Montag, 31. Oktober 2011

Noctambule II: Epilog II

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Armand trug sie hinaus auf den Hof, wo die frische Luft in einer sanften Brise den typischen Duft einer endenden Nacht heran trug. Anya sog die frische Luft tief ein. Der Duft des taufeuchten Lavendels und der leicht salzigen Luft vom Meer tat ihr gut und zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht.
Armand trug sie zu dem alten Kirschbaum, der knorrig und windschief neben dem Haus stand. Dort sank er mit ihr in den Armen auf den Boden, lehnte sich an den Baumstamm und setzte sie behutsam auf seinen Oberschenkeln ab.

Von hier aus konnte man bei Tag unendlich weit über das Land gen Osten sehen, bei guter Sicht erkannte man sogar schwach die Ausläufer der Südalpen. Jetzt aber glitzerte nur ein sternenklarer Nachthimmel über ihnen und selbst die empfindlichen Augen der Beiden konnten nicht sehr viel von der Landschaft um sie herum erkennen.
Anya war das ganz egal. Sie schmiegte sich an Armand, tastete nach seiner Hand und hielt sie mit beiden Händen fest, als könne sie ihn so daran hindern, sich plötzlich in Luft aufzulösen. Die frische Luft weckte ihre Lebensgeister und so viele Fragen bauten sich in ihrem Kopf auf, dass sie hektisch zu sortieren begann, welche die wichtigsten waren, die geklärt werden mussten. Als sie fragend zu ihm aufsah, senkte er den Blick zu ihr herunter und lächelte leicht.
"Ich war dumm. Es tut mir unendlich leid, dass ich dich so sehr verletzt habe." raunte er leise. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf, denn längst hatte sie ihm die schmerzlichen Worte verziehen.
"Ich war ganz sicher, dass du mich nun verabscheust." flüsterte sie. Die Erinnerung an dieses schreckliche Gespräch rief den lange gehegten Kummer wieder auf und auch wenn sie es verdrängen wollte, wusste sie doch, dass dieses Gespräch erst wirklich alle Zweifel ausräumen würde. Armand schüttelte den Kopf.
"Nein, Anya. Ich fühlte mich betrogen und verletzt. Sergej erklärte mir die Wahrheit und als ich zu dir ging, warst du schon weg." Anya musterte ihn mit einer Mischung aus Schuldbewusstsein und Nichtverstehens. Wäre sie nicht Hals über Kopf weggelaufen, hätte das alles nicht geschehen müssen? War sie also an allem schuld?
"Welche Wahrheit?" fragte sie klamm. Armand drückte sanft ihre Finger, die noch immer seine Hand umklammerten.
"Ich sagte dir, dass Unreine keine Kinder zeugen können. Daher konnten weder George noch ich nicht der Vater sein, glaubte ich. Aber das ist nicht wahr. Wir können sehr wohl zeugen, wie wir auch vieles andere können, was Reine tun. Aber eine Kreuzung zwischen Vampir und Mensch ist nicht möglich. Also kann George gar nicht der Vater sein." Armands Zusammenfassung klärte nicht alle ihre Fragen.
Zwar war sie unendlich erleichtert, dass ihre schlimmste Befürchtung nicht eingetreten war, doch öffnete sie schon den Mund für einen Einwand. Armand war schneller und beugte sich zu ihr herunter. Seine Lippen verschlossen ihre mit einem sanften, langen Kuss.
"Es ist unser Kind. Deines und meines. Und ich bin stolz!" versicherte er ihr schließlich leise. Aus Anyas Kehle kam ein tiefes Seufzen und die letzte Anspannung fiel von ihr ab. Ihr Kopf sank an seine Schulter und lange Zeit schwiegen beide, froh darüber einander einfach spüren zu können. Doch schließlich kamen Anyas Fragen wieder in den Vordergrund, während ihre Augen an dem funkelnden Sternenhimmel hingen.
"Was ist mit Jocelin?" fragte sie unruhig, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. Auch Armand betrachtete ihn, während seine Arme sie fest und sicher an sich gedrückt hielten, als könne sie einfach davon fliegen.
"Es geht ihr gut. Der alte Sanghieri kam auf einen Brief von mir hierher, mit ihm auch seine Söhne. Er half dabei, dich zu suchen. Ich kann dir nicht sagen, warum, aber ich folgte Fabrizio und konnte ihn gerade noch daran hindern, Joscelin zu töten. Er redete sich damit heraus, vor lauter Blutdurst die Beherrschung verloren zu haben. Ich glaube ihm nicht, aber ich habe es auf sich beruhen lassen. Schließlich hat er dich gefunden. Er ist bereits mit seinem Vater wieder abgereist." berichtete er ruhig.
"Der alte Sanghieri? Obwohl ich ihn bedroht habe?" fiel Anya überrascht ein. Armand nickte langsam.
"Er ist ein seltsamer Kerl. Aber die Tatsache, dass du schwanger bist, hat alles andere in den Schatten gestellt. Schwangere Frauen sind bei uns heilig und unbedingt zu schützen. Vampire bekommen selten Kinder, weißt du." erklärte er ihr lächelnd. "Das Mädchen ist bei Maurice. Sie ist gesund, weigerte sich aber mit Händen und Füßen, dich zu verlassen. Mutiges Mädchen, muss ich schon sagen. Sie hat überhaupt keine Angst." Anya musste schmunzeln und schaute wieder nach oben.
"Langsam werden wir immer mehr." murmelte sie nachdenklich und löste damit ein schnaubendes, kleines Lachen bei Armand aus.
"Ohja, eine richtige kleine Familie." Seine Hand legte sich auf ihren Bauch. "Und bald eine echte kleine Familie." flüsterte er in ihr Ohr. Anya schauderte wohlig und drehte den Kopf, um ihn zu küssen. Eines lag noch wie ein zentnerschwerer Stein auf ihrer Seele und sie hatte Angst davor, es ihm zu erzählen. Aber es sollte nichts Unausgesprochenes mehr zwischen ihnen stehen.
"Ich war bei George." flüsterte sie schließlich mit bedrückter Stimme und holte Luft, um ihm auch den Rest zu berichten. Doch Armand legte sofort einen Finger auf ihre Lippen und sah tief in ihre Augen.
"Ich weiß. Er wird dir nie wieder etwas tun. George ist tot. Das ist alles, was zählt." erklärte er fest und streichelte mit dem Finger ihre Lippen. Diesmal dauerte es wesentlich länger, bis sich Anya entspannte. Schweigend starrte sie ihn an, bis sie endlich davon überzeugt war, dass Armand wirklich meinte, was er sagte. Vielleicht war es ganz gut so, dass er nicht erfuhr, was George ihr angetan hatte. Er würde diesen Groll nie wieder ablegen können. Schließlich nickte sie und kuschelte sich wieder an seine Schulter.

