Samstag, 28. Mai 2011

Noctambule II: Das süße Mädchen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Ganz entgegen seiner eigenen Warnung, nicht mehr alleine unterwegs zu sein, genoss Sergej es sehr, ohne Begleitung umherzustreifen. Zwar hing er sehr an seinem Freund Armand und die kleine Anya war niedlich. Aber mehr und mehr sehnte er sich wieder danach, unterwegs zu sein, unabhängig von anderen und ohne ständig diesem lästigen George über den Weg zu laufen.

Dafür war er sogar bereit, George aus dem Weg zu gehen. Er war und würde niemals ein wirklicher Kämpfer sein. Er mochte diese Schlägereien nicht und hatte nicht den verbissenen Willen, immer als Sieger davon zu gehen. Sich an dem Kampf gegen George zu beteiligen entsprang einfach nur der Loyalität seinen Freunden gegenüber.

Auf der anderen Seite war da die kleine Miriam, die ihn mit ihrer naiven Unschuld in den Bann gezogen hatte. Es war kaum zu glauben, dass dieses Mädchen es geschafft hatte, eine so tiefe Freundschaft zu Anya aufzubauen, dass sogar Armand sich Sorgen um ihr Wohlergehen machte. Er und Armand hatten sehr genau Anyas ausführlicher Schilderung ihres Besuches gelauscht und darüber nachgedacht, wie man der Kleinen helfen konnte.
Als Sergej die Stadt erreicht hatte, herrschte bereits tiefe Dunkelheit. Der Nebel hatte laut Maurice den ganzen Tag angehalten und noch immer war die Luft feucht und kalt. Sergej achtete verstärkt auf eine spürbare Nähe Georges, huschte aber beruhigt weiter, von den Städtern ungesehen und unbemerkt.
George war irgendwo, aber nicht in seiner Nähe. Das gefiel ihm.
Er hatte Miriams Haus schnell erreicht und beobachtete es eine Weile im Schatten der gegenüberliegenden Häuser. Der Comte hatte sich ein hübsches, hohes Haus ausgesucht, frei stehend natürlich und sogar eine kleine Stallung war im Hof untergebracht. Ein Comte besaß selbstverständlich auch einen eigenen kleinen Fuhrpark.
Sergej interessierte sich nicht für das wenige Personal, das noch auf den Beinen war. Er beobachtete die Fenster, besonders das eine im Obergeschoss des Hauses, hinter dem er Miriam vermutete. Das würde er bald herausgefunden haben, denn die Fassade des Hauses mit ihren Zierblöcken und Fenstersimsen bot eine herrliche Kletterpartie an.
Im Erdgeschoss waren die Vorhänge zugezogen aber er konnte dennoch Licht in einem der Räume erkennen. Zweifelsohne war der Comte noch wach. Eine Gesellschaft war nicht im Hause, sonst wären die Vorhänge nicht zugezogen. Man zeigte gerne fröhliche Feste. Sergej kombinierte, dass dort das Arbeitszimmer sein musste.
Schnell hatte er seine Kletterstrecke herausgefunden und nachdem die Straße ruhig und leer blieb, überquerte er sie schnell und sprang an der Hausfront hoch. Er wurde zu einem huschenden Schatten, der sich in gewaltigen Sprüngen von Sims zu Sims fortbewegte und erreichte so Miriams Fenster ohne große Schwierigkeiten. Wie Anya zuvor hielt er sich an der Regenrinne fest und stellte einen Fuß auf den Fenstersims. Lächelnd betrachtete er das junge Mädchen, das vor dem Kamin hockte und still ins Feuer sah.

