Mittwoch, 20. April 2011

Noctambule II: Hinaus!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Als der Comte das Zimmer seiner Tochter betrat, fand er die Mädchen mit großen Augen vor. Miriam saß im Nachthemd vor ihrem Frisiertisch und Sofie bürstete das lange Haar, das von der hochgebundenen Frisur einer Zofe noch verknotet und zerzaust gewesen war.
Mit seinem Eintreten ließ Sofie von Miriams Haaren ab und blieb reglos hinter Miriam stehen. Ihr Mund war trocken und ihr Herz schlug bis zum Hals.
Miriam hatte die Finger im Schoß ineinander verschränkt. Ihre Daumen spielten nervös miteinander, aber ihr Gesicht strahlte eine Mischung aus Angst und Trotz aus. Mit großen Augen sah sie zu ihrem Vater auf, der sich nun vor ihr aufbaute, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

"Ich wünsche zu erfahren, was du mitten in der Nacht draußen zu suchen hattest!" verlangte er streng. Miriam konnte seinem bohrenden Blick nicht stand halten und senkte die Augen auf ihre Finger. Auch wenn sie nun gerne Ausflüchte genommen hätte, schien ihr der Rat Sofies der bessere Weg zu sein. Aber einfach war es nicht.
"Ich wollte zu Anya." hauchte sie leise und verzog das Gesicht in Erwartung eines Wutausbruchs. Aber es kam keiner. Totenstille lag in ihrem Zimmer. Sie hörte nur das schnaufende Atmen ihres Vaters, der um Fassung rang.
"Wie bitte?" jappste er schließlich. Miriam wagte einen kleinen Blick in sein Gesicht. Er war nun selbst blass geworden und starrte sie völlig entgeistert an.
"Ich.. ich wollte doch nur.. ich konnte nicht.." Was sollte sie denn überhaupt sagen? Dass sie ihren Vater verraten und Anya warnen wollte? Dass sie ihre eigene Sicherheit und die gesamte Sicherheit der Stadt mit diesem Verrat aufs Spiel gesetzt hatte? Mit einem Schlag wurde ihr die ganze Tragweite ihres Tuns bewusst und spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich.
"Ich.. ich weiß, dass Anya keine Mörderin ist, Vater! Ich wollte sie sehen!" stammelte sie endlich. Ihr Vater stand reglos vor ihr und fand eine ganze Zeit lang keine Worte. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme brüchig.
"Du willst mir gerade erzählen, dass du dich meinem Verbot widersetzt hast und mitten in der Nacht verkleidet durch die Straßen gelaufen bist… alleine und völlig ohne Schutz.. um eine mögliche Verbrecherin zu sehen und ihre Hand zu halten?"
Auf diese Weise zusammengefasst klang ihr kleiner Ausflug überhaupt nicht mehr wie ein spannendes Abenteuer, sondern wie eine schreckliche Dummheit. Verzweifelt mit den Tränen kämpfend nickte Miriam stumm und hielt den Kopf gesenkt.
Wieder brauchte der Comte lange, um Worte zu finden und das Beben darin zu unterdrücken.
"Hast du… sie gefunden?"
Miriam schluckte. Wenn sie nun die Wahrheit sagte, würde sie noch mal einen Verrat begehen. Was war denn nun der richtige Weg? Würde sie mit einer ehrlichen Antwort sich selbst ein wenig helfen können? Oder würde sie damit alles nur noch schlimmer machen?
"Hast du sie gefunden?!" Die erneute Frage kam scharf und ungeduldig. Miriam zuckte zusammen. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Mit leisem Schluchzen ließ sie zu, dass die Tränen über ihre Wangen liefen und auf ihre Finger tropften, als sie nickte.
"Sie hat mich nach Hause geschickt und mir geschworen, kein Verbrechen begangen zu haben." hauchte sie mit bebender Stimme. Noch immer wagte sie nicht aufzusehen. Nur Sofie erkannte das leichte Staunen im Gesicht des Comte.
"Sie hat dich nach Hause geschickt?" fragte er ungläubig. Miriam nickte heftig. Zu ihrer Erleichterung begann ihr Vater, vor ihr auf und ab zu laufen. Sie entspannte sich merklich, da sie nun nicht mehr von ihm fixiert wurde. Noch immer nestelten ihre Finger am Stoff ihres Nachthemdes herum.
"Wo hast du sie gefunden?" fragte der Come nun mit nachdenklich gerunzelter Stirn. Er starrte grübelnd auf den Boden, während er durch das große Zimmer seiner Tochter streifte.
