Donnerstag, 9. August 2012

Noctambule III: Schock und Hass

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Yanis Chevrier schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Nicht nur, dass er so schnell wie noch nie in seinem Leben gerannt war, um Soldaten der Stadtwache zu finden, er hatte sie auch nur mit Mühe überzeugen können, ihm zu folgen. Dabei hatte er nur eine Mörderin erwähnt, die seinen Bäckermeister getötet hatte, von Blutlachen und unheimlichem Wesen gesprochen. Mehr hatte er nicht gewagt zu berichten, denn dazu brauchte er die Unterstützung des Nachtwächters, der ganz eindeutig zu wissen schien, wovon er sprach.


Doch nun hatte er mit den vier Soldaten den Hof seines Meisters erreicht und traute seinen Augen nicht. Der Tag war bereits angebrochen und das Dämmerlicht des frühen Morgens warf ein gespenstisches, trübes Licht auf den grauenvollen Anblick. Vier Körper lagen im ganzen Hof verteilt, unter dreien von ihnen hatte sich eine große Blutlache gebildet. Die zertrümmerte Tür des Verschlags hing schief in ihren Angeln, die zerrissene Eisenkette hing bewegungslos herunter. Sie hatte längst aufgehört zu pendeln.
Während die Soldaten einige Sekunden fassungslos das Bild betrachteten und dann sofort zu den Leichen liefen, konnte Yanis sich nicht bewegen. Seine Beine zitterten so heftig, dass er befürchtete zu stürzen, wenn er auch nur eines davon anhob.
Die vier Soldaten hatten ihre Gewehre entsichert und vergewisserten sich vom Tod jedes Einzelnen, dann verschwanden sie im Haus. Yanis hörte die Rufe der Soldaten, als sie seinen toten Meister in dem zerstörten Backraum entdeckten. Nun erst begann er sich mit steifen, staksigen Schritten den Toten zu nähern.
Yanis hörte sein eigenes Herz so heftig schlagen, dass es jedes andere Geräusch übertönte. Der Anblick seines Meisters hatte ihn schon zum Würgen gebracht und erneut kam heftige Übelkeit in ihm hoch. Der alte Nachtwächter lag mit unnatürlich verrenkten Gliedern mitten im Hof. Sein Kopf war viel zu weit abgewinkelt und durch den Aufprall auf den Steinen zertrümmert worden. Blut und Hirnmasse verteilten sich auf dem alten Kopfsteinpflaster und die leeren Augen waren voller Entsetzen weit aufgerissen.
Yanis stolperte weiter zu seinem Freund, dem Bäckergesellen. Dieser sah einfach nur schrecklich aus. Die Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, das Gesicht war blau unterlaufen, ebenso die Lippen. Der Mund war geöffnet und die Zunge hing dunkelblau und angeschwollen heraus. Yanis konnte keine äußerliche Verletzung feststellen, doch erkannte er im trüben Licht den völlig zerquetschten Hals, als hätte jemand mit einer stumpfen Waffe brutal auf die Kehle geprügelt. Der junge Geselle war einfach erstickt.
Als Yanis sich zu den beiden anderen Männern drehte, krümmte er sich unter Magenkrämpfen zusammen. Beide Männer hatten völlig zerfetzte Kehlen. Dunkles Blut war aus den Wunden gequollen und hatte die Kleidung durchtränkt, bevor es sich auf dem Boden verteilt hatte. Fleischfetzen und ein Teil der Luftröhre hingen aus den Wunden heraus, bei einem konnte Yanis sogar den weißen Knochen der Wirbelsäule erkennen.
Yanis wandte sich ab, stützte sich mit beiden Händen an der Hauswand ab und erbrach sich. Wieder und wieder zog sein Magen sich in Krämpfen zusammen und obwohl schon kein Mageninhalt mehr hervorgewürgt wurde konnte Yanis nicht aufhören. Seine Beine gaben nach und er sackte zu Boden, wo er endlich erschöpft innehielt und sich mit verschwitztem Gesicht kreidebleich an die Wand lehnte.
