Montag, 1. November 2010

Noctambule: Anyas Zukunftsaussichten

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule


"Warum?" hauchte sie mit erstickter Stimme. Sie sah das Beben seiner Nasenflügel und wusste inzwischen, dass er ihren Duft wieder wahrnahm. Jedes Mal, wenn ihr Herz stärker schlug oder sie Angst bekam, witterte er nach ihr. Sein Blick wurde leicht nach innen gerichtet, während er eine Antwort überlegte. Dann reichte er ihr den Teller mit Käse, Trauben und klein geschnittenem Apfel, den sie automatisch entgegen nahm.

Er beugte sich zu ihr, den Arm auf die Sessellehne gestützt. Sein Gesicht war nun ganz nah an ihrem. Sie musste sich beherrschen, nicht zurückzuweichen und schluckte angestrengt.
"Du bist die wunderbarste Frau, die ich jemals in meinem… langen Dasein getroffen habe." Obwohl er flüsterte, trafen die Worte sie bis ins Mark. Seine Augen hatten wieder dieses hypnotisierende Glimmen und sie hatte das Gefühl, die Stimme war direkt in ihrem Kopf. Ihr schwindelte leicht.
"Du bist nicht nur wunderschön. Du hast einen Duft…" Er sog mit geschlossenen Augen die Luft ein und schien den Geruch ihres Blutes auf der Zunge zu spüren, denn er leckte sich offensichtlich unbewusst über die Lippen. "Es ist unendlich schwer, nur von deinem Blut zu kosten.
Du weißt nicht, welche Kraft es für mich bedeutet, nicht mehr zu nehmen. Aber hin und wieder muss ich.. Und dann kannst du nur beten, dass ich es schaffe, mich zurückzuhalten." Anya verschüttete etwas Wasser aus dem Becher.
Mit einem scharfen Laut sog sie Luft in ihre Lungen und ihr angstvoller Blick irrte durch sein Gesicht. Er lächelte und schüttelte den Kopf.
"Sei nur ruhig. Ich will dich nicht töten. Ich kann es dir nur nicht versprechen." Lange starrte sie ihn an. Sie begann zu ahnen, warum er sie am Leben lassen wollte. Tot nutzte sie ihm gar nichts. Weder konnte sie ihm Befriedigung verschaffen, noch seinen Blutdurst stillen.
Wenn die Sagen stimmten, dann könnte er sie verwandeln. Sie selbst zu einem Vampir machen.
Sie schauderte kurz. Aber auch dann war sie reizlos für ihn, denn dann würde sie genauso bleich und blutleer sein wie er.
Mit wachsendem Entsetzen sah sie ihn an. Er würde sie wieder und wieder anzapfen, von ihr kosten und sich an ihr laben. Er hatte nicht einmal danach gefragt, wie sie sich dabei fühlte! Und sie hatte keine Chance, sich gegen ihn zu wehren.
Da sein Blick gebieterisch auf den Teller in ihrer Hand wies, stellte sie ihn vor sich auf den Boden und schob sich ein Stück Käse in den Mund. Mit jedem Bissen wurde sie hungriger, während er ihr teilnahmslos zusah.
"Du wirst warme Mahlzeiten brauchen. Die musst du dir selbst zubereiten, sobald du diesen Raum verlassen kannst. Ich will, dass du gesund bleibst." erklärte er bestimmt. Natürlich wollte er das… sie lächelte kurz sarkastisch, verkniff sich aber die Frage nach dem Wann.
Er würde das entscheiden und sie konnte es ohnehin nicht beeinflussen. Höchstens dadurch, dass sie gehorsam blieb und das hatte sie sich vorgenommen. Wieder erinnerte sie sich an die Befriedigung, die er ihr verschafft hatte und errötete. Sie sehnte sich danach, es wieder zu erleben, doch bisher hatte er es ihr versagt.
Eine andere Frage beschäftigte sie. Vorsichtig musterte sie ihn, als er sich wieder zurücklehnte und in den Sessel lümmelte.
