Dienstag, 24. Mai 2011

Kurzgeschichte: Songgeschichte - Rupert Holmes, Escape

Neulich Nachts kam mir eine, wie ich finde, gute Idee für eine neue Art Geschichten. Zum Glück habe ich immer Zettel und Stift neben dem Bett liegen, also weiß ich sie jetzt auch noch und kann euch eine solche Geschichte, welche der Beginn einer Serie sein könnte, präsentieren.

Viele Lieder erzählen eine Geschichte. Nicht alle sind sicherlich dafür geeignet eine Kurzgeschichte daraus zu machen, doch manche eben schon. Ich finde es faszinierend, wie viele Leute, gerade ausländischen, Liedern zuhören und sie gut finden, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, was eigentlich erzählt wird. Das Lied, dass ich euch heute vorstelle, ist so ein Fall. Wen ich auch gefragt habe, bei der Vorbereitung auf diesen Beitrag, der hatte keine Ahnung. Jeder kannte den Song, doch niemand hat je zugehört und das obwohl sehr klar und deutlich gesprochen wird.

Ich mag diese kleine Anekdote sehr gern und ich hoffe, sie gefällt euch genauso gut wie mir. Viel Spaß mit meiner ersten, und bestimmt nicht letzten, Songgeschichte. Mir ist klar, dass diese Fingerübung literarisch über die Qualität einer Nacherzählung nicht hinauskommt. Aber darum geht es mir auch gar nicht. Vielmehr möchte ich euch mal darauf aufmerksam machen, was für schöne Geschichten direkt vor euch erzählt werden, ohne dass ihr es merkt.

Liebe Grüße
Joe
Euer Geschichtenblogger


Kennt ihr das, wenn eine Beziehung nicht mehr so ist, wie sie einmal war? Irgendwann ist man einfach zu lang zusammen und dann ist man weniger zusammen als nur noch miteinander. Genau so ging es mir mit meiner Frau. Das Prickeln war schon lange verschwunden und irgendwie war es, als hätte man seine Lieblingskasette einfach zu oft gehört.

Eines Abends, als sie schon schlafend im Bett lag, las ich neben ihr noch die Zeitung zu Ende. Eigentlich habe ich nie viel auf die Kontaktanzeigen gegeben. Doch einfach um auch alles gelesen zu haben, schaute ich einmal darüber und sofort stach mir einer der kleinen Texte ins Auge.

Magst du einen guten Cocktail? Magst du es, vom Regen überrascht zu werden? Findest du Yoga auch so albern wie ich? Und bist du nicht auf den Kopf gefallen? Wenn du es magst, es in den Dünen am Strand zu treiben, dann bin ich diejenige, die du suchst. Schreib mir und wir brennen durch.

Das hob sich so sehr von all den anderen Anzeigen ab. Keine Angabe zum Alter oder irgendwelchen Körpermaßen stand da. Auch nichts zur vielbeschworenen 'finanziellen Unabhängigkeit', die der Partner aus Paritätsgründen doch bitte mitbringen sollte. Der Text traf mich irgendwie mitten ins Herz und er machte mich neugierig. Neugierig auf die Frau die dahinter stand. Und ich hatte ein gutes Gefühl dabei, dass dies wirklich passen könnte.

Ich hatte niemals darüber nachgedacht fremdzugehen. Auf meinem Computer befanden sich ein paar Pornos und ansonsten beschränkten ich mich auf das eheliche Vergnügen. Doch in dieser Sekunde dachte ich nicht an meine Frau. Vollkommen fasziniert ging ich noch nachts, mit der Zeitung in der Hand, an meinen Computer und rief die Internetseite der Redaktion auf. Ich suchte heraus, wo man auf die Chiffre-Anzeigen antworten konnte und verfasste eine Mail. Und obwohl ich mit Texten sonst nicht so geschickt bin, fand ich, dass mir dieser Text gut gelungen war.

Liebe Unbekannte,

Ja, ich mag einen guten Cocktail. Und auch ich finde es spannend im Regen überrascht zu werden. Und ich verabscheue diesen ganzen Bio-Öko-Gesundheitswahn. Ich trinke lieber einen guten Champagner. Lass uns am Freitag Nachmittag im Pub O'Malleys treffen. An dem kleinen Tisch in der Niesche. Dort können wir aus unserem Bürokratenleben entkommen und unsere Flucht planen.


Ich war unglaublich aufgeregt. Und zwischendurch fragte ich mich, ob ich mir nicht vielleicht sogar viel zu viel davon versprach. Wie sollte eine Frau, von der ich nichts als eine fünfzeilige Kontaktanzeige kannte, mit mir durchbrennen. Und überhaupt: Durchbrennen? Wo sollte ich denn schon hin mit meinem Bürojob und meiner Eigentumswohnung? Doch ich schob die Gedanken bei Seite, erzählte meiner Frau, dass ich zu einem Freund führe, um ein Bierchen zu trinken. Dann setzte ich mich an den kleinen Tisch im Pub und wartete aufgeregt auf das erste Blinddate meines Lebens.

Dann kam sie rein und ich erstarrte vor Aufregung. Doch sie kam zielstrebig auf den Tisch zu und blieb neben mir stehen. Dann trafen sich unsere Blicke und sofort erkannte ich ihr Lächeln. Ich kannte jede Kurve, jede Falte und jede Unebenheit dieses Gesichts. Und ich begann jetzt erst wieder zu begreifen, wie schön es war. Meine Frau stand neben mir am Tisch. "Oh, du bist es.", sagte sie schließlich, nachdem wir uns ein paar Sekunden angesehen hatten. Langsam machte sich Erleichterung breit und wir lachten einige Minuten, albern wie Schulkinder. Der Kellner wagte sich gar nicht zu uns an den Tisch. Dann griff ich nach ihren Händen und sah ihr tief in die Augen.

"Ich wusste gar nicht, dass du gerne Cocktails trinkst und gern vom Regen überrascht wirst. Und ich hatte auch keine Ahnung, dass du das Gefühl magst, am Strand zu stehen und den Geschmack von Champagner. Aber wenn du es wirklich magst, Nachts in den Dünen am Strand Liebe zu machen, dann bist du die Liebe meines Lebens. Lass uns durchbrennen in unser neues altes Leben."

Ich denke, ich muss euch nicht erzählen, wie dieser Tag geendet hat. Und da sag noch einer, Kontaktanzeigen wären zu nichts nutze.


Rupert Holmes - Escape (The Pina Colada Song)



Falls dieses spezielle Video irgendwann nicht mehr geht, findet ihr hier eine Youtube Suche, die euch zum Song führen sollte: Youtube - Rupert Holmes, Escape

Hier gibt es auch noch einen Link zum Text: Text - Rupert Holmes, Escape
Und noch einen Google Link, falls der Text irgendwann dort nicht mehr verfügbar ist: Google Suche: Rupert Holmes, Escape

1 Kommentar:

  1. Schön geschrieben! Im Grunde ist dies der Erzählstil und Holmes singt es. Wie mit der Henne und dem Ei, wüsste man nicht, dass Rupert es zuerst gesungen hat :)

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.