Freitag, 10. August 2012

Noctambule III: Hilferuf

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Armand und sein Freund Sergej lagen ausgestreckt in dem schmalen Gang des Erdstalls und versuchten zu schlafen. Der Ort war ruhig und kühl, doch die Kälte störte am allerwenigsten, denn die beiden Männer hatten sich in ihre Umhänge gewickelt und waren auf ihren weiten Wanderungen schon oft genug der Kälte ausgesetzt gewesen.
Armand rührte sich kaum, sondern konzentrierte sich viel mehr darauf, wieder gesund zu werden. Er würde in der kommenden Nacht unbedingt jagen müssen, um wieder zu Kräften zu kommen und auch sein Freund musste Hunger haben. Sergej war wesentlich unruhiger. Immer wieder schlug er die Augen auf und starrte in das trübe Dämmerlicht des Ganges.


Seine Gedanken waren bei Miriam und Anya und der Frage, wo die zwei Frauen nun sein konnten. Er hoffte inständig, dass es ihnen gut ging und sie einfach nur auf der Reise zu Miriams Landgut sein würden.
Sicher verbrachten sie die Zeit am Tag ebenfalls in einem sicheren Unterschlupf. Er wagte jedoch nicht, seinem Freund seine Gedanken mitzuteilen.
Dass Armand sich nach seiner Anya verzehrte, lag auf der Hand. Immerhin trug sie sein Kind unter dem Herz und der Marsch würde sie sehr anstrengen. Sergej bezweifelte, dass Anya in diesem Stadium der Schwangerschaft wirklich in der Lage sein würde, Miriam richtig zu beschützen. Seltsamerweise dachte Sergej nicht eine Sekunde an die Möglichkeit, dass Miriam sich selbst schützen könnte. In seinen Augen war sie einfach nur ein kostbarer, schutzloser Schatz, den es zu behüten galt wie seinen Augapfel. Und jedes Mal, wenn ihn diese Erkenntnis traf, unterdrückte er nur mühsam ein tiefes Seufzen der Sehnsucht nach seiner Miriam und er versuchte, sich auf andere Fragen zu konzentrieren.
Doch ebenso schnell wie er den einen Gedanken verdrängte, zwang sich ihm ein neuer, nicht weniger sorgenvoller auf. Zwar hatte Enrico ihnen versichert, dass keiner der Sanghieri die Frauen gesehen hatte. Aber was war nun, wenn den Frauen ein anderes Leid zugestoßen war? Noch viel schlimmer traf ihn der nächste Gedanke: konnte Anya sich in ihrer Hochphase der Schwangerschaft tatsächlich zurückhalten und in ihrem grenzenlosen Hunger Miriam verschonen?
Die wildesten Bilder schossen an seinem geistigen Auge vorbei, wann immer er wieder die Augen schloss. Also riss er sie immer wieder auf und starrte auf die Öffnung des Ganges, der noch immer vom Sonnenlicht überflutet war und so kein Ausgang mehr war sondern eine schmerzhafte Schranke, die ihn hier zur Tatenlosigkeit verurteilte.
Quälend langsam bewegte sich die Sonne über den Himmel und schien einfach nicht untergehen zu wollen. Endlich trug die Erschöpfung auch Sergej ins Reich der Träume und als er die Augen erneut öffnete und sofort zum Ausgang sah, richtete er sich erleichtert auf. Das Sonnenlicht war verschwunden und matte Dämmerung hatte sich über den Wald gelegt.
Das Geräusch seiner Bewegung veranlasste auch Armand, die Augen zu öffnen und seinen Freund zu betrachten. Als er sich ächzend aufrichtete, stieß er sich sofort den Kopf an der niedrigen Decke, was Sergej ein kurzes Grinsen entlockte.
"Geht es dir besser?" fragte er leise. Armand hielt sich den Kopf und war seinem Freund einen unwirschen Blick zu.
"Bis auf ein paar Kopfschmerzen und steife Glieder ja." murrte er, war jedoch nicht wirklich wütend. Auch er warf nun einen Blick nach draußen.
"Nicht mehr lange und wir können aus diesem Loch heraus." meinte er schließlich erfreut. Sergej nickte und blickte an sich herunter.
"Wir sehen aus wie zwei Landstreicher." meinte er resigniert. Seine gute Kleidung war nicht nur völlig verschmutzt, sondern wie bei Armand auch erheblich zerrissen und formlos geworden. Von Eleganz war keine Spur mehr und da nicht einmal mehr Ersatzkleidung vorhanden war, beschlich ihn zum wohl tausendsten Mal in seinem langen Leben das Gefühl, wieder einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. Doch dazu mussten er und Armand die Frauen finden.
"Ich will so schnell es geht nach Osten. Ich sollte den Weg zum Landgut schon finden können, aber eine nette Jagd zwischendurch wäre mir sehr lieb." erklärte er daher.
Armand wollte gerade antworten, als Sergej heftig zusammenzuckte und das Gesicht verzog. Gleichzeitig flog Armands Kopf zur Öffnung, die Brauen zusammengezogen und de Zähne mit grimmigem Gesichtsausdruck entblößt.
Mit einem Schlag hatten beide plötzlich das alarmierende Gefühl von lauernder Gefahr. In Armand zuckte die Unruhe und der Trieb, sofort hinaus zu stürmen, denn nicht er wurde bedroht. Aber wer oder was bedrohte wen? Gleichzeitig verzog er das Gesicht schmerzhaft und hob die Hände an die Schläfen, obwohl er keinen hörbaren Ton vernahm.
"Was ist das?" stöhnte er und massierte seine Schläfen. Mühsam riss er den Blick von dem Ausgang los und betrachtete fragend seinen Freund. Sergejs Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet, doch glaubte Armand auch ungläubiges Staunen darin zu lesen, was seine innere Unruhe nur noch verstärkte.
"Was ist los, zu Teufel? Sergej, was geschieht hier?!" Er packte seinen Freund am Kragen, bereit ihn zu schütteln, wenn nicht sofort eine klärende Antwort kommen würde. Doch Sergej wandte den Kopf wie in Zeitlupe zu seinem Freund und er musste mehrfach blinzeln, bevor er Armand klar erkennen konnte.
"Das.. war der Hilferuf eines Kindes. Und ich glaube.. deines Kindes." stammelte er kaum hörbar.

