Mittwoch, 24. November 2010

Noctambule: Unerwarteter Besuch

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule


Nachdem Armand gegangen war, erhob sich Anya, sammelte ihr Kleid auf und ging nackt damit in ihr Zimmer. Es lag direkt neben dem "Spielzimmer", wie sie es in Gedanken getauft hatte und als sie eine Verbindungstür neugierig öffnete, lächelte sie bestätigt. Die Verbindungstür ging direkt in jenes Zimmer hinüber und sie hatte diese Tür nur deshalb übersehen, weil sie mit dem gleichen Stoff bezogen war wie die Wände dort.
Sie schloss die Türe wieder und schaute neugierig in den Schrank. Nun hielt sie begeistert die Luft an. Die prachtvollsten Kleider hingen dort, nicht etwas altes Zeug, das Marie schon getragen hatte, nein.. hier war neueste Mode vertreten!
Mit begeisterten Ausrufen holte sie ein Kleid nach dem anderen heraus.

Nicht einmal bei ihren feinen Herrschaften hatte sie solche Kleidung gesehen. Und sie hätte nie im Leben davon zu träumen gewagt, so etwas einmal selbst anzuziehen!
Kopfüber im Schrank stöbernd fand sie alles an Zubehör, was eine Frau benötigte. Korsetts, Reifröcke in den verschiedensten Formen, Unterkleider mit raffinierten Volants und Spitzen in Ausschnitten oder Ärmeln, Schleifen, Bänder und sogar Haarschmuck fand sie.
Das Einzige, was fehlte, waren Perücken. Armand schien sie nicht zu mögen und sie selbst fand sie affig. Sie war froh, keine tragen zu müssen. Freudig begann sie eine Anprobe nach der anderen, drehte und wendete sich vor dem körpergroßen Spiegel und strahlte. Verspielt stolzierte sie wie eine Königin in einem breiten Reifrock durch das Zimmer und war froh, dass Armand sie nicht beobachtete.
Die Kleider selbst waren aus Seide, Satin, Taft oder Samt. Armand legte offenbar großen Wert darauf, dass sie ihm auch in Kleidern gefiel. Aber dass sogar die Unterkleider aus feinsten Stoffen waren, machte sie dankbar. So rieb kein grober Stoff über ihre geschundenen Brüste, sondern weicher Stoff umschmeichelte sie.

Nach einigen Anproben beschloss sie, voll bekleidet auf Armand zu warten. Sie verdrängte den Gedanken daran, weshalb er gerade unterwegs war. Aber wenn er zurückkam, wollte sie ihn überraschen.
Sorgfältig kleidete sie sich ein und steckte sich die Haare zu einer kunstvollen Frisur auf. Lächelnd schwebte sie schließlich die Treppe hinunter und betrat den roten Salon.
Maurice, der Butler überraschte sie dabei mit einer Kerze die übrigen anzuzünden, als er mit müdem Blick eintrat.
"Madame, lasst mich das tun!" bat er sofort. Sein Blick zeigte leichte Empörung darüber, dass die Dame des Hauses Arbeit verrichtete. Und Anyas Blick zeigte verlegenes Unbehagen, denn bisher war sie ja diejenige gewesen, die bedient hatte.
Nachdem er den Kamin frisch befeuert hatte und der Salon in einem behaglichen Zustand war, wandte er sich Anya wieder steif zu.
"Werden meine Dienste noch benötigt, Madame?" Sie bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Es war spät in der Nacht und noch immer kam der arme Kerl nicht zur Ruhe.
"Nein, vielen Dank, Maurcie. Das ist alles." Mit einer höflichen Verbeugung zog der Butler sich zurück. Ein Seufzen entfuhr ihr. Das Personal war neu, man musste sich aneinander gewöhnen, aber für sie war es doppelt ungewohnt.
Sie erlebte einen gesellschaftlichen Aufstieg, den sie nicht einmal wirklich genießen konnte, denn sie würde diese Wände wohl niemals verlassen. Ein goldenes Gefängnis, so schien es ihr, auch wenn sie die Fenster öffnen konnte. Was sie nun auch tat. Mit beiden Händen wuchtete sie die schweren Vorhänge zurück und öffnete die Flügeltüren des Fensters.

Tief durchatmend lehnte sie lange dort und genoss die frische Nachtluft, während hinter ihr das Feuer im Kamin loderte. Irgendwo da draußen war Armand. Irgendwo dort war er im Begriff einen Menschen zu töten.
Der Gedanke ließ sie schaudern. Und vor gerade mal etwas mehr als einer Stunde hatte sie ihn selbst in Ekstase angefleht, genau das zu tun. War sie noch bei Sinnen? Sie wollte weder sterben noch zu so einem Tier werden wie er.
Und trotzdem konnte sie sich seiner Faszination nicht entziehen. Stattdessen lehnte sie an einem offenen Fenster und sehnte ihn herbei.
Über sich selbst den Kopf schüttelnd wandte sie sich wieder dem Salon zu und spazierte durch den Raum. Alles hier war edel und kostbar. Stühle, Sessel und Sofas waren mit teuren Stoffen bezogen und aus feinstem Holz. Die Wände mit den neumodischen Wachsbahnen bezogen, statt altmodisch mit Seide oder Samt ausgeschlagen.
Ein nagelneuer Flügel schmückte eine Ecke des Raumes nahe dem Kamin und Anya ließ die Finger über die Tasten gleiten und schlug einige Töne an. Sanft hallten sie im Raum wieder. Ob Armand Klavier spielen konnte. Womit verbrachte man wohl über 600 Jahre lang seine Zeit?
"Nicht nur schön, sondern auch noch musikalisch." tönte eine Stimme hinter ihr sanft. Anya fuhr herum.
Zwei Menschen standen dicht vor ihr, sodass sie stolpernd einige Schritte zurück wich. Ein Mann mit blonden, nach hinten gebundenen langen Haaren lächelte sie an. Er war äußerst geschmackvoll und teuer gekleidet.
Die schwarze, enge Hose wurde überdeckt von einem kunstvoll bestickten Rock aus blauem Brokat. Bestickte Knöpfe hielten ihn fein geschlossen, damit der perfekte Sitz der Rüschen seines Hemdes nicht verrutschte. Die langen Rockschöße ließen ihn größer erscheinen als er war. Wie Armand auch schien er gepuderte Haare oder gar Perücken zu verschmähen.

Die Frau neben ihm war ausnehmend hübsch. Auch sie trug ein feines Kleid, farblich auf ihren Begleiter abgestimmt. Sie hatte allerdings ihre Haare stark gepudert und ein Schönheitspflästerchen zierte ihren Mundwinkel. Mit einem leisen Kichern verdeckte sie ihr Gesicht mit einem Fächer. Aber das alles erschreckte Anya lange nicht so wie die auffallende Blässe der Beiden.

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