Donnerstag, 23. August 2012

Noctambule III: Belle

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Der aromatische Duft des Bratens brachte Miriams Magen zu energischem Knurren. Sie war tatsächlich noch einmal eingeschlafen, doch nun hielt sie es nicht mehr aus, besonders mit diesem verführerischen Geruch in der Nase. Caterine hatte ihr einige Kleider von sich selbst hingelegt.
"Die habe ich immer aufgehoben, weil ich hoffte, doch noch einmal eine Tochter zu bekommen. Damals war ich noch richtig schlank. Ich bin etwas größer als du, aber probier sie ruhig mal an. Und wenn keines passt, dann bringe ich dir das Essen hier in dein Zimmer." hatte Caterine fröhlich erklärt.



Miriam war neugierig auf die Familie, die sie so rührend aufgenommen und gepflegt hatte. Sie wollte sich unbedingt bei den Söhnen für die Rettung bedanken und vor allem hatte sie beschlossen, als Dank wenigstens irgendetwas helfen zu können. Während sie ein Kleid nach dem anderen anprobierte, überlegte sie, was man auf einem Bauernhof helfen konnte. Sie hatte keine Ahnung davon und in ihr schlich sich das beklemmende Gefühl ein, überhaupt keine Ahnung von sich selbst zu haben.
Wie konnte es nur sein, dass sie überhaupt nichts über sich selbst wusste? In dem Spiegel, den Caterine ihr gegeben hatte, schaute sie ein fremdes Gesicht an und doch war es irgendwie vertraut. Sie fand sich hübsch, aber ihre Augen wirkten so traurig. Warum? Nachdenklich strich sie über die weiche Haut ihres Gesichtes. Sie war nicht sonnengebräunt oder rau sondern gepflegt. Woher kam sie nur? Ihr Blick im Spiegel fokussierte sich von der Haut auf die Fingernägel, die auf der Wange lagen. Sie waren weder brüchig noch besonders kurz und auffallend sauber durch die lange Zeit, die sie im Wasser gelegen hatten.
Vorsichtig hob sie ihre Haare an, um die verschorfte Stelle zu betrachten. Die Verletzung war nicht besonders schlimm. Offenbar hatte nur der Schlag auf den Kopf viel mehr verursacht als diesen Kratzer. Seufzend zupfte sie das Kleid zurecht und lief barfuß, weil ihr keine Schuhe passten, hinaus in den Flur.
Immer dem Duft folgend war die Küche leicht zu finden, zumal von dort Stimmen kamen. Schüchtern öffnete sie die Küchentür und betracht den Raum mit fast entschuldigendem Blick. Die Gespräche verstummten sofort und vier Köpfe drehten sich ihr zu. Caterina lächelte sie freudig an und sie erwiderte es scheu, unbehaglich an dem Rock ihres Kleides nestelnd.
Drei junge Männer saßen vor ihr an dem groben Küchentisch. Die verschiedenen Altersstufen waren deutlich zu erkennen. Der offenbar älteste Sohn trug einen Vollbart und hatte unbändige Locken, von denen nun ein Teil verschwitzt an der Stirn klebte. Seine braunen Augen musterten sie freundlich, aber recht unbeteiligt und er grüßte mit einem kurzen Nicken.
Miriam erwiderte das Nicken kaum merklich und musterte nun den Zweitältesten. Der war eindeutig der Größte von den dreien und auch der Kräftigste, was seine breiten Schultern und der massige Körperbau verrieten. Er hatte sich halb zu ihr umgedreht und schien offenbar Gefallen an ihr zu finden, denn seine Brauen gingen anerkennend in die Höhe.
Die auffälligste Reaktion aber zeigte der Jüngste. Miriam erkannte sofort, dass sie einen Nachzügler vor sich hatte, denn er war deutlich jünger als seine beiden Brüder. Er schien recht klein zu sein und wirkte eher schmächtig. Auch war er keineswegs so verschwitzt und schmutzig von der Feldarbeit wie seine Brüder, die sich wohl am Brunnen etwas Wasser in die Gesichter geschüttet hatten, aber weder Zeit noch Lust hatten, sich für die kurze Mittagspause richtig zu waschen. Er musste ungefähr in ihrem Alter sein, doch erkannte Miriam an seinen Augen, dass er wesentlich reifer war, als sie es erwartet hatte. 'Kein Wunder. Bauernkinder müssen früh mit dem Arbeiten beginnen', dachte Miriam und lächelte vorsichtig, denn der Junge gaffte sie unverhohlen mit offenem Mund an.
"Da bist du ja! Darf ich dir meine Söhne vorstellen? Adolphe, mein Ältester. Noel, der Mittlere und Yanis, mein Jüngster." Caterine wuchtete eine große Schüssel mit dampfenden Kartoffeln auf den Tisch und begann, den Braten zu schneiden. "Leider kann ich dich nicht vorstellen, es sei denn, du erinnerst dich wieder? Nein? Nun, dann müssen wir dir einen Namen aussuchen, nicht wahr?" Caterine lachte vergnügt, doch ihre Augen blickten kurz mitfühlend zu Miriam.
"Setz dich doch." lud Noel sie ein und klopfte auf den freien Stuhl neben sich. Zaghaft setzte sich Miriam und faltete die Hände im Schoß.
"Ich möchte mich bei euch bedanken. Ihr habt mir das Leben gerettet." murmelte sie unsicher. Adolphe nahm den Dank mit einem stummen Nicken zur Kenntnis, Noel aber lachte nur, nahm ihren Teller und packte eine große Portion Kartoffeln darauf.
"Keine Ursache. Ich bin froh, dass wir rechtzeitig kamen." Er stieß seinen jüngeren Bruder mit dem Ellbogen an. "Klapp das Maul wieder zu oder stopf es mit Essen, Yanis!" lachte er amüsiert, woraufhin Yanis dunkelrote Wangen bekam und mühsam den Blick von Miriam los riss.
Caterine tischte das Fleisch und die Soße auf und quetschte sich neben Adolphe auf die Bank.
"Wie wäre es mit Belle? Das würde passen, denn du bist ja wirklich eine kleine Schönheit." schlug sie vor und legte jedem Braten auf, während Noel die Soße verteilte. Miriam errötete verlegen und senkte den Kopf. Noel grinste und schnappte sich das grobe Besteck.
"Es muss schon seltsam sein, alles vergessen zu haben, Belle. Aber betrachte es doch mal so: vielleicht hattest du eine wirklich schreckliche Zeit und nun ist sie vorbei. Du kannst ganz von vorne anfangen." er lächelte sie kurz an und konzentrierte sich hungrig auf sein Essen. Miriam versuchte ein vorsichtiges Lächeln, doch sie bemerkte nicht, dass Caterine sie verblüfft anstarrte.
Niemandem außer ihr war es aufgefallen. Aber während ihre Söhne das Besteck mit den Fäusten packten und das Essen in großen Bissen in den Mund stopften, hatte Miriam mit zierlichem Griff Messer und Gabel angehoben und schnitt sich nun kleine Portionen ab, die sie schließlich langsam und mit Genuss aß. Caterine war ihr ganzes Leben lang auf einem Bauernhof gewesen. Aber sie wusste, wann sie eine Bürgerliche vor sich hatte und wann eine Adlige.

