Samstag, 14. Mai 2011

Noctambule II: Rohe Gefägnissitten

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Marseille 1749

Maurice's Würde hatte einen schweren Schlag erhalten. Man hatte ihn mit roher Überzeugungskraft in eine Einzelzelle gesteckt, worüber er anfangs noch froh gewesen war. Aber so langsam machte ihn die Einsamkeit hier drinnen mürbe.
Hinzu kam, dass seine sorgfältig gepflegte Kleidung hier drin immer mehr zu Schaden kam. Bereits jetzt hielt er seine Jacke für irreparabel. Die seltsamen Flecken, deren Herkunft er sich nicht erklären konnte und genau genommen auch nicht wollte, würden nie wieder hinauszuwaschen sein.

Maurice hatte keine Erfahrung mit Gefängnissen. Ab und zu hörte man schreckliche Dinge von entlassenen Häftlingen. Aber mangels Kontakt zu den anderen Insassen konnte er das nicht bestätigen.
Seine Zelle war kahl und für seine Ansprüche ekelerregend schmutzig. Es hieß, er würde einmal in der Woche einen Besen bekommen aber gesehen hatte er noch keinen. Sein Bett war eine Pritsche, bestehend aus einem Brett auf vier Beinen. Eine der beiden fleckigen Decken hatte er als Unterlage genommen, mit der anderen deckte er sich zu. Häftlingskleidung hatte ihm noch niemand angeboten.
Körperpflege schien hier auch nicht mehr wichtig zu sein. Eine Schale mit inzwischen abgestandenem und schmutzigem Wasser diente zur groben Körperwäsche, nur ein Handtuch oder irgendetwas zum Abtrocknen hatte man ihm verweigert.
"Wozu? Hast doch 'n Hemd! Nimm halt das!" Das aber brachte Maurice die ersten Tage nicht über sich. Am dritten Tag gab er schließlich nach und trug seither ein feuchtes, schmutziges Hemd, weil man ihm kein anderes geben wollte. Allerdings hatte sich ein Wärter über ihn amüsiert, als er zu einem Rundgang auf den Hof durfte und bei Tageslicht schockiert über den Zustand seiner Kleidung war.
"Bist 'n feiner Pinkel, was? Mach dir keine Sorgen, wenn du rüber auf die Insel kommst, kriegste schön gestreifte Klamotten. Da fällste dann nicht mehr auf."
Maurice hatte seinen Ohren nicht getraut. Aber mehr war aus dem Wärter auch nicht herauszuholen. Offenbar stand seine Umsiedelung kurz bevor und von dem Chateau d'If hatte er in der Tat bereits gehört.
Seitdem war an ruhigen Schlaf nicht mehr zu denken. Das Einzige, was er sich vorwerfen konnte, war die wohl falsche Wahl seiner Herrschaften. Maurice hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und auch jetzt konnte und wollte er nicht glauben, einem verbrecherischen Paar auf den Leim gegangen zu sein. Und selbst wenn, so konnte er einfach nicht begreifen, wie man auf eine Mittäterschaft kam.
Erst einmal hatte man ihn verhört und da Maurice keinerlei Auskünfte geben konnte, musste er zum ersten Mal in seinem Leben Prügel einstecken. Schlägereien waren ihm in seiner Kindheit nicht fremd gewesen. Er war völlig normal aufgewachsen, Teil einer harmlosen Kinderbande gewesen und man hatte sich mit Körperkräften gemessen.
Bei dem Verhör hatte man ihm die Hände auf den Rücken gefesselt und auf einen Stuhl gesetzt. Niemand hatte ihm ins Gesicht geschlagen, aber die Fäuste waren mehrfach in Bauch, Leber und Nieren gelandet.
Nachdem auch das nicht viel gebracht hatte, war ihm versprochen worden, dass ihm das nächste Mal einige Zähne fehlen würden. Maurice erlebte zum ersten Mal echte Angst. Jeden Morgen beim Wecken befiel ihn sofort die Furcht, aus der Zelle geholt und zum Verhör gebracht zu werden.
Je länger nichts geschah, desto größer wurde seine Angst. Er verstand nicht, was mit ihm geschah. Und er bezweifelte inzwischen, dass überhaupt irgendjemand wusste, wo er war.
Noch mehr zweifelte er inzwischen an der Gerechtigkeit der Justiz.
Er hatte noch keinen Anwalt gesehen und auf seine Frage nur ein Schulterzucken erhalten. Seine Wärter interessierten sich nicht für so etwas. Sie taten ihren Job, alles andere war Sache der Vorgesetzten.
Bei dem Verhör hatte er für seine Frage nach einem Rechtsvertreter einen Schlag auf die Rippen geerntet, mehr nicht. Dass hier reinste Willkür im Spiel war, war nicht zu übersehen, doch hatte Maurice noch keine Ahnung, wie er sich dagegen wehren konnte.

