Samstag, 12. März 2011

Noctambule: Typisch Frau!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Ein seltsames Körpergefühl beschlich Anya, als ihr Bewusstsein langsam wieder einsetzte. Laut und deutlich hörte sie das Schlagen eines Herzens und spürte eine angenehme Körperwärme. Ein Arm stütze und umschlang sie so, dass ihre Wange an einem Oberkörper lag, ein anderer Arm lag quer über ihrem Bauch und hielt sie fest.
So hatte sie mit Armand noch nie gelegen, aber es gefiel ihr. Seufzend schmiegte sie ihre Wange fester an den Oberkörper und sie atmete genussvoll ein. Aber etwas stimmte nicht. Ihr Geruchssinn war feiner als je zuvor. Und dieser Körper roch zwar gut, aber es war nicht Armand. Sie runzelte die Stirn.

Dann setzte die Erinnerung wieder ein. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augen.
Sergej! Sie lag in Sergejs Armen! Erinnerte sie sich denn richtig? Hatte Sergej ihr wirklich gesagt, dass Armand noch lebte? Hatte sie wirklich verlangt, dass Sergej sie verwandelte?
Als sie ihre Augen öffnete sah sie in das lächelnde Gesicht des Freundes. Fragend musterte sie ihn und versuchte verzweifelt, sich an die letzten Stunden zu erinnern. Aber in ihrem Gedächtnis war nur Schmerz.
"Du bist unglaublich schön." raunte Sergej leise und nickte bekräftigend. Anya blinzelte irritiert. Warum sagte er das? Wusste er denn nicht, dass sie Armand wirklich liebte? Oder hatte sie sich so sehr verändert? Mit der Zunge tastete sie nach ihren Zähnen und spürte das scharfe, ungewohnte Gebiss.
"Armand?" Anyas Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren sanfter, weicher und melodiöser. Sie wüsste zu gerne, wie sie nun aussah. Neugierig regte sie sich, um ihren Körper besser zu spüren. Sie hatte keine Schmerzen. Im Gegenteil, sie fühlte sich kraftvoll und völlig gesund. Lediglich ein wenig benommen.
Sergejs Gesicht verdüsterte sich.
"Armand ist in einem Haus gefangen. Ich kann es dir nachher zeigen. Jetzt geht es nicht." Seine Augen deuteten nach draußen und Anya drehte den Kopf. Das helle Tageslicht, das durch die zertrümmerte Decke der Ruine in den vorderen Bereich fiel, blendete sie sehr. Sofort drehte sie den Kopf weg und blinzelte, um ihre brennenden Augen zu beruhigen. Sie empfand spontan tiefe Abneigung gegen die Sonne.
Als sie sich aufrichtete, ließ Sergej sie sofort los. Anya sah an sich herunter. Ihr Kleid war schrecklich schmutzig und so zerrissen, dass es teilweise in Fetzen an ihr hing. Ihre nackten Beine, die durch die Stoffrisse deutlich hindurch schimmerten, waren zwar schmutzig, aber die Haut makellos und ohne Verletzungen. Ebenso ihre Arme. Verwundert strich sie über die Haut und betastete ihr Gesicht, nicht ohne das amüsierte Lächeln Sergejs zu bemerken. Nur ihre schönen, blonden Haare waren strähnig und verklebt, wie sie tastend feststellen musste.
"Beweg dich langsam. Du musst dich erst an deine neuen Kräfte gewöhnen." riet Sergej schmunzelnd. Ohne Mühe stand Anya auf. Jetzt erst bemerkte sie ihr zerrissenes Dekollete und versuchte es zu schließen, was nur dürftig gelang. Sie errötete leicht, aber Sergej hatte nicht einmal hingesehen. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie lange er wohl ihre Brüste angestarrt hatte.
"Ich brauche etwas zum Anziehen." murmelte sie und sah resigniert an sich herunter. Nun lachte Sergej offen.
"Typisch Frau!" er blieb entspannt an die Wand gelehnt sitzen und beobachtete sie. Auch Anya lächelte. Sie schämte sich ein wenig über ihren Satz. Aber sie wollte tatsächlich nicht halbnackt vor Sergej stehen. Tastend befühlte sie ihren Hals. Das fehlende Halsband ließ sie schlucken. Aber etwas anderes verwirrte sie viel mehr. Ihre Haut war makellos weich und glatt.
"Da sind keine Verletzungen mehr." stellte sie erstaunt fest. Sergej schüttelte den Kopf.
"Nein. Du verfügst nun über mehrere neue Eigenschaften. Eine davon ist, dass deine Wunden verdammt schnell wieder verschwinden, wenn sie nicht zu tief sind." erklärte Sergej ruhig. Anya dachte sofort an Armand und hatte wieder das schreckliche Bild vor sich, wie Armand blutend auf der Straße lag.
"Nicht zu tief… Aber Armand war schwer verletzt!" Sergej nickte seufzend.
"Das stimmt. Die Wunden haben sich zwar wieder geschlossen, aber er ist noch sehr schwach. Hoher Blutverlust und wenig Ruhe. Er wollte nicht warten und verfolgte George so schnell es ging." berichtete er. Anya begann auf und ab zu gehen. In ihren Beinen spürte sie neue, ungewohnte Kraft. Zwar hielt sie sich an Sergejs Rat und machte langsame Schritte, aber es kam ihr irgendwie trotzdem schneller vor.
