Montag, 25. April 2011

Noctambule II: Gute, alte Susanne

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Miriam hatte kaum geschlafen. Irgendwann hatte sie sich in einen erschöpften Kurzschlaf geweint, aber sie wachte bald wieder auf und neue Tränen flossen. Dass ihr Vater Sofie so hart bestrafte und ihr die Schuld dafür gab, hatte sie nicht erwartet. Immer wieder fasste sie den Entschluss, erneut das Gebot Papas zu brechen und ihr Zimmer zu verlassen, um Sofie aufzusuchen.
Aber jedes Mal verließ sie der Mut. Sie würde Sofie am frühen Morgen einfach abfangen und noch einmal mit ihr reden, beschloss sie. Doch kurz bevor der Morgen anbrach, fiel sie erneut in einen kurzen Schlaf und als sie wieder erwachte, war es bereits hell.

Es regnete. Miriams Augen brannten, während sie dumpf am Fenster sah und leer hinaus starrte. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Als ein Dienstmädchen ihr belegte Brote und warme Milch brachte, reagierte sie nicht. Sie hatte keinen Hunger. Statt dessen brütete sie über der Frage, wann sie das letzte Mal auf ihrem Zimmer hatte frühstücken müssen. Sie konnte sich nicht erinnern.
Irgendwann brachte man ihr die übliche Schale mit warmem Wasser zum Waschen. Aber auch das beachtete Miriam nicht. Zu gern hätte sie sich jetzt in die tröstenden Arme ihrer Mutter geflüchtet. Aber auch die ließ sich nicht blicken. Offenbar war ihre Verfehlung noch schlimmer, als Miriam befürchtet hatte.
Ihre alte Amme Susanne klopfte irgendwann vorsichtig an und betrat Miriams Zimmer auch ohne dass Miriam sie herein rief. Kopfschüttelnd betrachtete Susanne das zusammengesunkene Mädchen am Fenster und stieß ein tiefes Seufzen aus. Watschelnd schob sie ihren übergewichtigen Körper durch das Fenster und begann, Miriams zerzauste Haare mit den Händen zu glätten.
Miriam schloss die Augen. Diese plötzliche, liebevolle Zuwendung öffnete neue Schleusen und wieder schüttelte sie heftiges Schluchzen. Susanne ließ sie weinen und streichelte sanft die weichen, braunen Haare. Schließlich griff sie zu der Bürste und begann, beruhigend langsam Glanz in Miriams Schopf zu bürsten.
Erst als Miriam sich wieder beruhigt hatte und nun ihr nasses Taschentuch zerknüllte, atmete die alte Amme auf.
"Ach, Kindchen. Die Suppe wird niemals so heiß gelöffelt, wie sie eingeschenkt wird." versuchte sie zu trösten. Miriam schüttelte unwirsch den Kopf.
"Aber Papa ist wirklich böse auf mich." Sie lehnte die heiße Stirn an die kalte Fensterscheibe und seufzte tief. In der Stille ihres Zimmers klangen die Regentropfen, die gegen das Fenster trommelten, wie kleine Explosionen. Das monotone Geräusch verschlimmerte Miriams Verzweiflung nur noch. Auch Susanne wusste keinen Rat. Immer wieder schüttelte sie hilflos den Kopf.
"Jetzt ziehen wir dich erst einmal an, Kindchen und dann isst du ein paar Happen. Das hilft immer." erklärte sie fürsorglich aber mit dem entschiedenen Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Sie zog Miriam an den Schultern hoch und begann, das zerknautschte Nachthemd aufzubinden. Miriam ließ sich wortlos helfen. Fast apathisch ließ sie sich ausziehen und mit dem inzwischen kalten Wasser waschen.
"Wir machen dich richtig hübsch. Dein Papa liebt es, wenn du süß aussiehst. Das stimmt ihn milde." erklärte Susanne energisch. Wo sonst wilde Diskussionen begannen, welches Kleid sie heute tragen würde und warum nicht dieses, sondern jenes, ließ sich Miriam heute gleichgültig einkleiden.
Susanne drückte ihr Ziehkind auf den Stuhl vor dem Frisiertisch und begann diesmal energisch, die Haare zu bürsten und in eine Frisur zu zwingen. Miriam ließ auch dies gleichgültig über sich ergehen. Die Brote aber rührte sie nicht an. Ihr war zu elend, um auch nur einen Krümel in ihren revoltierenden Magen zu zwingen und Susanne bestand nicht weiter darauf.
Schließlich war sie endlich fertig. Miriam war salonfähig gekleidet und das kräftige Tätscheln ihrer Wangen brachte kurzfristig ein wenig Farbe in ihr bleiches Gesicht, auch wenn vornehme Blässe eher gewünscht war. Susanne war viel zu mütterlich um nicht mit allen Tricks zu versuchen, Miriam frischer und gesünder aussehen zu lassen.
Da es nichts mehr zu tun gab, Miriam aber noch immer traurig und abwesend wirkte, seufzte Susanne. Sie hatte ihr Bestes gegeben. Insgeheim verwünschte sie den Comte, der seine Tochter so lange schmoren ließ. Sie umarmte Miriam und verließ das Zimmer mit tiefen Sorgenfalten.

1 Kommentar:

  1. Tjaaaa ein paar Sätze zu Sofie hätten ihr vielleicht das Leben gerettet. Aber die Strafpredigt in der Nacht hat wohl schon gut gesessen.

    Und nun kann sie nur hoffen, dass Susanne recht hat und sich das Gemüt des Herrn Papa bereits genügend abgekühlt hat über Nacht. Und sie mit ihrem süssen Auftritt vielleicht ein wenig Milde erreichen kann.

    Aber der Comte mag es sicherlich nicht, wenn seine Anweisungen missachtet werden. Und ich bin ziemlich sicher, dass es ihm nicht genügt, Sofie dafür in die Wüste zu schicken.

    Und welche Rolle wird seine Frau noch zu spielen haben. Gestern wollte sie ihren Mann mit Sex besänftigen. Ob ihr das heute gelingt? Oder greift sie zu anderen Waffen?

    Leonidas sagte eins: "Mein Sohn beherrscht ganz Griechenland." Als man ihn fragte, wie das sein könne, sagte er: "Sparta beherrscht Griechenland - ich beherrsche Sparta - Meine Frau beherrscht mich und mein Sohn beherrscht meine Frau...."

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