Mittwoch, 25. Mai 2011

Noctambule II: Rückblick - Verdorbenes Essen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Mehrere Wochen lang litt Kaffa unter dem nächtlichen Beschuss durch die Mongolen. Zwar wurde fleißig zurückgeschossen, doch das feindliche Heer blieb in respektvollem Abstand und nur die anrückenden Katapulte und die wenigen Soldaten, die sie bedienten, waren erreichbar und wurden natürlich verbissen anvisiert.
Hin und wieder versuchte man, Hinterhalte zu legen, wenn die Mongolen nachts anrückten. Der Kampflärm war schrecklich und fast nie kehrten die Soldaten zurück, sodass man diese Taktik auch wieder einstellte.

Ein zusätzliches Problem wurden die Plünderungen in der eigenen Stadt. Verzweifelte Familienväter, die mit ihren Familien ausgebrannt und obdachlos wurden, überfielen ihre Mitbürger.
Andere warteten nur auf die nächtlichen Angriffe, um unbeobachtete Momente zu nutzen und in ganz anderen Ecken ihre kriminellen Machenschaften zu aktivieren. Da jeder versuchte, Wasser zu sparen, wurde die Reinlichkeit nicht mehr so genau genommen und die ersten Krankheiten schlugen zu. Kleinkinder starben an schlecht gelagertem Wasser und alte Menschen überstanden die Hitze nicht mehr, da sie das Trinken zugunsten der jüngeren verweigerten.
Die Stimmung in der Stadt sank spürbar und Armand verbot den beiden Mädchen nun, tagsüber das Haus zu verlassen, weil er ihre Sicherheit nicht mehr garantieren konnte. Über Wassermangel konnten sich die Vier nicht beklagen.
Armand und Sergej brachten bei ihren Ausflügen stets Beute in Form von Wasserschläuchen mit, die sie ihren Opfern abnahmen. Sie mussten inzwischen ihre Ausflüge stark ausdehnen, hielten sich immer am Rand des Heeres und überfielen nur Patrouillen oder unachtsame Soldaten, die sich zu weit von ihrer Einheit entfernt hatten.

Armand hatte mit Sergej zusammen die Stadtmauer und ihre Lage noch einmal genauer untersucht. Inzwischen griffen die Mongolen auch die Mauer selbst an, doch bisher nie in gefährlicher Nähe ihres Hauses.
Schnell begriffen die Freunde, dass sie nur unglaubliches Glück hatten. Die Feinde konzentrierten sich auf Stellen, die mit den Belagerungstürmen gut zu erreichen waren. Der Bereich, hinter dem das Haus der Freunde lag, war mehr als ungünstig für mögliche Kletteraktionen, denn die Mauer stand direkt am Abgrund eines Bruches, der viele Meter weit steil hinunter ging.

Für ihre nächtlichen Ausflüge hatten sie inzwischen herausgefunden, dass in der Nähe der Küste kaum Feinde aufkreuzten. Entsprechend schwach war auch die Bewachung, gleichwohl stark genug, um rechtzeitig beim Anmarsch einer Armee Alarm zu schlagen. Aber niemand rechnete mit zwei Männern, die aus dem Nichts auftauchten und ebenso schnell wieder verschwanden.
Hier hatten die Freunde auch einen Bereich in der Mauer gefunden, der so uneben war, dass sie sich problemlos hoch schwingen konnten. Die Sprünge auf der anderen Seite waren stets unangenehm tief und so manches Mal kam es zu Prellungen und Stauchungen. Aber die verheilten ebenso schnell, wie sie gekommen waren und hinderten die Beiden nicht daran, auf die Jagd zu gehen.
Gerade in den Nächten, wenn die Hitze des Tages endlich abkühlte, kamen auch oft Winde auf. Da sie meistens auflandig, also vom Meer ins Landesinnere gerichtet waren, wurden die Mongolen mit dem Gestank der Stadt verpestet. In dieser Nacht herrschte ebenfalls ein lauer Windzug, doch dieses Mal war er ablandig und brachte den unglaublich intensiven Gestank des Lagers.
Armand rümpfte die Nase und Sergej zog angewidert sein Halstuch über die Nase.
"Das ist ja schlimm! Was ist das für ein Gestank?" beschwerte er sich, doch auch Armand fand keine Antwort darauf. Die übliche Mischung aus verrottendem Abfall, Kloake und Brandgeruch kannten Beide bereits zur Genüge aus der Stadt und auch aus dem Heer.

