Montag, 9. Mai 2011

Noctambule II: Besuch durchs Fenster

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Miriam verlebte die folgenden Tage in vorwurfsvollem Schweigen, nachdem sie den ersten Schock verwunden hatte. Sie ging ihrem Vater aus dem Weg so gut sie konnte und zog sich in ihr Zimmer zurück. Sogar das Essen ließ sie sich nach oben bringen und nur, wenn sie wusste, dass Papa nicht dabei war, kam sie ins Esszimmer, um ihrer Mutter Gesellschaft zu leisten.
Manchmal schlich sie spät abends noch in die Küche, um sich dort etwas Essbares zu stehlen. Zumindest kam es ihr wie Stehlen vor, denn sie versuchte jedem aus dem Weg zu gehen. Papa sollte nicht erfahren, dass sie ihren Dickkopf nur deswegen noch durchzusetzen versuchte, weil sie nicht am Verhungern war, sondern sich nachts aus der Küche versorgte.

Bei einem dieser Ausflüge hatte sie einen Streit ihrer Eltern mit anhören müssen. Natürlich war sie lauschend stehen geblieben. Auch wenn sie schon gewusst hatte, dass ihre Mutter auf ihrer Seite war und die Strafe für viel zu schwer hielt, so hatte sie nicht damit gerechnet, dass Mama es sogar auf einen Streit mit ihrem Mann ankommen ließ, um ihre Tochter zu schützen.
"Du nimmst mir mein einziges Kind, hast du das schon einmal überlegt?" Die Stimme ihrer Mutter klang brüchig und traurig. Die ihres Vaters hingegen war kühl und ablehnend.
"Nicht nur dir, meine Liebe! Auch mich selbst bestrafe ich damit!"
"Unsinn! Du bist nur ruhiger, wenn du sie in Sicherheit glaubst! Aber das wird sie nicht sein! Ich will sie nicht dieser Person anvertrauen! Ich werde mir ihr reisen! Und nein, du wirst mich nicht davon abhalten. Wenn du deinen Sturkopf unbedingt durchsetzen musst, dann auch mit allen Konsequenzen!" Miriam war über die Maßen verblüfft gewesen. So energisch hatte sie ihre Mutter noch nie erlebt.
Seitdem sie wusste, dass sie nicht alleine in die Fremde musste, ging es ihr deutlich besser. Sie fühlte sich sicherer und freute sich mit boshafter Häme, dass ihr Vater hier alleine zurückbleiben musste.
Allerdings behielt sie ihr verbissenes Schweigen bei und wartete darauf, dass Mama ihr den neuen Plan unterbreiten würde. Schließlich wusste ja niemand, dass sie gelauscht hatte und nur ihre Amme Susanne ahnte an Miriams entspannterem Verhalten, dass etwas geschehen sein musste, was Miriam dazu gebracht hatte, sich in ihr Schicksal zu fügen.

An diesem Abend aber kamen Miriam ganz andere Gedanken. Ihr kam in den Sinn, dass Mama nur ihretwegen nun auf das schöne Leben hier verzichten musste. Sie würde ihre Freundinnen und die Unternehmungen vermissen. Sie würde unter der beschwerlichen Reise leiden und sicher auch unter dem Klima in den Kolonien. Wie sie gehört hatte, war es dort oft unerträglich heiß und sogar drückend schwül und gleichzeitig verregnet.
In Miriams Fantasie musste das Ziel ihrer bevorstehenden Reise ein einziges Dreckloch sein. Zurückgebliebene, ungebildete Menschen lebten dort, die nur unter der Führung der britischen Krone zu Handel und Gesellschaft fähig waren. Miriam befürchtete sehr, dass sie ihr angenehmes Luxusleben gegen ein schreckliches Dasein in primitiven Hütten tauschen musste.
Zudem kam der Gedanke an diesen Mann, den sie heiraten sollte ohne ihn zu kennen. Alleine der Gedanke löste Übelkeit in ihr aus.
Was, wenn das ein dicker, hässlicher, verschwitzter alter Kerl war? Sie schüttelte sich vor Ekel. In ihren Träumen wurde sie regelmäßig von einem mutigen Prinzen gerettet. Wenn es sein musste, durfte es auch ein Herzog oder Graf sein, aber auf gar keinen Fall wollte sie einen alten Mann!
Miriam hatte sich an ihren Tisch am Fenster zurückgezogen und spielte gedankenverloren mit dem weichen Wachs ihrer brennenden Kerze. Sie grübelte darüber, dass sie vielleicht in einer der nächsten Nächte einfach weglaufen sollte. Der Gedanke beflügelte sie. Sie würde damit Mama vor der schrecklichen Reise bewahren und Papa müsste sich keine Sorgen mehr um sie machen, denn sie war ja weg.
Das einzige Problem war, dass sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte. Anya hatte sich noch immer nicht gemeldet, was Miriam sehr enttäuschte. Aber konnte sie überhaupt bei Anya einen Unterschlupf finden? Sie wäre dann vielleicht in den Händen von Verbrechern, auch wenn sie verbissen daran festhielt, dass Anya keine Mörderin war. Nur für Armand würde sie nicht die Hand ins Feuer legen.
Und selbst wenn die beiden wirklich unschuldig waren müsste sie ständig auf der Flucht sein, denn dieser Idiot Lechaivre hatte es ja richtig massiv auf die Beiden abgesehen.

