Sonntag, 10. April 2011

Noctambule II: Einbruch ins eigene Haus

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Als er nach ihr greifen wollte, schmiegte sie sich bereits wieder an ihn. Er spürte ihre Finger streichelnd auf seiner Augenbinde und lächelte leicht.
"Ich kann dich trotzdem sehen, mein Kleines. Und du bist wunderschön." Seine Stimme klang ein wenig rau. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als die neue, veränderte Anya zu sehen. Gleichzeitig hatte er Angst davor, dass sie sich zu sehr verändert haben könnte und ihre scheue Unschuld nun endgültig verloren war.

Seine schwarzen Haare fielen in einigen Strähnen tief in sein Gesicht, als er seinen Kopf zu ihr herunter beugte. Sie kitzelten Anyas Gesicht, das sie zu ihm hoch gehalten hatte, weil sie auf einen Kuss hoffte. Sie bekam ihn und schluchzte kurz in diesen Kuss hinein, was nur bewirkte, dass Armand sie noch fester an sich drückte.
"Es wird alles gut, du wirst sehen." versuchte er sie zu trösten. Anya hatte Zweifel. Der Verlust seines Augenlichtes bedeutete, dass sie sich um ihn würde kümmern müssen. Der Schutz und die Geborgenheit, die er früher ausgestrahlt hatte, waren verloren gegangen. Nun war es an ihr, ihn zu führen, ihm seine Beute zu bringen und auf seine Sicherheit zu achten. Er konnte nicht einmal mehr seinen großartigen Kleidergeschmack umsetzen, denn sie würde ihm seine Kleidung auswählen müssen.
Vorsichtig suchte sie nach den richtigen Worten.
"Warum musst du unbedingt noch einmal in das Haus? Kann ich das nicht alleine für dich tun?" Armands Mundwinkel zuckten kurz.
"Das Haus wird bewacht, Anya. Wir können kein Licht machen, ohne entdeckt zu werden. Aber ich weiß, wo die wichtigen Dinge liegen, die wir für ein neues Leben brauchen." erklärte er ihr. Sie schüttelte leicht den Kopf.
"Dann erklär es mir. Ich kann nachts besser sehen, als früher." Er begann zu grinsen.
"Ich vergaß.. "murmelte er leise und strich sanft über ihre Wange.
"Dann erklär es schnell, Kumpel. ich hörte eine Unterhaltung zweier Gardisten. Gleich ist Wachwechsel und die neuen werden nicht so müde und unaufmerksam sein wie die alten." hörten die beiden Sergej grinsend sagen, bevor sein Gesicht neben ihnen in der Dunkelheit auftauchte.

Das Haus stand nicht frei und von Garten umgeben, sondern war rechts und links von anderen Häusern umgeben, nur durch eine dicke Brandschutzmauer voneinander getrennt. Der Garten des Hauses zog sich weit nach hinten, war aber wie alle anderen Häuser auch von einer hohen Mauer schützend umgeben, die nur von geübten Kletterern überwunden werden konnte. Direkt dahinter lagen die Gärten anderer Häuser, die wiederum eine geschlossene Front zur Parallelstraße bildeten.
Lechaivre hatte es daher nicht für nötig gehalten, den Garten selbst zu bewachen, geschweige denn Gardisten im Garten zu positionieren. Was niemand bedacht hatte war das Hoftor des schräg gegenüber liegenden Hauses, das die drei nun ansteuerten.

Ein kurzes Antesten bewies, dass man das Tor nachts brav abschloss. Anya zupfte eine der wenigen Haarnadeln aus ihrem Haar, die sie noch nicht verloren hatte und reichte sie Sergej. Sergej griff nach dem stabilen Metall und bog es leicht. Dann begann er vorsichtig in dem Schloss nach dem Riegel zu tasten.
Es dauerte eine Weile bis die Drei das leise Klicken hörten, mit dem der innere Riegel sich löste. Grinsend reichte Sergej die verbogene Nadel Anya zurück und öffnete das Tor. Die Drei verschwanden im tiefen Dunkel der Einfahrt. Armand schloss das Tor leise und zog sich in eine Ecke zurück. Er würde hier warten, bis Anya und Sergej wohlbehalten wieder bei ihm waren.
Wieder waren Sergej und Anya gemeinsam unterwegs und dabei, in ein Haus einzubrechen. Diesmal in ihr eigenes.
Geschmeidig und schnell überwanden sie die Gartenmauern, bis sie endlich lautlos auf dem weichen Rasen des eigenen Grundstücks landeten und sich lauschend umsahen. Nichts rührte sich. Anya wischte sich die feuchten Hände an der Hose trocken.
Es war schon seltsam, dass sie nun deutlich nervöser war als in Florenz. Sie konnte das nur damit begründen, dass es damals um Armands Rettung ging. Das war so wichtig und existenziell für sie gewesen, dass sie nicht weiter nachgedacht hatte. Nun war es aber irgendwie anders.
Dann deutete sie auf ein offenes Fenster im Küchentrakt. Stumm wandte sich Sergej bereits dem Fenster zu und sprang an der Hauswand hoch. Mit der Schnelligkeit einer Katze erklomm er den kleinen Sims unter den Fenstern und schob sich durch das Fenster, ohne den Fensterflügel überhaupt zu berühren. Er wartete auf Anya und lächelte ihr kurz zu, als sie Sekunden später neben ihn sprang und ihn angrinste.