Doch heute mischte sich ein beißender Geruch darunter, den sie nicht einordnen konnten. Angewidert und überwiegend durch den Mund atmend pirschten sie sich näher an das Lager heran und verfluchten die Tatsache, dass sie der Windrichtung nicht ausweichen und die Seiten wechseln konnten. Dazu hätten sie mitten durch das Heer gehen müssen.
Ihr feiner Geruchssinn litt und trieb ihnen Tränen in die Augen. Je näher sie dem Lager kamen, desto schlimmer wurde der Gestank für sie. Wahrscheinlich nahmen die Menschen ihn selbst gar nicht richtig wahr, doch konnten Armand und Sergej sich noch immer keinen Reim auf die Ursache machen.
Sie umgingen weiträumig den Bereich, in dem die Geschosse der Katapulte aufschlugen und fanden bald einen Teil des Ursprungs für den widerwärtigen Gestank. Hohe Feuer loderten abseits des Lagers. Ungläubig staunend beobachteten die Freunde aus ihrer Deckung heraus, wie Soldaten Leichen herbei schafften, sie mit Öl übergossen und auf die Scheiterhaufen warfen.
"So viele Tote kann es nicht alleine durch den Beschuss der Stadt geben." beschloss Sergej zweifelnd. Armand stimmte nickend zu. Aber so lange sie auch die Verbrennungen beobachteten, kamen sie nicht auf den tieferen Grund dafür. An eine Hungersnot glaubten sie nicht, denn die Mongolen hatten jede Möglichkeit zur Jagd, der Nachschub aus dem Norden war ungebrochen und Wasser bot sich in Hülle und Fülle durch den kleinen Fluss, der sich auf die Stadt zuschlängelte und diese später unterirdisch versorgt hätte, wären die Brunnen nicht verschlossen worden.
Nah lag jedoch irgendeine Krankheit, die hier grassierte, doch waren die Freunde zu weit weg, um etwas zu erkennen. Schulterzuckend wandten sie sich schließlich ihrer Jagd zu und entdeckten eine Patrouille, die wie so oft ihre Runden nicht zu ernst nahmen und lautstark debattierten. Armand und Sergej schoben sich näher an die sechs Soldaten heran und überholten sie schließlich.
Alle sechs zu töten, wäre nicht nur zu auffällig gewesen, es hätte einen ziemlichen Tumult gegeben und dazu waren sie noch zu dicht am eigentlichen Lager.
Sergej versteckte sich in einem dichten Gebüsch während Armand ein Stück weiter einen Baum erklomm und sich auf einen dicken Ast legte, der sich über den Weg neigte, den die Soldaten entlang gingen.
Die Männer gingen in Zweiergruppen und hielten geringe Abstände zueinander. Als Sergej den ersten blitzschnell ins Gebüsch zerrte, blieb sein Kamerad verwirrt stehen und sah sich um. Armand nutzte seine Chance und packte ihn am Kragen, um ihn mit Schwung nach oben zu ziehen.
Sekunden später war von ihnen nichts mehr zu sehen und die Kameraden, die einige Schritte später das Verschwinden bemerkten, sahen sich ratlos in der Dunkelheit um.
Armand hatte sofort seine Zähne in den Hals seines Opfers geschlagen und gleichzeitig eine Hand auf Mund und Nase des Mannes gepresst. Mit seinem Körper verhinderte er das Strampeln des Soldaten und sog gierig das Blut aus den Adern. Doch schon nach wenigen Zügen zog er angewidert den Kopf zurück und starrte auf seine sterbende Beute.
Der Mann sah aus wie alle anderen Mongolen auch. Klein, drahtig, eine gelblich-braune Haut und schmale, schräg stehende Augen. Rein äußerlich entdeckte Armand keinen Grund für den widerlichen Geschmack, der ihm auf der Zunge brannte.
Während die Soldaten fluchend weiter gingen und sich gegenseitig die schlimmsten Strafen für dieses unerlaubte Entfernen vorschlugen, ließ Armand völlig von seinem Opfer ab und spie das Blut wieder aus, das diesen bitteren Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen hatte. Er sprang vom Baum herunter und betrachtete Sergej, der hungrig und ohne zu zögern trank.
"Mein Essen war verdorben." beschwerte sich Armand und wischte sich den Mund ab. Sergej blickte ihn an und grinste.
"Zu alt? Oder besoffen?" erkundigte er sich wenig mitfühlend. Armand zuckte mit den Schultern.
"Weder noch. Irgendwas anderes, vermute ich. Egal, ich brauche was Neues." Damit verschwand er in der Dunkelheit und machte sich alleine auf die Jagd. Sergej zog seinen Soldaten tiefer in das Gebüsch hinein und kletterte zu dem Toten, den Armand auf dem Baum hatte liegen lassen. Neugierig geworden betrachtete er den Soldaten genauer und zog den Kragen der Uniform auf, um den Oberkörper zu sehen. Da er hier nichts besonderes entdeckte, schob er erst die Ärmel hoch und zerrte dann einen Stiefel vom Fuß herunter. Was er am Bein sah, ließ ihn angewidert das Gesicht verziehen.
Der ganze Unterschenkel war mit eitrigen Pusteln übersäht. Einige von ihnen waren extrem angeschwollen, alle miteinander stark gerötet. Mit bebenden Fingern schob Sergej die Hose weiter hoch und entdeckte die gefürchteten Schwellungen in den Kniekehlen.
Er starrte fassungslos auf die Leiche und wusste, dass er nicht weiter suchen musste. Sergej ließ den Toten los und wischte sich hastig die Hände ab. Armand hatte verseuchtes Blut getrunken. Sergej hatte diese Seuche bereits erlebt.
Der schwarze Tod war mit dem Heer vor den Toren Kaffas angekommen.

1 Kommentar:

  1. Die haben die Pest mitgebracht? Das war es also was vor den Toren gelauert hat. Jetzt müssen die Stadtbewohner eigentlich nur noch durchhalten und warten, bis das Heer sich von selbst dezimiert.

    Ob die Mongolen noch auf die Idee kommen ihre Leichen über die Stadtmauern zu schießen um dort die Krankheit zu verbreiten? Aber bisher verbrennen sie die Leichen ja, was den komischen (vermutlich süsslichen) Geruch in der Luft erklärt.

    Und was ist nun mit Armand? Reicht die Heilkraft der Vampire um die Pest zu überstehen? Wie lange wird er dafür brauchen? Oder hat er sich gar nicht angesteckt? Ich hoffe mal er hat die Weitsicht sich so zu verhalten, dass er nicht auch noch die anderen ansteckt. Speziell Ebru und Siti.

    Eine Flucht mit einem pestkranken Armand wird jedenfalls schwerer denn je.

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.