Montag, 2. Mai 2011

Noctambule II: Er ist hier

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Sie fanden tatsächlich leicht den Weg in den Garten ihres Hauses. Niemand hielt sie auf und die wenigen Menschen, denen sie noch begegneten, hatten keine Blicke für sie übrig. Sie wollten einfach nach Hause zu ihren Familien oder sie waren bereits betrunken.
Armand hatte die Führung ganz selbstverständlich übernommen. Seine Augen waren völlig gesund, er konnte sehen wie früher und fühlte sich stark. Als er Anyas Kletterkünste über die hohe Mauer des Gartens zum ersten Mal sah, musste er ein wenig stolz lächeln.

Ihre Bewegungen waren von einer wunderschönen, sanften Geschmeidigkeit und dennoch kraftvoll. Sie hatte ihre zarte Unschuld gegen kraftvolle Anmut getauscht und Armand wurde schlagartig bewusst, dass sie einen völlig anderen Reiz auf ihn ausübte, der nicht weniger intensiv war.
Offenbar hatte niemand das Haus seit ihrem letzten Besuch betreten. Und wenn doch, war scheinbar niemandem das offene Küchenfenster aufgefallen. Wieder betraten sie die Küche auf diesem Weg und Armand verzog angewidert das Gesicht beim Anblick der verdorbenen Lebensmittel auf dem Tisch. Auf leisen Sohlen huschten beide durch das Haus, Armand immer voran. Sein erstes Ziel war der Salon, der nach vorne auf die Straße ging. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, was Armand zum grinsen brachte, denn offenbar hatte Maurice es endlich einmal genossen, die Räume von Tageslicht durchfluten zu lassen.
Neugierig aber sehr vorsichtig spähte er aus dem Fenster auf die Straße. Seine Augen erkannten in den Schatten der Häuser mindestens zwei Gardisten, die gelangweilt an den Hauswänden lehnten und die Zeit mit Dösen totschlugen. Armand versuchte den eigenen Hauseingang zu erkennen, um zu sehen, ob auch Männer direkt am Eingang standen, doch konnte er nichts erkennen.
"Sie sind immer noch da. Wir müssen also wieder hinten hinaus." murmelte er leise in dem Wissen, dass Aynas Gehör nun mindestens so gut wie seines war. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln und ein Schulterzucken und verließ den Salon, um die Treppe hinauf zu laufen. Ruhig folgte er Anya in den oberen Stock und betrat sein Zimmer.
Als er die Verwüstung dort sah, verfinsterte sich seine Miene kurz. Anya musterte ihn beunruhigt, aber er hatte sich schnell wieder gefangen.
"Alles ist so, wie du es beschrieben hast." raunte er leise. Anya nickte und sah zu der Tür zu ihrem Zimmer.
"Aber sie waren ziemlich blind, meinst du nicht? Sie haben weder Papiere noch Geld gefunden." Armand zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht war es nicht das, wonach sie suchten. Und wenn sie unser Zimmer gesehen haben, kann ich mir gut vorstellen, wie entsetzt sie gewesen sein müssen." Sein scharfes Gebiss leuchtete kurz im schwachen Mondlicht auf, das durch die Fenster fiel. Anya musste lächeln und nickte. Irgendwie war es ihr unangenehm und peinlich, dass jemand die Möbel gesehen hatte und nun wissen könnte, was sie dort erlebt und genossen hatte.
Als hätte Armand ihre Gedanken nun doch endlich einmal gehört, strich er sanft über ihre Schulter.
"Dir muss nichts unangenehm sein. Niemand von diesen Menschen interessiert uns wirklich und in fünfzig Jahren sind sie nicht mehr da. Wir schon." flüsterte er in ihr Ohr. Anya bekam eine Gänsehaut. Sie hatte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass ihre Zeit nun anders lief als die der Menschen.
Als Armand sich Kleidung aus seinem Schrank zusammen suchte und begann sich umzuziehen, suchte sie ihr eigenes Zimmer auf und öffnete ihren Schrank. Die Kleider darin waren alle miteinander ungeeignet für ihre nächtlichen Ausflüge. Sie verzichtete aber nur ungern auf sie und zog daher einige Kleider heraus und begann sie zusammenzulegen. Dann zog sie ihr Bett ab und benutzte das Laken als improvisierten Kleidersack.
Armands leises Lachen hinter ihr ließ sie aufsehen. Er hatte scheinbar die gleiche Idee gehabt, denn in seiner Hand baumelte ein ganz ähnlicher Beutel. Anya lachte kurz auf und sah sich ein letztes Mal in ihrem Zimmer um. Sie seufzte leise, als Armand ihr die Hand plötzlich auf den Mund legte und sie an sich presste.
Unwillkürlich erstarrte sie. Er würde doch nicht hier plötzlich Sex haben wollen? Aber sie hatte sich getäuscht, denn auch sein Körper war angespannt und er rührte sich eine gefühlte Ewigkeit nicht. Auch Anya hielt still und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Doch sie konnte nichts Beunruhigendes hören. Brav hielt sie still und lauschte weiter, während die Sekunden wie Minuten dahin tropften. Doch Armand entspannte sich nicht. Er senkte langsam seinen Kopf zu ihrem herunter und führte seine Lippen dicht an ihr Ohr. Sie konnte seinen gehauchten Atem spüren und seine geflüsterten Worte rieselten kalt über ihren Rücken.
"Er ist hier."

1 Kommentar:

  1. Ui? George hat sich in das Haus getraut? Das ist gar nicht so dumm. Denn es war relativ klar, dass sie dort auftauchen würden. Aber jetzt ist er allein. Ich bin ja immer noch gespannt, wie er mit den beiden fertig zu werden plant.

    Und wenn Anya und Armand wüssten, was die Durchsuchungstruppe gedacht hat, beim Anblick des Raumes, würden sie es vielleicht doch nicht so einfach abtun. Aber tatsächlich bekommt der Ausdruck "Kurzlebigkeit" für einen Vampir eine ganz neue Bedeutung :)

    Gruß
    Joe

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