Montag, 4. April 2011

Noctambule II: Das verbotene Zimmer

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Noch während er sorgsam die Feuerklappe des Herdes wieder schloss, klopfte es erneut. Diesmal allerdings wesentlich energischer, ja regelrecht herrisch! Maurice runzelte die Stirn und begab sich gemächlich zur Tür. Wer immer da so unhöflich halbwegs die Tür einschlug, wurde von ihm durch majestätische Gemächlichkeit gestraft. Verblüfft starrte er auf den Besuch.


Vor ihm stand Lechaivre, erneut herausgeputzt wie ein Pfau und mit siegessicherem Lächeln. Neben ihm, wesentlich unbehaglicher und mit sorgenvoller Miene, erkannte Maurice den Comte de Moureaux. Hinter den Beiden erschreckte Maurice jedoch die Anzahl von Gardisten, die in prachtvoller Uniform und bis an die Zähne bewaffnet mit ihren Pferden die Straße blockierten.
Maurice räusperte sich vernehmlich. So viel Aufruhr würde das Haus zum Stadtgespräch machen und dies lag sicher nicht im Sinne seiner Herrschaften. Entsprechend abweisend musterte er zuerst Lechaivre, dann den Comte mit fragend erhobener Braue.
"Ihr wünscht?" Er hatte sehr bewusst, den ranghöheren Comte angesprochen und Lechaivres Autorität damit untergraben. Das bereitete ihm einfach eine tiefe innere Befriedigung, die aber mit den nächsten Worten Lechaivres in tausend Scherben zersplitterte.
"Wir wünschen das Haus zu durchsuchen!" bellte Lechaivre und fuchtelte mit einer Schriftrolle vor Maurice's Nase, dass dieser mit dem Gesicht ausweichen musste. Der Butler hob nun beide Brauen.
"Es tut mir leid, die Herrschaften sind noch immer nicht…" Er kam nicht weiter. Lechaivre entrollte das Papier, das ein offizielles Siegel trug.
"Wir benötigen die… Herrschaften.. nicht! Dies ist eine Vollmacht des stellvertretenden Oberkommandierenden der Garde, welches Monsieur le Comte ist und jener ist sogar anwesend!" die wedelnde Handbewegung in Richtung des Comte war überflüssig. Maurice sah das bestätigende Nicken des dicken Adligen, der noch immer recht unbehaglich dreinschaute. Maurice war überfordert.
"Darf ich den Grund.." wieder wurde er unterbrochen.
"Darf er nicht! Er darf uns hereinlassen!" bellte Lechaivre und schob nun Maurice einfach an der Schulter beiseite. Während er sich an Maurice vorbeidrängte, wurde sein Grinsen noch triumphierender.
"Gibt es einen Hintereingang?"
"Ja, den Dienstbot…" Wieder wurde er unterbrochen. Lechaivre wedelte zwei Gardisten herrisch zu.
"Bewachen! Und zwei gehen auf die Hinterseite des Gebäudes!" befahl er. Während sich die Soldaten aufteilten, folgte der Comte Lechaivre hinein, seinerseits gefolgt von vier Soldaten, die sich neugierig umsahen, als würden sie eine Gruft betreten. Statt dessen sahen sie eine einladende Halle mit geschwungener Treppe nach oben, kostbaren Wandverkleidungen, Gemälden und dekorativen Pflanzen. Überrumpelt schloss Maurice die Tür hinter den Eindringlingen und setzte eine steinerne Miene auf.

Lechaivre befand sich in seinem Element. Aus seiner Sicht war dieses seltsame Paar bereits überführt. Man brauchte nur noch Beweise und die würde man in diesem Sündenpfuhl von Haus sicherlich finden.
"Betrüger und Mörder. Der scheinbare Reichtum hier kann nur von gestohlenen Geldern stammen." beschloss er. Der Comte neben ihm seufzte mit zweifelndem Blick.
"Das können wir nicht beweisen, Lechaivre! Wenn wir nichts finden, haben wir ein mächtiges Problem!"
"Wir werden etwas finden!" Lechaivre blieb auf Siegerkurs. Ohne um Erlaubnis zu fragen oder sich von Maurice führen zu lassen, schritt er zügig durch der Erdgeschoss. Der Küchentrakt interessierte ihn nicht, die Salons waren schnell besichtigt und Lechaivre schlug einige Male neidisch auf die Tasten des Klaviers. Dann marschierte er energisch die Treppe hinauf, gefolgt von einem keuchenden Comte, vier gleichgültigen Soldaten und einem empörten Butler.

