Sonntag, 24. April 2011

Noctambule II: Arme Sofie

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II



Sofie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Erschöpft vom Weinen und übermüdet lag sie komplett angezogen auf ihrem harten Bett in der kleinen Kammer unter dem Dach und wartete auf den anbrechenden Tag.
Immer wieder hallten die harten Worte ihres Herrn in ihrem Kopf. Sie war entlassen. In Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt, weil sie sich nicht ihrer jungen Herrin widersetzt hatte. Jetzt, im Nachhinein wusste sie es besser. Sie hätte zu Monsieur le Comte gehen und ihm von Miriams Plan berichten müssen. Dann hätte er Miriams Ausflug vereitelt und sie wäre noch in Sicherheit.
Neue Tränen quollen aus ihren geröteten Augen hervor. Sie hatte gehofft, dass Miriam noch einmal zu ihr ins Zimmer kommen würde. Aber die ganze Nacht hindurch kam niemand. So einfach wischte man sie also aus dem Gedächtnis.

Keine Arbeit zu haben und nicht einmal mit einem Empfehlungsschreiben ausgerüstet zu sein, war das Schlimmste, was ihr hatte geschehen können. Fünf kleine Geschwister hatten Zuhause Hunger und waren auf ihre monatlichen Zahlungen angewiesen. Vater würde seine Medizin nicht mehr bezahlen können und Mutter würde noch verhärmter aussehen.
Was konnte sie nur tun? Sollte sie tatsächlich nach Hause gehen und dort ihr Versagen beichten? Gab es wirklich keine andere Lösung, als in ihrem Elternhaus noch einmal Enttäuschung zu erleben und harte Worte zu ertragen?
Das Schluchzen schüttelte ihren Körper und die Verzweiflung lähmte die nächste Viertelstunde ihre Denkfähigkeit. Dann begannen die Gedankenkreise erneut. Aber nun fand sie den Anfang einer Alternative. Es musste gar nicht sein, dass ihre Eltern von ihrer Schande erfuhren. Sie konnte woanders arbeiten und ihnen trotzdem noch Geld schicken.
Niemand musste etwas erfahren. Sofie richtete sich auf und lauschte. Ganz leise hörte sie die ersten Geräusche der erwachenden Dienerschar. In der Küche wurde das Feuer im Ofen wieder angefacht, im Hof schlurfte ein Diener zum Brunnen, um die ersten Eimer mit klarem Wasser zu holen.
Sofie erhob sich und griff nach ihrem Schal. Das winzige Fenster in ihrem Zimmer zeigte ihr, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Sie würde trotzdem gehen. Hier hielt sie nichts mehr.
Traurig sah sie sich in ihrem Zimmer ein letztes Mal um. Vier Jahre hatte sie hier verbracht. Es war ihr Zuhause geworden und dennoch hatte sich nicht viel seit ihrem Einzug verändert. Einen Schrank besaß sie nicht. Sie trug meist die übliche Zofenkleidung, die man ihr gegeben hatte und die einzige Wechselgarnitur lag ordentlich zusammengelegt auf dem kleinen Tischchen unter dem Fenster.
Miriam hatte ihr ab und zu alte Kleider geschenkt. Meistens trug sie die gar nicht sondern schickte sie nach Hause. Nur eines hing auf einem Bügel an der Tür. Sie würde es nicht mitnehmen. Alles in diesem Zimmer gehörte der Familie Moureaux. Nur ihren schäbigen Schal nahm sie an sich.
Auf leisen Sohlen lief Sofie die Treppe hinunter zum Hinterausgang. Sie begegnete niemandem, denn jeder hier hatte genug zu tun mit seinen morgendlichen Aufgaben. Noch einmal atmete sie tief durch, dann zog sie den Schal enger um die Schultern und verließ das Haus.