"Aber nun hat George ihn? Himmel, wie unklug! George ist ein niederträchtiger, hinterhältiger Mistkerl! Armand wird ihm nicht gewachsen sein!" Während sie das sagte, hatte sie sich weit von Sergej entfernt und drehte sich nun zu ihm um. Sergej hielt den Atem an. Anya hatte sich unglaublich verändert. Ihre zierliche Figur verbarg die neuen Kräfte und ließ sie noch immer zerbrechlich erscheinen. Doch als sie ihn nun ansah, funkelten ihre Augen. Das blasse Gesicht betonte ihre schönen Lippen noch mehr. Anya strahlte eine erstaunliche Erotik aus, derer sie sich nicht bewusst war. Als sie nun schnaufen wollte, entfuhr ihr ein dunkles Knurren, das sie selbst zu überraschen schien.
In Sergejs Gesicht tauchte ein breites Grinsen auf. Vor ihm stand eine makellose Schönheit in zerfetzten, schmutzigen Kleidern mit strähnigen und zerzausten Haaren und bei ihrem Knurren hatte ihr Gebiss kurz aufgeblitzt.
"Du knurrst wie ein wütendes Kätzchen und hast die Kraft einer Löwin." stellte er fasziniert fest. Anya legte fragend den Kopf schief.
"Hab ich das?" hakte sie nach. Sergej nickte bekräftigend.
"Ohja, hast du. Du kennst sie nur noch nicht." Anya nickte zustimmend. Sie kannte ihren eigenen Körper tatsächlich nicht mehr. Er fühlte sich kraftvoll und gesund an, bis auf ein seltsam flaues Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Neugierig beschloss sie, ein paar schnellere Schritte zu machen.
Sergej reagierte sofort, als Anya auf ihn zu schoss. Aus seiner sitzenden Haltung kam er blitzschnell hoch und warf sich ihr in den Weg, damit sie nicht gegen die Wand rannte, an der er eben noch gesessen hatte. Ihr Körper prallte gegen seinen und drückte ihn an die Wand. Die Wucht des Aufpralls presste Sergej die Luft aus den Lungen.
"Uff!" keuchte er und ließ sie sofort wieder los. Blinzelnd machte Anya einen Schritt zurück und blickte ihn verlegen an.
"Verzeih." murmelte sie. Er musste lachen.
"Ich sagte doch: Langsam!" rügte er sie vergnügt und schaute zu ihr herunter. Ihre Verlegenheit war niedlich. Sie nickte zaghaft und betrachtete ihre Hände.
"Was kann ich noch?" fragte sie nun neugierig. Sergej verschränkte die Arme.
"Selbst ein menschlicher Mann hat weniger Kraft als du. Unter uns Vampiren relativiert sich das allerdings wieder. Du wirst bald lernen, dass du die Gedanken der Menschen hören kannst, wenn du dich auf sie konzentrierst und du kannst sie lenken." Sergej seufzte unruhig.
"Du musst so viel Neues lernen und hast keine Zeit dafür." Anya wischte seine Bemerkung mit einer Handbewegung beiseite.
"Zeit zum Lernen kommt später. Jetzt will ich zu Armand!" erklärte sie fest. Sergej schüttelte den Kopf.
"Du kannst da nicht einfach hineinspazieren. Wie stellst du dir das vor?" Anya betrachtete ihn nachdenklich.
"Wie viele sind in dem Haus? Kennst du diese Leute? Ist George auch dort?" Sergej zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Da werden mehr als nur die Beiden sein, die Armand hineingetragen haben. Und das Haus ist groß. George ist auch da und Isabelle ebenso." Anyas Augen glühten kurz auf, ohne dass es ihr bewusst war. Für Sergej ein Zeichen hoher Emotionen, die sie überfluteten. Mit schmalen Augen betrachtete er Anya und eine dunkle Ahnung kam in ihm hoch.
"George…" murmelte Anya mit einem zischenden Laut. Sie starrte durch Sergej hindurch. In Gedanken war sie wieder wehrlos in der Kutsche und spürte George in sich. Es schüttelte sie kurz. Sergejs Hand, die sich sanft auf ihre Schulter legte, riss sie aus ihrer Erinnerung heraus.
"Was hat George dir angetan?" flüsterte er und wusste, dass er die Antwort nicht hören wollte. Der Blick, mit dem Anya ihr Gesicht wieder zu ihm hob, sagte genug. Schmerz, Demütigung und Hass erzeugten ein leichtes Glühen ihrer blauen Augen. Sergej schluckte und nickte. Kurz drückte er ihre Schulter.
"George gehört mir." Anyas Satz war knapp aber eine klare Feststellung. Sergej zweifelte nicht an Anyas Entschluss. Warnend hob er eine Braue.
"Du solltest ihn nicht töten, Anya. Die oberste Regel lautet: Wir töten uns niemals gegenseitig! Tust du es dennoch, läufst du Gefahr, dass ein anderer das in dir erkennt, dich anklagt und verurteilt. Du wirst dein ganzes Leben auf der Flucht sein." Anya schob streitlustig das Kinn vor.
"Hat Armand nicht auch Adaliz getötet? Ist er nicht auch seit hunderten von Jahren auf der Flucht?" Sergej seufzte. Kurz lauschte er und versuchte Armand aufzuspüren, wie so oft in den letzten Stunden. Er hoffte, dass Armand ihn selbst ebenfalls wahrnahm. Anya würde ihn nicht fühlen können. Sie musste ihn erst sehen, um diese Verbindung aufbauen zu können, die nötig war, um sich wiederzufinden. Wenn sie über diese Fähigkeit überhaupt verfügte.
Anyas Blick wurde weich. Ihre kleine Hand legte sich auf Sergejs Unterarm. Verblüfft schaute er auf sie hinunter.
"Du hast mir das Leben gerettet. Danke." hauchte sie leise. Sergej strich lächelnd mit einem Finger über ihre Wange.
"Bedank dich nicht! Ich bin heilfroh, nicht mehr dauernd Hunger auf dich zu haben." erwiderte er grinsend.

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