Der erste Raum, den die Männer betraten, war Armands Schlafzimmer. Sofort begannen die Soldaten, Schränke und Schubladen zu öffnen. Sie fanden nicht viel. Keidung, Stiefel, einige Visitenkarten und persönliche Dinge. Lechaivre selbst übernahm den Sekretär, in dem er allerlei Papiere entdeckte und sie durchblätterte.
"Der Mann hat überall Häuser gekauft und wieder verkauft. Land besitzt er auch und .. er macht Geschäfte mit Euch?" Sein Blick wandterte verwundert zum Comte, der sich verlegen räusperte.
"Aber ja doch! Durch mich kam er an das Haus und ich lief einige.. äh.. Transaktionen über ihn laufen. Das ist doch nichts ungewöhnliches." Dem Comte war diese Durchsuchung alles andere als lieb. Ein Eingriff in die Privatsphäre angesehener Bürger, die auch noch mit seiner Familie befreundet waren, war aus seiner Sicht der Bruch jeder Etikette. Aber er hatte Lechaivre nicht weiter hinhalten können. Zu seiner Erleichterung blätterte dieser aber bereits weiter. Erneut stockte er und zupfte ein Papier heraus.
"Eine Urkunde über den Kauf eines Hauses.. sie ist über zweihundert Jahre alt!" keuchte er. Der Comte zuckte mit den Schultern.
"Meine Güte, Lechaivre! Jetzt hört doch auf, in jede Buchstaben Verbrechen zu wittern! Wie viele Familien gibt es, in denen Enkel oder Urenkel den gleichen Namen erhalten?" Lechaivres Gesicht färbte sich verlegen rot. Auch wenn der Zug der Unterschrift viel zu sehr dem aktuellen Namenszug Armands glich, konnte er kein Argument dagegen finden.
Seufzend legte er die Dokumente zurück und klappte den Sekretär wieder zu. Beim Aufstehen deutete er fragend auf die kleine Seitentür, ging drauf zu und stellte fest, dass sie verschlossen war.
"Wohin führt diese Tür?" Die Frage galt Maurice, der mit abweisender Miene neben der Eingangstür stand.
"In einen privaten Raum, Monsieur. Der Zugang ist nicht erwünscht!"
"Ha!" Lecauvre triumphierte bereits schon wieder. Noch einmal rüttelte er an der Tür. Da sie nicht nachgab, machte er einige Schritte zurück und nickte knapp einem der Soldaten zu. Der kräftige Mann reagierte sofort. Mit einem gezielten Tritt gegen die schmale Tür zersplitterte er das Holz und der Bolzen des Türschlosses gab knirschend nach. Ächzend sank die Tür schief zur Seite. Lechaivre betrat ohne zu zögern den dunklen Raum dahinter.
Zwei Soldaten folgten sofort und zogen die schweren Vorhänge zur Seite. Der Comte, der den beiden Gardisten gefolgt war, zog zischend die Luft ein. Lechaivres Kiefer klappte entgeistert nach unten. Maurice, der langsam von der Neugierde geplagt hinterher gekommen war, schluckte schwer. Was er hier sah, hätten seine kühnsten Fantasien nicht erfassen können. Wie alle anderen auch sank er in fassungsloses Schweigen.


Paul Saint Lechaivre war ein ehrgeiziger Mann. Sein Streben nach Perfektion dehnte sich in alle Richtungen aus. In seinem Haus duldete er kein Staubkorn, angelaufenes Silber hatte schon zu fristlosen Kündigungen geführt. Sein Kammerdiener hatte die Kleidung zu hegen und zu pflegen, musste sie mit teuren Parfums frei von jedem Gestank halten und die Schuhe mussten eine spiegelnd glänzende Oberfläche haben.
Der Zuspruch unter den jungen Männern, die seine neuesten Modekreationen kritiklos nachäfften, hatte ihm Höhenflüge verpasst und nachdem er die alte Schabracke Amanda Dubrés auf seiner Seite hatte, standen ihm endlich auch alle Türen in die höhere Gesellschaft offen.