1 Kommentar:

  1. Nun kommt also heraus, wen die Bauernfamilie da aufgenommen hat.

    Miriam mag einige Dinge vergessen haben, die ihr vorher, völlig bewusst waren. Aber diejenigen, die ihr unbewusst in Fleisch und Blut übergegangen waren, kann sie nicht verbergen.

    Sie isst, wie eine Dame der Gesellschaft, sie wird sich so bewegen und nicht lange, dann wird herauskommen, dass sie nichts, aber auch gar nichts über Arbeiten im Haushalt oder gar auf einem Hof weiß.

    Dann ist es nicht mehr weit zur Wahrheit. Marseille ist vermutlich auch damals deutlich mehr als ein Dorf, aber viel mehr als ein verträumtes Provinznest ist es ja heute noch nicht und das Verschwinden einer Adligen dürfte damals erst recht Wellen geschlagen haben. Und so wird Caterine schon herausfinden, wen sie da aufgenommen hat.

    Fragt sich aber noch, was sie dann mit diesem Wissen anstellt.

    Wird sie Miriam an ihren Onkel ausliefern? Was wird der mit ihr machen? Lechaivre ist ja nun tot aber dennoch wartet nicht das Leben, welches Miriam sich ausgesucht hat, auf sie.

    Aber nichts hindert sie daran, wieder wegzulaufen, sobald sie sich erinnert. Nur wann das sein wird, ist noch nicht klar. Und auch nicht, ob Sergej dann noch auf dem Landgut auf sie warten wird.

    LG
    Joe

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