Freitag, 24. August 2012

Noctambule III: Die schlechte Nachricht

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III



Alessio Sanghieri stürmte in das Arbeitszimmer und blieb noch in der offenen Tür sprachlos stehen. Vor ihm stand Enrico, schmutzig, müde und bis auf die Haut durchnässt und blickte ihn mit einer Mischung aus Trauer und Respekt an. Als jüngster Sohn hatte Alessio niemals mit der Übernahme des Imperiums seines Vaters gerechnet und seit der Abwesenheit seines Bruders Fabrizio war er überwiegend damit beschäftigt gewesen, sich Einblick in das System zu verschaffen.

Enrico stellte nun überrascht fest, dass aus dem "kleinen" Alessio nun ein erwachsener Mann geworden war, der begonnen hatte, sich an das Delegieren und Geben von Befehlen zu gewöhnen. Nun sammelte sich sein Oberhaupt mühsam, schloss mit einigem Nachdruck die Tür und straffte die Schultern als müsse er sich rüsten gegen schlechte Nachrichten. Und die hatte Enrico allerdings im Gepäck.
"Wo seid ihr gewesen? Wo ist Fabrizio und wo sind die anderen?" fragte er nun und umkreiste Enrico, der sich sofort wie ein Schwerverbrecher fühlte. Nicht zu Unrecht, wie er selbst empfand, denn schließlich hatte er seinen eigenen Freund ins Verderben geführt. Enrico senkte den Kopf und seufzte tief.
"Du weißt, dass dein Bruder die Franzosen zu Nefandii erklärt hat?" fragte er leise. Alessio schnaubte und blieb direkt vor Enrico stehen, seinen Blick massiv in das Gesicht seines Gegenübers bohrend.
"Das sagte er mir. Und er sagte auch, dass er sie jagen wollte. Was ist passiert?" Enrico war erleichtert, dass Alessio sich offensichtlich gefangen hatte und nun eine tiefe Ruhe ausstrahlte. Tief durchatmend stellte er sich dem Blick des Ranghöheren und begann zu berichten.
"Wir haben sie gefunden. Aber dann auch wieder verloren. Es kam zu mehreren Kämpfen und Fabrizio starb. Es tut mir leid, Alessio." Schnappend sog das Oberhaupt der Sanghieri die Luft ein und stierte Enrico an, als hoffe er, sich verhört zu haben. Doch Enrico hielt dem Blick stand. Alessio wandte sich ab, machte einige heftige Schritte durch den Raum und fegte dann mit wütendem Brüllen sämtliche Unterlagen von seinem Schreibtisch.

Noch während die Papiere raschelnd zu Boden segelten griff er zu einem massiven Kerzenständer und warf ihn mit voller Wucht gegen die alte, teure Holzverkleidung an der Wand. Holz splitterte ab, brennende Kerzen flogen durch die Luft und der eiserne Ständer polterte zu Boden. Nur Sekunden später stürmten zwei Männer herein, traten die brennenden Kerzen aus und blickten sich wild um, bevor sie fragend zu Alessio schauten.
"Alles in Ordnung?" fragte der eine irritiert. Alessio nickte und machte eine abwinkende Handbewegung.
"Ja. Lasst uns allein!" blaffte er barsch. Die Beiden verschwanden sofort wieder und schlossen die Tür. Enrico musste feststellen, dass Alessio sich offensichtlich bereits den Respekt der Männer erworben hatte. Er stand halb abgewandt zu Enrico und es war an den bebenden Schultern deutlich sichtbar, dass Alessio nach Fassung rang. Dann drehte er seinen gesenkten Kopf langsam zu Enrico, fixierte ihn mit wütendem Blick und stieß ein leises Fauchen aus.
"Wer hat ihn getötet?" Enrico ließ die Schultern hängen. Das verlief keineswegs so, wie er es sich erhofft hatte. Im Gegenteil, es war schlimmer, als er befürchtet hatte und nun wusste er nicht, wie er die Situation noch retten konnte.
"Armand Sartous, als er seine schwangere Frau retten wollte." stieß er nun aus und hob den Blick von seinen Schuhspitzen, um sich erneut den Blicken Alessios zu stellen. Eine neue, lange Pause trat ein in der das Oberhaupt des Clans den Kopf abwandte und stumpf in das Feuer des Kamins stierte. Enrico wagte nicht, die Stille zu unterbrechen und versuchte sogar, möglichst lautlos zu atmen. Nur das Knistern des Feuers im Kamin war zu hören, für Enrico störend laut. So zuckte er zusammen, als er die schneidende Stimme Alessios vernahm.
"Sie sind noch in Marseille?"
"Das weiß ich nicht. Sie könnten jetzt überall sein." Enrico hoffte, dass der breite Suchradius Alessio von der Hoffnungslosigkeit des Unterfangens, das er zu planen schien, abbringen würde, doch Alessio wandte ihm wieder den Kopf zu.
"Und du bist sicher, dass du keine Ahnung hast, wo sie sein könnten?" Der bohrende Blick erinnerte Enrico so massiv an den alten Sanghieri, dass er zusammenzuckte und seine Tapferkeit, die er Fabrizio gegenüber noch hatte aufbauen können, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
"Fabrizio versuchte in Armand zu lesen. Er konnte nichts herausfinden!" verteidigte er sich nun mit hilflos ausgebreiteten Armen. Alessio starrte ihn prüfend an, nickte schließlich langsam und senkte den Blick.
"Trommle fünfzehn Männer zusammen. Wir werden aufbrechen und sie suchen. Egal, wie lange es dauert!" befahl er knapp. Enrico machte einen kleinen Schritt auf Alessio zu.
"Signore! Die Frau ist schwanger! Das ist nicht richtig! Und die Familie braucht Euch hier! Lasst sie ziehen! Lasst die Alten in mir lesen!" wiederholte er einmal mehr und fühlte sich völlig hilflos. Waren denn nun alle übergeschnappt? Alessio machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Fabrizio hat sie zu Nefandii erklärt! Ich habe das nicht aufgehoben und werde es auch nicht! Tu, was ich dir befohlen habe!"

1 Kommentar:

  1. Das ist aber nun wirklich nicht so gelaufen, wie man sich das vorgestellt hat.

    Die Familie Sanghieri droht sich an der Jagd aufzureiben. Die alte Fehde um den 500 Jahre zurückliegenden Mord an der Tochte/Schwester droht hier noch eine neue Eskalationsstufe zu erreichen.

    Beim letzten Mal, als man auf George hereingefallen war, hatten schon einige Vampire ihre Leben gelassen und es war viel Blut geflossen. Nun sind noch einmal vier Familienmitglieder auf der Strecke geblieben und Alessio sendet 15 weitere Männer in ein ungewisses Schicksal.

    Fast möchte man vermuten, dass dort noch mehr im Busch ist, was den Hass auf Armand schürt. Auch weil sowohl Fabrizio, als auch Alession sich über die, auch unter Vampiren tief verankerte, Unverletzlichkeit des ungeborenen Lebens hinwegsetzen.

    Mir kommt gerade ein Gedanke: Wissen die Sanghieri etwas über die Schwangerschaft und Anyas Besonderheit, was Armand nicht weiß? Kommt daher der ungeheure Drang auch die Schwangere in die Finger zu kriegen?

    Ich bin gespannt was das wird. Aber eine Weile Ruhe werden die Marseiller Vampire schon noch haben. Auch für Vampire dauert die Reise einige Tage.

    LG
    Joe

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