasse Gesicht der jungen Frau, nachdem er ihren Oberkörper aus dem Wasser gezerrt hatte.
Ganz unbewusst hörte er die eiligen Schritte seines Bruders. Vor ihm lag die hübscheste Frau, die er jemals gesehen hatte, doch nicht nur das, ihre Kleidung war so nass, dass sie wie eine zweite Haut an ihrem Körper lag und jede Kontur nachzeichnete. Noel wusste, dass er irgendwie ihren Puls ertasten musste, doch er wagte kaum, sie anzufassen, um sie nicht unschicklich zu berühren.
Adolphe war weniger rücksichtsvoll. Er hockte sich neben die bewusstlose Frau und presste seine Finger an ihren Hals, wartete einen kurzen Moment und begann dann, sie nach Verletzungen zu untersuchen. Schnell entdeckte er die kleine Wunde am Kopf und teilte die nassen Haare, um sie zu untersuchen.
"Sie lebt noch. Aber sie muss lange hier gelegen haben. Wir bringen sie ins Haus." erklärte er knapp und griff unter den schlanken Körper, um sie hoch zu heben. Noel nickte stumm und kletterte hinter seinem Bruder wieder nach oben. Adolphe trug seine Last ohne Probleme. Die junge Frau war nicht schwer für ihn und bis zum Karren war es nicht weit. Dort legte er sie ab und nickte seinem Bruder zu, der nun den Ochsen antrieb, wendete und den Hof ansteuerte. Keiner der Männer hatte in der Morgendämmerung die Tasche beachtet, die nun unbeachtet und herrenlos am Ufer lag.

1 Kommentar:

  1. Miriam ist gerettet.

    Fürs erste jedenfalls. Sie wird eine fürchterliche Erkältung erdulden müssen und die Folgender Unterkühlung arg spüren. Auch ihr Schädel wird von dem Aufprall arg brummen. Zum Glück hat das kühle Wasser die Blutung vermutlich schneller zum Erliegen gebracht, als es an der Luft passiert wäre. Doch das bleiche Gesicht lässt nichts Gutes vermuten. Wobei das auch einfach Ausdruck ihres bisherigen Lebensstils sein könnte, der sich ja vornehmlich drinnen oder unter Sonnenschirmen abgespielt hat.

    Und es mag ihr Glück sein, dass die beiden Bauern sie gefunden haben. Doch wird das Glück auch mit den Bauern sein?

    Eine Anya auf der Suche nach ihrem Kind wird die Fährte aufnehmn und alles versuchen um ihr KInd zu finden und diejenige die für den Verlust verantwortlich ist.

    Doch noch ist es nicht soweit.

    Auch wenn es unschicklich ist. Sie sollten der armen Miriam das Kleid vom Leib reißen und sie in eine Decke wickeln. Alles ist besser als nasse Klamotten.

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.