Sekundenlang gaffte Armand seinen entgeisterten Freund sprachlos an, nicht in der Lage, seine Gedanken zu sortieren. Dann, wie auf ein stummes Kommando, drängten sich beide Männer fast gleichzeitig aus dem engen Durchgang aus dem Erdstall hinaus und spurteten los.
Noch immer hörte und spürte Armand den Ruf deutlich. Er folgte einfach einem ihm völlig neuen Instinkt, der ihm wie ein Leitfaden durch den Wald führte. Auch Sergej zweifelte offenbar nicht an der Richtung. In höchstem Tempo jagten die Männer nebeneinander her durch den Wald genau auf Marseille zu.
Armand konnte keinen klaren Gedanken fassen. Noch nie in seinem Leben war er einem Vampirkind begegnet und er wusste gar nichts darüber, weil es keinen Anlass gegeben hatte, sich darüber zu informieren. Entsprechend wusste er auch nicht, dass diese Kinder in der Lage waren, telepathisch nach ihrer Mutter zu rufen, wenn sie in Not waren. Dieser Ruf glich dem Notruf der Vampire, doch war er um ein vielfaches eindringlicher und löste in jedem Vampir den Drang aus, zu Hilfe zu eilen, der diesen Ruf vernahm.
Armand dachte nicht weiter darüber nach, wie weit dieser Ruf reichen konnte. Ihm genügte die Tatsache, dass er diesen Ruf vernommen hatte und es lag auf der Hand, dass es nur sein Kind sein konnte. Die Not machte ihn rasend schnell. Anya hatte sein Kind auf die Welt gebracht. Nicht nur, dass er nicht bei ihr hatte sein dürfen, dass er nicht ihre Hand hatte halten dürfen und ihr seinen Stolz und sein Glück hatte zeigen können, nein, offenbar war Anya etwas geschehen und das Kind in großer Not. Und jedes Mal, wenn Armand an diesem Punkt ankam, setzte sein Denken aus und er war bereit, jeden zu töten, der es auch nur ansatzweise wagen würde, sich ihm in den Weg zu stellen.
Er spürte nicht die Zweige, die in sein Gesicht schlugen oder seine Arme zerkratzten. Er hatte keinen Gedanken daran, ob seine Verletzung noch schmerzte oder nicht, er rannte einfach weiter und achtete nicht einmal darauf, ob Sergej mithalten konnte oder zurück fiel. Was auch immer mit Anya geschehen war, er würde es herausfinden. Aber noch wichtiger war sein Entschluss, dass er nie wieder.. nicht ein einziges Mal mehr seine Familie alleine lassen würde.

1 Kommentar:

  1. Wusste ichs doch!

    Die Fähigkeiten des Kleinen sind erwacht und nun braucht er Hilfe.

    Kann auch Anya diesen einen Ruf vernehmen? Oder ist sie auch auf diesem Kanal blind und taub?

    Wer kommt zuerst bei der kleinen Familie an? Ist es Anya, oder ist es Armand? Ich denke, wenn er dort ist, wird das eine harte Sache für ihn? Dort sind zwei kleine Mädchen! Wird Armand in deren Anwesenheit wieder zu Besinnung kommen oder gibt es ein Blutbad?

    Und wenn Armand der einzige ist, der dort ankommt? Dann steht er hilflos mit einem Säugling da. Er weiss nicts über Babys und schon gar nicht über Vampirbabys. Auch er kann nichts tun, als Fremdmilch zu verabreichen und weiß genauso wenig, welche die richtige ist.

    Und Anya wird im schlimmsten Fall weiter auf der Spur von Miriam sein. Dort sollte ihr Sergej zuvor kommen. Sonst wird das mal auf jeden Fall ein Blutbad.

    LG
    Joe

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