Sie trug offensichtlich bereits ihr Nachthemd, einen reinweißen Baumwollstoff, der lose an ihrem Körper herabhing, bequem genug zum Schlafen, aber züchtig geschlossen und mit hübschen Spitzen verziert. Sergej legte den Kopf schief und lächelte.
In diesem Nachthemd wirkte sie noch unschuldiger und zerbrechlicher als in ihren schönen Kleidern. Er beschloss, ein vorsichtiges Klopfen zu wagen. Sie kannte ihn und würde wohl kaum vor Schreck Alarm schlagen.
Miriams Kopf schoss herum. Als sie Sergejs blasses Gesicht an ihrem Fenster erkannte, sprang sie vor Schreck auf und hielt sich die Hand vor den Mund. Ihre Augen weiteten sich kurz, dann schaute sie hektisch zur Tür und zögerte. Ihre Wangen begannen sich zu röten. Hastig lief sie zur Tür und schob einen Riegel vor. Dann griff sie zu einem leichten Hausmantel, der über ihrem Bett lag und warf ihn sich über. Verlegen knotete sie ihn zu, um wenigstens halbwegs züchtig bedeckt zu sein und lief zum Fenster.
"Sergej!" wisperte sie und zog die Fensterflügel weit auf. "Hat Anya Euch geschickt?" Sie trat einen Schritt zurück, um ihn hineingleiten zu lassen. Verzückt stellte Sergej fest, dass sie heftig atmete und dunkelrot geworden war. Er grinste breit und zeigte eine formvollendete Verbeugung.
"Es ist mir ein Vergnügen, Mademoiselle la Cometesse." raunte er leise und zwinkerte. Unwillkürlich knickste Miriam als Antwort, aber ihr Blick blieb aufgeregt fragend.
"Nein, Anya hat mich nicht geschickt. Ich kam aus eigenem Antrieb. Ich hatte Sehnsucht nach Eurer Gesellschaft." erklärte er leise. Miriam errötete noch mehr. Verlegen fuhr sie über ihre offenen Haare.
"Aber es ist sehr unschicklich, durch mein Fenster zu steigen! Und ich bin überhaupt nicht gesellschaftsfähig gekleidet!" wisperte sie. Sergej musste sich anstrengen, um nicht laut zu lachen.
"Ohja, es ist sehr unschicklich. Aber ich bezweifle, dass Euer Vater mich zu Euch ließe. Und Ihr seht einfach entzückend aus." erklärte er mit leicht amüsierter Stimme. Miriam schluckte und schloss das Fenster wieder.
"Ich kann Euch nichts anbieten. Oh, ich habe noch ein paar Stücke Fleisch und Obst hier." sie griff nach dem Teller, den ihre Amme hoch gebracht hatte. Aber Sergej winkte ab und bremste ihre Hand, bevor sie den Teller greifen konnte. Lächelnd hielt er ihre Hand in seiner fest und streichelte mit dem Daumen ihren Handrücken.
"Ich habe keinen Hunger." erklärte er sanft. Das war nicht einmal gelogen. Er war gierig, nicht hungrig. Er hörte ihr heftig pochendes Herz, das Rauschen ihres Blutes und ihren schnellen, verlegenen Atem. Sie faszinierte ihn auf eine für ihn völlig neue Weise und zum xten Mal fragte er sich, ob Armand sich bei Anya ebenso gefühlt hatte.
Miriam senkte den Blick auf seine Finger, die ihre Hand hielten. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe und atmete tief ein. Ein Schwall verschiedenster Gefühle kämpfte auf einmal in ihr.
Da war immer noch die Verzweiflung über ihren Vater und seine Sturheit. Plötzlich war ihre Abreise zum Greifen nah und wurde unerwünschte, kalte Wirklichkeit. Ihr ganzes Leben stellte sich gerade auf den Kopf und sie fühlte sich einsamer denn je zuvor.
Sie würde ihr Elternhaus verlassen und eine völlig neue Welt kennenlernen, aber ihr fehlte jede Abenteuerlust dafür. Die Aussicht auf einen fremden Mann, der sie heiraten sollte und dem sie den Rest ihres Lebens ausgeliefert sein würde, machte ihr Angst.
Dazu kam nun, dass ein Mann in ihrem Zimmer stand. Sie war nicht richtig angezogen und er war durch ihr Fenster geklettert wie Anya zuvor. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass man so klettern konnte! Offenbar konnte jeder in ihr Zimmer klettern und niemand hatte je darüber nachgedacht. Ob sie auch herunterklettern konnte wie Anya?
Ihre Gedanken kehrten zu Sergej zurück. Es war höchst unanständig, dass er zu dieser Uhrzeit völlig unangemeldet hier war und noch dazu in ihrem Schlafgemach! Eigentlich war das ein Skandal. Aber wen juckte das noch? Wer interessierte sich denn noch für sie?

1 Kommentar:

  1. Ich hatte recht! Es ist Miriam!

    Arme verlassene Miriam. Sie steht da und Sergej der faszinierende Mann steht vor ihr. Sie war doch schon von Anyas Erzählungen über ihre Affäre völlig in Bann gezogen. Und jetzt gibt sich die Chance auf eine eigene?

    Werden die vier tatsächlich eine Vampirhippiekommune? :D Tauschen Sergej und Armand die Mädchen? Na gut, das ist albern :P

    Ihre Faszination ist völlig verständlich. Und wenn sie sich schon Gedanken darüber macht, ob sie hinunterklettern kann, ist es nicht mehr weit zu Gedanken, dem ungeliebten Schicksal zu entgehen und sich ihm auf ganz eigene Weise zu entziehen.

    Wo bleibt Mama mit ihrem Plan C? Wenn sie ihr Töchterchen behalten will muss sie Stacheldraht ums Fenster machen und sich außerdem beeilen.

    Liebe Grüße
    Joe

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