"In der Nähe von ihrem Haus. Sie wusste, dass es bewacht wird." murmelte Miriam. Sie fühlte sich elend. Erst hatte sie ihren Vater verraten und dann nicht einmal dem Druck standgehalten, nicht auch noch Anya zu verraten. Aber nun würde sie nichts weiter berichten, entschied sie.
"Wo wohnt sie im Moment?" Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen und die Stimme des Comte war monoton, knapp und fast ein wenig schroff. Miriam schaute mit bebenden Lippen zu ihm auf. Diese Frage konnte sie ehrlich beantworten.
"Das weiß ich nicht."
Schweigen trat ein und es lastete schwer auf Miriam und ihrer Zofe Sofie. Der Comte durchschritt wieder und wieder das Zimmer. Miriams große Augen hingen am Gesicht ihres Vaters. Sie ahnte, dass er schwere Entscheidungen zu treffen hatte und der Druck in ihrem Magen erhöhte sich mit jeder Minute. Mit jedem Schritt wurde ihr klarer, dass die Entscheidungen in erster Linie sie selbst betrafen und nicht besonders angenehm sein würden.
Als er endlich tief durchatmend vor ihr stehen blieb, schaute sie mit Tränen in den Augen zu ihm auf und versuchte ein letztes Mal, sein Herz wie gewohnt mit ihrem flehenden Blick zu erweichen. Aber er sah nicht sie an sondern Sofie.
"Sofie, du hast dich über meine Anweisungen hinweggesetzt. Dein Ungehorsam hat deine Herrin in große Gefahr gebracht. Den Ungehorsam könnte ich ja noch gerade eben so durchgehen lassen, aber ich werde auf gar keinen Fall dulden, dass meine Familie von einer dummen, nichtsnutzigen und frechen Göre gefährdet wird! Du bist unzuverlässig!" Seine Worte waren klar, kurz und hart. Sofie begann zu schluchzen.
"Aber Monsieur le.." Er hob mit einer schnellen Bewegung die Hand und sie verstummte.
"Du bist entlassen! Ich setze ein Mädchen nicht nachts vor die Tür. Bei Sonnenaufgang wirst du dieses Haus verlassen. Erwarte keine Bezahlung und kein Zeugnis!" Sofie brach in haltlose Tränen aus. Sie fiel auf die Knie und faltete flehend die Hände.
"Bitte, Monsieur! Bitte jagt mich nicht davon! Ich verspreche auch, nie wieder ungehorsam zu sein! Bitte entlasst mich nicht!" jammerte sie verzweifelt. Miriam starrte Sofie fassungslos an. Aber ihr Vater blieb hart. Mit kalter Miene deutete er nur auf die Tür.
"Hinaus!" bellte er. Sofie weinte noch lauter. Aber sie rappelte sich hoch und stolperte mit lautem Weinen aus dem Zimmer. Miriams Tränen rollten nun ebenso haltlos wie die ihrer Zofe. Sie fühlte sich verantwortlich für Sofies Schicksal und hatte keine Ahnung, wie sie das Mädchen retten sollte.
"Papa..!" Der Comte hatte Sofie hinterher gesehen, die die Tür offen gelassen hatte. Nun drehte er sich wieder zu seiner Tochter um und schaute voller Zorn auf sie hinab.
"Kein weiteres Wort! Über deine Strafe werden wir morgen reden. Bis dahin bleibst du auf deinem Zimmer und denkst darüber nach, was du Sofie angetan hast!" Noch während Miriam sprachlos den Mund zu klappte, verließ der Comte den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Miriam zuckte zusammen und starrte blind vor Tränen auf die Tür. Dann rutschte sie laut weinend von ihrem Stuhl herunter auf den Boden, wo sie zusammengesunken kauerte und ihren Tränen freien Lauf ließ.

2 Kommentare:

  1. so war das in der zeit immer auf die kleinen angestellten ein prügeln...obwohl man selber versagt hat. naja kann sergej sich ja um sofie "kümmern" :)

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  2. Wenn einem Eltern vorhalten,w as man gerade angestellt hat, dann klingt es immer irgendwie dämlich. Aber...

    Anya verpfiffen... Schäm dich Miriam! Altes Weichei. Immer an den Grundsatz im Verfahren denken. Sie haben das Recht zu schweigen.

    Und arme Sofie. Die wird mal eben geopfert für die Untaten der Chefin. Ist ein bisschen wie im Verteidigungsministerium.... Dabei ist das Argument des Comte auch einfach Unsinn. Nicht Sofie hat Miriam in Gefahr gebracht sondern das hat Miriam höchstselbst in Angriff genommen und geschafft.
    Schauen wir mal was aus dem Armen Mädchen wird. Vielleicht bekommt sie ja wenigstens von Miriam noch einen Lohn ersetzt und ob es hilft, wenn sie ein Zeugnis schreibt?

    Gruß
    Joe

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