Sonntag, 15. Mai 2011

Noctamule II: Entschädigung und gutes Zeugnis

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Maurice traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand in voller Pracht sein alter Herr. Er hatte den Kopf gesenkt, seinen großen Körper gegen die Wand gelehnt und spielte mit seiner Taschenuhr. Die langen, schwarzen Haare waren locker zu einem Zopf gebunden und betonten die blasse Haut noch mehr. Als Maurice einen Freudenruf ausstieß, neigte Armand seinen Kopf leicht zur Seite und hob die langen Wimpern, um seinen Butler kritisch zu betrachten.

Das kleine Schmunzeln verwirrte Maurice, aber er fegte jede Verwirrung beiseite. Sowas konnte später geklärt werden. Wenn Monsieur hier war, um ihn herauszuholen, war alles andere unwichtig.
"Der Bart steht dir, Maurice. Sehr verwegen." raunte Armand amüsiert. Maurice griff unwillkürlich an sein kratzendes Kinn. Er hatte vergessen, wie lange er sich nicht hatte rasieren können und anfangs war er noch froh gewesen über seinen langsamen Bartwuchs. Nun war sein Bart entweder doch schneller gewachsen oder er tatsächlich schon länger hier drin.
"Ich bitte um Verzeihung, Monsieur. Die Umstände hier ließen keine akzeptable Körperpflege zu." stammelte er nun verlegen. Armands Schmunzeln traf nun auch seine Augen und rief ein Grübchen neben dem Mundwinkel hervor. Er nickte nur und stieß sich von der Wand ab.
"Gehen wir, Maurice. Du bist frei!" verkündete er lapidar und warf einem uniformierten Mann, den Maurice bisher übersehen hatte, einen bedeutsamen Blick zu. Dieser nickte verbissen und sah auf das Papier in seinen Händen.
"Ich verstehe es immer noch nicht, aber wenn Monsieur Lechaivre das angeordnet hat, wird es seine Richtigkeit haben." meinte der Soldat. Armand nickte leicht.
"So sehe ich das auch." Er hob fragend eine Braue, was den Soldaten in Bewegung brachte. Hastig riss er die Tür nach draußen auf und salutierte. Während Armand einfach hindurch ging und das Gefängnis verließ, stolperte Maurice hinterher und versuchte, sich im Gehen seine Schuhe anzuziehen.
Draußen wartete Armand endlich und ließ Maurice Zeit, sich fertig anzuziehen.
"Ich bin so froh, Euch zu sehen, Monsieur. Ich zweifelte keinen Tag lang, dass Ihr mich herausholt, sobald Ihr wisst, wo ich bin!" Maurice gestattete sich ein glückliches Strahlen.
"Selbstverständlich! Ich gehe doch davon aus, dass du keine Leichen in meinem Haus verborgen und auch nicht den Herzog mit einem Biss in den Hals getötet hast?" Maurice schüttelte heftig den Kopf.
"Niemals! Ich bin froh, Euch wohlauf zu sehen, Monsieur. Eure Verletzung scheint sehr gut verheilt zu sein! Erstaunlich! Geht es Mademoiselle Sanisoise ebenfalls gut?" erkundigte sich der Butler. Armand nickte, doch seine Gedanken waren woanders. Er hob mit spitzen Fingern die Jacke seines Butlers an und betrachtete das schmutzige Hemd.
"Lieber Himmel. Wir brauchen Kleidung für dich!" murmelte er entgeistert. Maurice schämte sich erbärmlich, fing sich aber und atmete tief ein, um seine würdevolle Haltung nicht zu verlieren.
"Sehr gerne, Monsieur. Darf ich davon ausgehen, dass wir nicht zurück in unser Haus können?" erkundigte er sich ahnungsvoll. Armand hob amüsiert den Blick von dem schmutzigen Hemd in die Augen seines loyalen Butlers.
"Du darfst, Maurice. Wir sind kurzfristig umgezogen. Falls du dich mit einem.. äh.. verlassenen Bauernhof begnügen kannst, wäre ich froh, jemanden wie dich zu haben, der etliches erledigen kann. Du weißt, ich verabscheue den Tag und Mademoiselle hat sich meinen Gepflogenheiten angepasst." Maurice runzelte die Stirn, lauschte aber weiter.
"Wenn nicht, habe ich volles Verständnis. Ich werde dir ein perfektes Zeugnis schreiben und natürlich bekommst du eine finanzielle Entschädigung." bot Armand nun an. Maurice überlegte. Zwar rief sein Gefühl sofort ein eindeutiges "Ja!" zu Armands Angebot zu bleiben. Aber er durfte seine Karriere als guter Butler nicht gefährden. Mit einem guten Zeugnis und der Auszahlung aller Gehälter wäre er mehr als zufrieden und sicher, in einer anderen Stadt Frankreichs eine gute Anstellung zu finden.
Dumm war nur, dass er das gar nicht wollte. Er fühlte sich zu diesem seltsamen, hübschen Paar hingezogen und zum ersten Mal in seinem Leben voller Selbstbeherrschung, stoischer Gelassenheit und Vornehmheit geschah etwas abenteuerliches, aufregendes und spannendes.
"Monsieur, ich habe mir nicht meine Eingeweide verprügeln lassen, um nun von Euch entlassen zu werden." erklärte er und wagte ein vorsichtiges Lächeln. Armand nickte und klopfte ihm auf die Schulter.
"Na dann. Anya wird sich sehr freuen, dich zu sehen. Wir sind gespannt, was du zu berichten hast." meinte er und spazierte in gelassenem Tempo mitten durch die Marseiller Garde, den zerrupften Maurice im Schlepptau.
Niemand hielt die Beiden auf. Niemand erkannte Armand.

1 Kommentar:

  1. In Maurice erwacht die Abenteuerlust. Wie wird es erst werden, wenn er die neue Anya sieht. Wie wird es werden, wenn er merkt, dass nun beide Tagsüber nicht hinausgehen?

    Aber ich denke kaum ein Mensch in Marseille ist so sicher vor den Vampiren wie Maurice. Es sei denn Anya entdeckt, dass auch Männer vielleicht äußerst verfüherisch riechen können. Doch bis es soweit ist braucht der gute Mann sicherlich erstmal ein Bad und ein paar neue Klamotten.

    Und die Garde wird sich noch wundern, warum sie den Mann entlassen haben. :)

    Es erkennt also niemand Armand - Das hatte ich mich ja schon einmal gefragt. Gibt es Steckbriefe in dieser Zeit? Hat man welche ausgehängt? Und wie gut sind die Fotos respektive Bilder darauf. Die Fotografie sollte ja noch eine Weile lang brauchen. Aber ein geschickter Zeichner? Und was ist seine Vorlage?

    Nun ja jedenfalls können die beiden sich ja offensichtlich unbehelligt bewegen. Das ist recht praktisch :)

    Gruß
    Joe

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