Mittwoch, 18. Mai 2011

Noctambule II: Der neue Maurice

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Maurice ließ sich nicht sein Staunen anmerken, als er den Bauernhof betrat. Diese Umgebung war er nicht gewohnt. Er hatte in hochherrschaftlichen Häusern gedient und in wohlhabenden, die er bereits als einfach bezeichnet hatte. Die schlichten Räume und das einfache, eher zweckmäßige Mobiliar waren gänzlich unter seinem Niveau. Aber da Armand ihm versichert hatte, dass dies hier nur übergangsweise sei, beschloss er sich damit irgendwie zu arrangieren.

In dem einfachen Wohnzimmer mit der niedrigen Decke wirkte Armand noch wesentlich größer. Maurice entschied, dass Armand in seiner gesamten Erscheinung hier noch viel deutlicher auffiel und fehl am Platz wirkte als er sich hatte vorstellen können. Die hohe, elegante Gestalt mit der feinen Kleidung und dem blassen Gesicht ließ die Schlichtheit des Hauses noch armseliger erscheinen. Aber wenn sogar ein Mann wie Monsieur hier leben konnte, dann war es für Maurice erst Recht in Ordnung. Mit stillem Seufzen fügte er sich in sein Schicksal.
"Maurice!! Du bist wieder da!" Anya stürmte auf ihn zu und riss ihn aus seinen Gedanken. Seine Freude über das Wiedersehen mit ihr wandelte sich allerdings in jähes Entsetzen. Blinzelnd ließ er sich beide Hände drücken und suchte nach Worten.
Seine kleine Mademoiselle trug unanständige Hosen, ein Männerhemd und war schrecklich blass. Zwar konnte er eine neue, extrem intensive Ausstrahlung von dem zarten Wesen vor sich nicht leugnen, aber er war doch ein deutlicher Verfechter der allgemeinen Moral und Frauen hatten nun mal Kleider zu tragen und gesittetes Benehmen zu zeigen.
"Ma.. Mademoiselle.. ich.. freue mich sehr." stammelte er. Sergej und Armand grinsten sich über die Köpfe der beiden hinweg an. Anya nickte und warf Armand einen kurzen Blick hoch, der eine Mischung aus Freude und Scheu zeigte.
"Kann Maurice denn bei uns bleiben?" fragte sie vorsichtig. Ihr Butler bemerkte das amüsierte Nicken seines Dienstherren gar nicht. Noch immer starrte er auf die junge Frau vor sich.
"Sollte die Bezahlung ein kurzfristiges Problem sein, Mademoiselle, so möchte ich Euch bitten, sich keine Gedanken zu machen." erklärte er förmlich. Anya lächelte erleichtert und musterte ihn.
"Du siehst ziemlich fertig aus. Hast du Hunger? Oh, ich werde dir ein Zimmer zurecht ma…" Armand legte seine Hand mahnend auf Anyas Arm.
"Sein Bett kann er sicher selbst beziehen und er kennt auch die Funktion einer Küche." Seine schwarzen Augen lagen ruhig auf ihrem Gesicht. Anya blinzelte und nahm sich ein wenig zurück.
"Natürlich. Aber.." wieder spürte sie den Druck seiner Finger und stockte. Sergej ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine von sich.
"Maurice, wir haben hier kein weiteres Personal. Ich würde sagen, jeder macht sich selbst was zu essen, wenn er Hunger hat, was meinst du, Armand?" Er hob träge seinen Blick zu seinem Freund hoch, der nickte und Anya losließ.
"Ich frage mich natürlich, ob Maurice wirklich hier unter gesuchten Verbrechern wohnen sollte. Vielleicht gibt es eine Übergangslösung?" überlegte Sergej nun laut. Maurice schaute von einem zum anderen.
"Wenn ich Monsieur Sartous recht verstanden habe, so besteht für mich kein Zweifel an Eurer Unschuld. Aus diesem Grund bleibe ich gerne hier und sehe keinen Anlass zu einem Wechsel." verkündete er steif und zupfte verlegen an seiner schmutzigen Kleidung. Sergej grinste bei dieser Bewegung. Er amüsierte sich prächtig darüber, dass der steife Butler in zerrissener Kleidung und mit einem wüsten Bart verunstaltet immer noch versuchte, vornehm zu bleiben.
Armand schaltete sich ein.
"Ich bin dir sehr dankbar über diese Loyalität, Maurice. Allerdings mache ich mir schon Gedanken darüber, dass wir deinen Ruf komplett ruiniert haben." Maurice nickte mit einem schwachen Lächeln.
"Darüber mache ich mir bereits keine Gedanken mehr, Monsieur. Ich vermute stark, dass mein Ruf bereits tatsächlich ruiniert ist. Und da ich weder Verwandte noch eine Frau schützen muss, sondern für mich selbst entscheiden kann, muss ich sagen, dass ich mich noch nie so lebendig gefühlt habe, wie jetzt gerade. Ich betrachte dies als Abenteuer." erklärte er leicht verlegen.
Die drei Vampire tauschten stumme Blicke. Vor ihnen stand ein Mensch, dessen Blut sie ständig unruhig machte. Ob er das wohl auch noch gesagt hätte, wenn er wüsste, wem er da weiterhin dienen will?
"Nun, das freut mich sehr. Wie du ja weißt, verabscheue ich den Tag und bevorzuge die Nacht. Anya hat sich diesem Lebenswandel angeschlossen und mein Freund sowieso. Du wirst uns also tagsüber selten zu Gesicht bekommen und den Tag dafür nutzen, Aufträge in meinem Namen zu erfüllen. Die Tätigkeit als unser Butler wird sich in Zukunft anders gestalten, als du gewohnt bist." verkündete Armand. Maurice nahm seine gewohnte Haltung an, was noch grotesker wirkte.
"Sehr wohl, Monsieur. Das dürfte meinen Arbeitstag auch abwechslungsreicher gestalten." Armand schmunzelte und reichte Anya seinen Arm.
"Gut, das wäre dann alles, Maurice. Sergej kennt sein Zimmer und du wirst dich sicher ausruhen wollen. Ich möchte Anya einen Keller zeigen, den ich entdeckt habe." Bei diesen Worten senkte er den Kopf und warf Anya einen langen, funkelnden Blick zu, der einen kleinen Schauer in ihr auslöste.

1 Kommentar:

  1. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Nicht wahr, Maurice?

    Ein heruntergekommener Bauernhof ist also nun sein Wirkungsbereich. Er wird ihn schon wieder verschönern. Und wenn es dann soweit ist, dass man sich wieder bewegen kann wird es sicherlich auch wieder ein schönes Haus geben in dem man einziehen kann.

    Aber so langsam sollten die Vampire mal überlegen, was sie dem Butler alles erzählen. Anyas Veränderung ist doch allzu offensichtlich und der Butler hat sich ja schon mehrfach als nicht wirklich blöde herausgestellt. Im Gegenteil sogar!

    Gruß
    Joe

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