Das Feuer im Küchenofen war erloschen und die Asche kalt. Anya prüfte die Asche stirnrunzelnd mit den Fingern.
"Maurice lässt sonst niemals das Feuer ausgehen." murmelte sie leise. Sergej zuckte mit den Schultern. Skeptisch betrachtete er eine angetrocknete Scheibe Brot auf einem Teller. Fliegen schwirrten um das Fässchen mit Käse, das geöffnet auf dem Tisch stand. Ihr Summen war laut in der nächtlichen Stille. Anyas Blick glitt unbehaglich zu Sergejs Gesicht. Maurice schien das Haus hastig und überstürzt verlassen zu haben. Das war untypisch für ihren treuen Butler und alarmierte sie.
Lautlos schlichen die Beiden durch das dunkle Haus in den ersten Stock hinauf. Zielstrebig führte Anya zu Armands Schlafzimmer und trat vorsichtig durch die Tür. Die Vorhänge waren zurückgezogen. Anya erkannte sofort, dass das Zimmer durchsucht worden war. Die Tür des Kleiderschranks stand offen, etliche Kleidungsstücke lagen auf dem Boden. Der kleine Sekretär hatte jede Ordnung verloren. Die Schubladen standen offen, Papiere lagen durcheinander. Sie sog scharf die Luft ein, als Sergej sie an der Schulter griff und stumm auf die zertretene Tür deutete, die schief in den Angeln hing.
Anya genoss die neuen Fähigkeiten, die sie in den letzten Tagen genauer kennen gelernt hatte. Hatte sie früher in der Dunkelheit nur Umrisse erkannt, sah sie nun deutlich jede Einzelheit. Selbst in den dunkelsten Schatten waren Details erkennbar. Dafür blendete Tageslicht nun schmerzhaft in den Augen. Auch ihr wesentlich feineres Gehör war ein Hochgenuss für sie.
Schritte und Atemzüge konnte sie bereits aus großer Entfernung hören und so einige Male hatte sie genussvoll erfahren, dass sie sogar das angstvolle Schlagen eines menschlichen Herzes hören konnte. Ebenso duftete menschliches Blut nun betörend und löste gierigen Hunger aus. Die leckersten Gerichte, deren Duft sie früher beim Vorbeiziehen eines Gasthauses gierig eingeatmet hatte, waren nun völlig gleichgültig geworden.
Die Nachtsicht war in diesem Haus eine willkommene Gabe. Zielstrebig und lautlos umging Anya umher liegende Holzsplitter, als sie die zerborstene Tür durchquerte und das geheime Zimmer betrat. Nur die Tatsache, dass Sergej ihr folgte, ließ sie erröten. Mit verlegen abgewandtem Gesicht huschte sie zu dem kleinen Schrank, der offensichtlich nicht geöffnet worden war.
Sergej grinste nur breit, schwieg aber als er die Einrichtung betrachtete. Er kannte Armands Vorlieben und die Möbel waren ihm selbst auch nicht unbekannt. Allerdings amüsierte ihn die sichtbare Verlegenheit Anyas und er konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie ihr zierlicher Körper am Kreuz wohl wirken musste.
Während Anya zielsicher den Schrank etwas abrückte und die Rückwand abtastete, strichen seine Finger über das Leder des Bocks. Das kleine Rascheln, das Anya auslöste, als sie den Briefumschlag entdecke und von der Rückwand löste, ließ ihn aufsehen und lächeln. Er beobachtete, wie sie auf ihn zugehen wollte, aber plötzlich mit einem Blick auf die Kommode stehen blieb.

1 Kommentar:

  1. Ein Briefumschlag ist das wichtigste im Haus? Was da wohl drin ist.

    Und ob Sergej noch Lust auf ein kleines Intermezzo bekommt. Er scheint ja auch eine Vorliebe für Anya zu haben. Und wenn die Möbel ihm nicht unbekannt ist, weiss er vielleicht auch, wie sie benutzt werden?

    Ob Anya noch nach Maurice schauen wird? Wenn sie merkt, dass er weg ist, bin ich gespannt, wie stark ihr menschliches Mitgefühl noch ist.

    Gruß
    Joe

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