Seine Zelle hatte nur ein kleines, vergittertes Fenster, das wohl in einen Innenhof führte. Aber er konnte ein kleines Stück Himmel sehen. Zwar hatte Maurice inzwischen jedes Zeitgefühl verloren, aber immerhin konnte er feststellen, wann sich der Tag dem Ende neigte und schwankte während der Dämmerung zwischen Freude, wieder einen Tag überstanden zu haben und Verzweiflung, schon wieder einen nutzlosen Tag mehr unschuldig eingesperrt zu sein wie ein Schwerverbrecher.
Die Langweile setzte ihm schwer zu. Mit einem trübsinnigen Seufzer wickelte er sich in seine schmuddelige Decke, schloss die Augen und versuchte, sich mit einem alten Kinderreim von seinen depressiven Gedanken abzulenken. Die schweren Schritte der Wärter auf dem Gang hatte er gelernt auszublenden. Aber als der Schlüssel in seiner Zellentür knarrte, schrak er zusammen.
Als die Tür aufschlug und gegen die kahle Wand seiner engen Zelle knallte, saß Maurice bereits mit starrem Gesicht auf seiner Pritsche. Vor ihm stand der breitschultrige Wärter, der ihn auch zu seinem Verhör abgeholt hatte. Maurice wusste, dass er diesem Mann weder Kraft noch kampftechnische Finesse entgegen zu setzen hatte. Angst machte sich in ihm breit und sein Magen fühlte sich wie ein harter Knoten an.
"Steh auf, du Ratte!" knurrte der Wärter und Maurice rappelte sich mit weichen Knien hoch. Nach kurzem Zögern wankte er an ihm vorbei hinaus auf den Gang. Er rechnete jederzeit mit einem heimtückischen Faustschlag, aber es kam keiner.
Sein Wärter deutete mit dem Kinn den Gang hinunter. Maurice gehorchte widerspruchslos und ging vor dem Mann her. Dabei klaubte er seinen letzten Rest stolz zusammen, zupfte seine Jacke zurecht und zwang sich zu einem aufrechten Gang. Er stellte sich einfach vor, wie in alten Zeiten vor einem Gast herzugehen, um ihn anzukündigen.
Sein Wärter lotste ihn durch mehrere Gänge, dann durch den Innenhof und schließlich zu einem Raum, den Maurice wieder erkannte. Hier war er bei seiner Verhaftung als erstes gelandet und hatte seine persönlichen Dinge abgeben müssen. Es war nicht viel gewesen, denn man hatte ihn ja Hals über Kopf aus dem Haus geholt. Die Wärter hatten ihn höhnisch ausgelacht.
"Oho! Ein leinenes Taschentuch! Feiner Pinkel, was? Zieh die Schuhe aus und guck mich nicht so an wie ein Kaninchen! He, René, das ist doch deine Größe? Die heben wir auf. Du brauchst die wohl nicht mehr!" Maurice hatte schweigend seine teuren Schuhe ausgezogen und gegen hölzerne Schlappen getauscht.
Nun standen seine Schuhe auf dem Tisch, sein Taschentuch und sein Notizbuch war auch da. Fragend schaute er seinen Wärter an.
"Nimm schon!" schnauzte dieser und stieß ihn unsanft gegen die Schulter. Maurice griff hastig nach seinem Eigentum und verbot sich selbst Hoffnung aufkommen zu lassen. Kaum hatte er die paar Dinge an sich genommen, als ein neuer Stoß ihn zu einer Tür taumeln ließ. Der andere Wärter öffnete sie und ließ Maurice mit einem Nicken durch gehen.

1 Kommentar:

  1. Maurice wird entlassen!! Armand steht mit einem Wisch vor der Türe. Jetzt bin ich gespannt, wie der Butler auf seinen alten Herrn reagiert.

    Von der Justiz ist er ja nicht mehr so schrecklich überzeugt. Aber wie ist er auf Armand zu sprechen? Lastet er ihm seine Verhaftung an?

    Doch ich denke für's erste ist er mit einem Bad und einem neuen Anzug zufrieden zu stellen. :)

    Gruß
    Joe

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