Sofies Weg führte nicht aus der Stadt hinaus, sondern zum Hafen hinunter. Mit tief gesenktem Kopf und ohne ein einziges Mal den Blick zu heben, huschte sie an den Hauswänden entlang. Ihr Herz klopfte mächtig. Sie kannte den Weg nicht wirklich. Aber je düsterer und verwinkelter die Gassen wurden, desto sicherer war sie, dass sie ihr Ziel finden würde.
In den Hafenkneipen gab es genug Arbeit. Sie war jung und mit etwas Nachhilfe sogar recht hübsch. Vielleicht konnte sie in einer Kneipe arbeiten und wenn dort nichts zu finden war, blieb immer noch das Bordell. Ekel schüttelte sie bei dem Gedanken. Aber Jungfrau war sie schon lange nicht mehr. Sie hatte schon mit elf Jahren begreifen müssen, dass in ihrem Stand Frauen nur wenig Möglichkeiten hatten. Und wenn sie dafür Geld bekommen konnte, war das immer noch besser, als wortlos still zu halten und zu hoffen, dass es so schnell nicht wieder vorkam.
Einigen lallenden Matrosen wich sie aus, indem sie die Straßenseite wechselte. Die unflätigen Worte, die man ihr hinterher grölte, ließen sie dunkelrot werden. Damit würde sie in Zukunft leben müssen, schalt sie sich selbst und hastete weiter.
Die Tränen drohten wieder hoch zu kommen und schnürten ihre Kehle zu. Beinahe hätte sie das Schmutzwasser abbekommen, das eine alte Frau ohne weiter hinzusehen durch eine offene Tür nach draußen schüttete. Sie hatte Glück, denn nur ihre Füße und der Saum ihres alten Kleides wurden nass.
Sofie klammerte sich verzweifelt an ihren Schal und lief einfach weiter. Die Tränen verwischten ihre Sicht, aber sie ließ sie einfach laufen. Und so merkte sie zu spät, dass jemand in ihrem Weg stand. Frontal prallte sie gegen die breite Brust des Mannes und sah erschrocken auf.
Ihre Entschuldigung blieb ihr im Halse stecken. Der Mann vor ihr war ungewöhnlich bleich. Sicher hatte er zuviel getrunken, aber es verwirrte sie, dass er nicht nach billigem Fusel stank, sondern irgendwie sogar angenehm roch.
Seine Kleidung war schmutzig. Am Kragen erkannte sie sogar ein verwelktes Blatt, das sich hartnäckig in der Stickerei verfangen hatte. Trotzdem war die Haltung des Mannes eher aristokratisch.
Verwirrt starrte sie in das blasse Gesicht und registrierte nur unbewusst die schönen Züge seines Gesichtes. Die braunen Augen zogen sie in ihren Bann. Dieser Mann strahlte etwas Gefährliches aus, aber genau das übte auch eine magische Anziehungskraft auf sie aus.
"Ver..zeihung." stammelte sie schließlich doch. Sie spürte kräftige Arme, die sich um ihren Oberkörper schlangen und sie an ihn drückten. Er neigte den Kopf zu ihr herunter und schob seine Nase durch ihre Haare zu ihrem Ohr. Bebend versuchte sie, ihn sanft wieder wegzuschieben.
"Verzweiflung und Angst. Genau die Mischung, die ich liebe." schnurrte George lächelnd und entblößte dabei die messerscharfen Reißzähne. Als er sein Gebiss in Sofies zarten Hals schlug, stöhnte er genussvoll auf. Ihr Körper krampfte kurz, der Schock jagte Adrenalin in ihr Blut und während er das Leben aus ihr sog, riss Sofie ungläubig die Augen auf.
Der Schmerz des Bisses wich unendlicher Lust und Ekstase. Ihre Beine versagten den Dienst, aber sie stürzte nicht, denn Georges Arme hielten sie eng an ihn gepresst. Während es dunkel um sie wurde, schüttelte sich ihr Körper in bebender Lust.

1 Kommentar:

  1. Die Arme Sofie!

    Aber jetzt stirbt sie wenigstens glücklich. Auch wenn die Familie sich sicherlich fragen wird, was aus ihrer Tochter geworden ist. Steht zu hoffen, dass eines der übrigen fünf Kinder bald alt genug ist um zu arbeiten und Geld nach Hause zu schicken.

    Und George hat seine Tortur also überlebt? Verdammt! Und in Marseille ist er auch schon angekommen! Doppelverdammt! Eing'sperrt g'hörta. Aber Armand muss das doch merken, dass er in der Nähe ist. Oder nicht? Er hat ihn doch auch früher schon bemerkt.

    Aber jetzt sind es drei Vampire gegen die er antreten muss. Und George ist allein. Auf Verbündete kann er wohl wenig hoffen? In Marseille scheint die Vampirgesellschaft ja eher klein zu sein.

    Und was ist eigentlich mit seinem Sauberkeitsfimmel passiert? Ein Blatt hängt an seinem Kragen? Und er ist von Florenz nach Marseille gereist, ohne sich irgendwo neue Klamotten zu stehlen? Das scheint jetzt ein andere, oder zumindest veränderter George zu sein. Was eine Weile im Wald doch für Wunder wirken kann.

    Liebe Grüße
    Joe

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