Dass er nun kurz davor stand, einen der angesehensten Posten zu übernehmen, schien ihm der Gipfel einer ruhmreichen Karriere zu sein. Jetzt konnte und durfte nichts mehr schief gehen.
Als Vertreter des Herzogs hatte er bereits Einblick in so manche Verbrechen dieser Stadt erhalten. Von gewöhnlichen Diebstählen bis hin zu Mord und versuchter Vergewaltigung war ihm nichts fremd und bisher hätte er geschworen, dass ihn nichts mehr würde erschüttern können.
Dieser Moment allerdings in diesem Raum hier strafte alle seine Behauptungen Lügen. Fassungslos schweifte sein Blick über die verschiedenen Peitschen und Stöcke, die Ketten, das Kreuz und den Bock. Angewidert stierte er auf den Käfig.
Niemand bewegte sich und auch er wollte nicht wissen, was sich noch in dem kleinen Schrank befinden mochte, der so unscheinbar in der Nähe des Kamins stand. Auch wenn dies eher nach Privatvergnügen aussah, durfte er nun nicht zulassen, mit leeren Händen hier zu verschwinden. War nichts zu finden, musste man eben etwas konstruieren.
"Das ist die reinste Folterkammer." keuchte nun der Comte entgeistert. Lechaivre nickte knapp.
"Sie müssen ihre Opfer wie die Tiere gehalten haben." meinte er mit einem Blick auf den Käfig. Den Comte schüttelte es. Und er hatte seine Tochter auch noch ermutigt, mit dieser unschuldig, liebreizend wirkenden jungen Frau den Tag zu verbringen! Ein Wunder, dass ihr nichts geschehen war. Er nahm sich vor, sich mit einer großzügigen Spende an die Kirche zu wenden. Ganz nebenbei würde ihm das auch den Erzbischof von Marseille wieder ein wenig näher bringen. Man wusste ja nie, wofür man diese Kontakte noch brauchen konnte.
Maurice rang verzweifelt um Fassung. Er konnte sich nicht erklären, was diese Möbel bedeuten sollten. Aber er war so sicher, wie noch nie in seinem Leben, dass diese Männer hier etwas völlig falsches vermuteten. Kreidebleich und noch immer atemlos räusperte er sich nun.
"Ich kann Euch versichern, dass hier niemand wie ein Tier gehalten wurde, Messieurs! Die Herrschaften hatten so gut wie nie Besuch!" erklärte er fest. Lechaivre fuhr zu ihm herum und trat dicht an ihn heran. Maurice war gezwungen, den Kopf zurückzuziehen, um nicht mit Lechaivres Nase zu kollidieren.
"Er nimmt seine Herrschaften auch noch in Schutz! Steckt er mit ihnen unter einer Decke, ja? Hat er die Leichen im Garten vergraben?!" zischte Lechaivre. Maurice wurde noch bleicher und schüttelte den Kopf.
"Aber nein! Hier wurde überhaupt keine…" Wieder konnte er seinen Satz nicht zu Ende bringen.
"Wann kommen die Beiden zurück?" Maurice zuckte mit den Schultern.
"Das ist mir nicht bekannt." Lechaivre fluchte. Mit einer herrischen Bewegung scheuchte er die beiden Gardisten zu Maurice.
"Festnehmen! Ab zum Verhör!" bellte er. Die Sodaten waren nicht gerade zimperlich. Der eine verdrehte ihm den Arm auf den Rücken, der andere packte ihn schmerzhaft im Nacken.
"Ich verbitte mir diese Behandlung!" protestierte Maurice, aber die Soldaten schienen taub zu sein. Sie zerrten ihn aus dem Raum hinaus und brachten ihn nach unten. Lechaivre sah ihm lächelnd nach und wandte sich dem Comte zu, der ein schwarzes Halsband zwischen den Fingern drehte, das er auf dem kleinen Schrank entdeckt hatte.
"Das hat Madame Sanisoise immer getragen." murmelte er mit fragendem Blick. Lechaivre zuckte mit den Schultern.
"Ich bezweifle inzwischen sehr, dass sie seine Schwester ist. Die beiden sind Mörder und Verbrecher. Wir müssen ihnen das Handwerk legen. Und dieser Komplize da, der wird sie bestimmt nicht mehr warnen können!" Dem Comte fehlten Argumente dagegen. Daher legte er mit einem Seufzen das Halsband wieder weg und folgte Lechaivre nach unten.

3 Kommentare:

  1. Ja wirklich sehr nachvollziehbar, ich schleppe meine opfer durchs schlafzimmer in die folterkammer um sie dort umzubringen, dann wieder raus durchs hübsche schlafzimmer und hinein in den garten. als wenn es früher keine sammler von folterinstrumenten gab...na mal sehen was maurice noch alles erdulden muss

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  2. Der Arme Maurice - Und dieses vermaledeite Pack... Das wird Armand aber gar nicht mögen, dass er schon wieder umziehen muss.

    Hoffentlich kommt Maurice aus der Sache unbeschadet wieder heraus. Armand wird sicherlich wenig darauf verwenden, seinen Butler zu befreien. Eher muss er sich wohl auf Anya verlassen?

    Gruß
    Joe

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  3. Ich glaub ich les erst mal das erste Buch. Das ist ja irgendwie sehr verwirrend.

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