"Sterben Vampire wirklich nie?" Armands eben noch entspanntes Gesicht wurde plötzlich hellwach. Seine Augen flogen zu ihr herunter und brannten sich in ihre. Unwillkürlich wich sie leicht mit dem Oberkörper zurück. Doch dann lachte er lautlos.
"Willst DU mich töten, kleine Anya?" Seine Stimme war ein einziges sanftes Schnurren. Anya schüttelte hastig den Kopf.
"Nein! Nein, gar nicht.. ich.. es war.. Neugier.. Mehr nicht!" stammelte sie erschreckt. Armand lächelte sie freudlos an.
"Es gibt Wege, einen Vampir zu töten. Kaum ein Mensch wird das schaffen. Ansonsten leben.. nein.. existieren sie sehr… sehr lang. Es ist nicht einfach, zu sterben." Sein Blick war durch sie hindurch gerichtet in weite Ferne. Seine Antwort war tonlos gewesen und zu ihrer eigenen Überraschung spürte sie Mitleid mit ihm.
Aber ihr Mitleid hielt sich in Grenzen, denn ihre eigenen Sorgen ließen ihr wenig Spielraum. Dazu kam, dass die paar Bissen Käse und Obst ihren Kreislauf wieder in Schwung brachten. Sie bekam mehr Hunger, sehnte sich nach einer guten Mahlzeit, aber fühlte sich dennoch bereits stärker und kräftiger und dadurch auch ein wenig mutiger.
"Werde.. ich auch ein Vampir?" Sie hatte Mühe die Frage auszusprechen. Es war ihre größte Angst. Armands Blick heftete sich wieder auf sie. Er ließ sich Zeit mit der ersehnten und gleichzeitig gefürchteten Antwort und betrachtete ihr Gesicht mit fast liebevollem Ausdruck. Dann lächelte er.
Sein Lächeln ließ sie frieren, denn es war ein wenig mitleidig und bedauernd.
"Ich fürchte.. ich fürchte, ich werde es nicht verhindern können, um dich am Leben zu erhalten." Er setzte sich etwas zurecht, als wolle er ihr ein kompliziertes System erklären. Und das war es in der Tat.
"Es ist so: Ich habe dich ja nicht nur erwählt, meine Gespielin und Dienerin zu sein, weil du einfach nur wunderschön bist." Er fuhr mit dem Finger über ihre Augenbrauen und Wange. "Du bist etwas Besonderes. Warum das so ist, weiß ich selbst nicht. Aber dein Blut.. dein Geschmack.. du bist eine Auslese!" Er lächelte und kurz blitzten seine Eckzähne auf. "Ich will immer wieder von dir kosten und du wirst es genießen, wenn du nicht immer sofort in Ohnmacht fällst." Er stieß ein fast schnurrendes Lachen aus, das sie nicht erwidern konnte. Sie starrte ihn entgeistert an.
"Das Problem dabei ist, dass ich dich schwächen werde auf Dauer. Du wirst gut und viel Essen müssen. Besonders Fleisch, Obst und Gemüse, um deine Blutarmut aufzufangen. Aber sobald du zu schwach wirst, hast du zwei Möglichkeiten. Du wirst sterben oder wie ich." Er breitete die Hände in der Geste machtloser Erkenntnis aus und legte lächelnd den Kopf schief. "Das ist dein Schicksal."
Anya hatte die dumpfe Ahnung, dass ihn das nicht belastete. Während ihre Augen auf ihm ruhten, arbeitete ihr Hirn auf Hochtouren. Ein Entkommen war unmöglich. Sie hatte sich in ihr momentanes Schicksal gefügt, aber sie hatte nicht vor zu sterben und schon gar nicht, ebenfalls ein solches Monster zu werden.
Wenn sie viel und gute Essen musste, aber sich ihre Speisen selbst zuzubereiten hatte, dann musste sie diesen Raum verlassen dürfen.
Das wiederum durfte sie aber nicht, solange sie ihm nicht ihre Fügsamkeit bewiesen hatte. Mit einem tiefen Durchatmen reifte ihr neuer Entschluss und sie blickte ihn mit neu gewonnenem Selbstvertrauen an.

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