Seine Brust sog frische Luft in die Lungen und noch immer krampfte sein Magen. Wie durch einen Nebel hörte er die Gesprächsfetzen der Soldaten.
"Mit welcher Waffe wurden die getötet?"
"Ein Messer war das mal nicht. Die Kehlen sind ja total zerfetzt."
"Eine Gabel vielleicht?"
"Sehr witzig!"
Yanis hob die Hand zu einem Einwand und ließ sie wieder fallen. 'Sie ist ein Vampir! Sie hat sie gebissen!' dachte er nur, doch wagte er nicht, das auch auszusprechen. Man würde ihn auslachen und im besten Fall von Geschwafel im Schockzustand reden. Fiel denen denn gar nicht auf, dass dem Bäcker jedes Blut fehlte und nicht einmal eine Blutlache unter ihm war?
Für Yanis war der Fall sonnenklar. Da drinnen hatte sie ihren Blutdurst gestillt. Hier draußen hatte sie einfach brutal gemordet, um entkommen zu können. Yanis konnte es noch immer nicht fassen. Diese Frau war so klein und zierlich gewesen. Und doch musste sie es gewesen sein, die die Tür des Verschlags zertrümmert hatte. Die Holzsplitter bogen sich alle nach außen und er war doch dabei gewesen, als nur sie in den Verschlag geworfen worden war.
Also hatte dieses Wesen unnatürlich starke Kräfte. Sie hatte mit einem Schlag vier erwachsene Männer getötet, alle miteinander deutlich größer und scheinbar kräftiger als sie selbst. Und nun lief sie da draußen frei herum und würde jeden Moment wieder töten!
Yanis presste zitternd die Faust auf seinen Mund und kämpfte mit seinem Schock, als ihm bewusst war, dass er nun ohne Arbeit und Ausbildung war.
Sicher, seine Brüder würden ihn durchfüttern, bis er etwas anderes gefunden hatte. Allzu viele freie Stellen bei einem Bäcker gab es in dieser Stadt nicht. Aber das war auch nicht mehr wichtig. Yanis beschloss, dieses Vieh zu jagen, das seine Zukunft ruiniert hatte. Aber dafür musste er sich erst einmal informieren. Er musste alles über Vampire lernen, was er finden konnte und das würde sich schon als schwer genug erweisen.
Unter den teils mitfühlenden, teils spöttischen Blicken der Soldaten rappelte er sich wieder hoch und bat um Erlaubnis, nach Hause gehen zu dürfen. Das knappe Nicken des Ranghöchsten genügte ihm schon. Sie wussten seinen Namen und Wohnort. Seine Aussage konnte er jederzeit nachholen. Das blasse, schöne Gesicht dieser Frau hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Er würde sie finden und töten, und wenn es das letzte in seinem Leben sein würde. Doch jetzt brauchte er Ruhe. Er musste seine Gedanken sortieren.

1 Kommentar:

  1. Der Hof muss ja einem widerlichen Schlachtfeld gleichen.
    Anyas Sorge, es könnte mehr als eine überlebende Aussage geben, ist also unbegründet. Und wie Yanis schon richtig vermutet: Es wird ihm wohl nicht so leicht jemand glauben. Der einzige andere, welcher an Anyas verfolgen wollte, diente ihr als Reisesnack.

    Und Yanis meint es also ernst? Er will Vampirjäger werden? Ich habe mich schon lange gefragt, ob und wie vielleicht einzelne Menschen doch den Vampiren gefährlich werden könnten. Und wenn man ihnen vorbereitet begegnet und die Überraschung ausnutzt kann das durchus Gefährlich für die Blutsauger werden.

    Bisher ist Yanis nur ein Bäckerbursche. Kann er Anya gefährlich werden? Man möchte 'nein' sagen und sieht vor dem geistigen Auge das Grinsen der Autorin...

    LG
    Joe

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