Als es an ihrer Fensterscheibe klopfte, drehte sie unbewusst den Kopf. Der Anblick des bleichen Gesichtes von Anya ließ sie mit einem Schrei aufspringen. Sie stolperte über ihr Kleid, fiel zu Boden und riss dabei den Stuhl polternd mit sich. Hastig zerrte sie ihr Kleid unter dem Stuhl hervor und rappelte sich auf. Anya legte mahnend den Finger auf ihre Lippen, aber Miriam war außer sich vor Freude während sie das Fenster weit öffnete.
"Anya! Wie kommst du denn hier hoch?" wisperte sie glücklich und machte ihrer Freundin Platz, um hereinzuklettern. Verblüfft beobachtete sie, wie geschmeidig und kraftvoll sich Anya über die Fensterbank schwang und fast lautlos auf den Boden sprang. Noch mehr aber überraschte sie, dass Anya immer noch Hosen trug.
Miriams Abenteuerlust war sofort wieder wach. Sicher gehörten die Hosen zu Anyas Verkleidung und außerdem hätte sie sonst ja nicht so gut klettern können. Als Miriam das Fenster schloss, schaute sie noch einmal hinaus. Auch wenn sie nur im ersten Stock wohnte, so schien ihr das Fenster doch ziemlich hoch zu sein. Beeindruckt schloss sie das Fenster, wirbelte herum und fiel ihrer Freundin in die Arme.
"Ich bin so froh dich zu sehen!" nuschelte sie in Anyas Schulter. Anya schloss benommen die Augen, denn Miriams Blut duftete so unendlich verführerisch, dass sie alle Kraft aufwenden musste, um sich zurückzuhalten. Zu allem Überfluss hatte die Aufregung Miriams Kreislauf beschleunigt, das Blut verdünnt und Anya konnte förmlich hören, wie es in den jungen Adern rauschte.
"Es scheint dir ja gut zu gehen. Das freut mich." sanft schob Anya ihre Freundin von sich und hob den Stuhl auf, um Miriam zum Hinsetzen zu bewegen. Brav plumpste diese auf den Stuhl.
"Gar nicht geht es mir gut! Es geht mir ganz schrecklich!" Miriam seufzte. Sie musste Anya so viel erzählen und wollte außerdem noch so viel hören. Was war nun wichtiger? Wo sollte sie anfangen? Sie beschloss, die wichtigste Frage zuerst zu stellen.
"Wieso kannst du so gut klettern? Und warum bist du so schrecklich blass? Letztes Mal auch schon. Bist du krank? Brauchst du Hilfe?" Anya setzte sich auf den Tisch vor Miriam und griff nach ihren Händen.
"Ich bin nicht krank. Und Klettern kann man lernen. Ich bin nur…" Sie wurde von dem energischen Klopfen an Miriams Tür unterbrochen. Ihr Kopf flog herum und als sie sah, dass sich die Türklinke bereits nach unten bewegte, sprang sie auf.

1 Kommentar:

  1. Jetzt weiss ich immer noch nicht, was Plan C ist :) Aber irgendetwas hat die Lady ja offensichtlich vor! Und inzwischen lässt sie es ja auf offene konfrontation ankommen. Ist das Teil des Planes? Sicherlich. Doch Wohin soll das führen? Dass der Comte genervt aufgibt? Das mag ich nicht glauben, dafür ist sie sonst zu subtil.

    Und Miriam bekommt also Besuch durchs Fenster :) Ist es nicht aufgabe junger Kerle mit einer sportlichen Leiter das Fenster der Liebsten zu erklimmen? Und jetzt kommt da ein Mädchen herein.

    Aber Miriam ist ja schon Lustig - Das wichtigste, was sie wissen will ist, warum Anya klettern kann. Ich denke die zwei haben noch viel und noch wichtigeres zu besprechen.

    Gruß
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.