Am Horizont begann der Nachthimmel sich aufzuhellen. Das tiefe Schwarz färbte sich allmählich ins Blau, nur um sofort einem ersten roten Schimmer der aufgehenden Sonne zu weichen. Die Sterne verblassten langsam, das Morgenrot schob den blauen Himmel vor sich her und begann Schatten zu zeichnen. Anya genoss den Anblick so sehr, dass sie unbewusst den Atem anhielt. Die Natur schien andächtig zu schweigen, bevor die Sonne aufging und tiefe Stille lag über der Landschaft.
Armand konnte seinen Blick nicht von dem schönen Gesicht Anyas wenden. Ihm war klar, dass er Anya in den nächsten Minuten wieder zurück tragen musste, doch wollte er den Moment unbedingt hinauszögern, um diesen seltenen Anblick genießen zu können. Ihre blonden, brutal gekürzten Haare begannen zu schimmern und die helle Haut reflektierte das zarte Morgenrot. Es schien, als würde sie von innen heraus leuchten. Mit einem Schlag wurde ihm vollends bewusst, dass er eine werdende Mutter vor sich sah.
Eine Mutter, die sein Kind unter dem Herzen trug. In diesem Moment sah Armand nicht mehr nur die begehrenswerte Frau. Der ganze Schmerz der vergangenen Zeit, die tiefe Sehnsucht, die unendliche Wut auf alles, was sie bedrohte und die nagende Einsamkeit in der Zeit ohne sie überfluteten Armand wie eine Flutwelle und unbewusst drückte er sie fester an sich. Er hatte es nie wieder sagen wollen. Und er hätte niemals geglaubt, einmal so sicher zu sein wie heute und es mit fester Überzeugung zu sagen.
Als er endlich sprach, klang seine Stimme rau und belegt.
"Anya..." Sie drehte den Kopf und betrachtete ihn lächelnd. Armand musste erneut Luft holen und sein Herz klopfte bis zum Hals. Er schalt sich selbst, dass er so viel Überwindung brauchte, doch Anya kam ihm zuvor.
"Du hast Recht. Wir müssen zurück." raunte sie. Armand schluckte und zögerte. Doch er schwieg. Der kostbare Moment war vorbei. Stumm stand er auf, hob sie wieder in seine Arme und trug seine kleine Anya ins Haus zurück.

1 Kommentar:

  1. *hat es heute dreimal gelesen*

    Armand wird schon noch sagen, was er eigentlich sagen wollte. Der Augenblick mag flüchtig gewesen sein. Seine Gefühle sind es nicht.

    Tja - und nun haben wir einen Haufen offener Fragen und ein wunderschönes Happy-End. Naja ein Zwischenend.

    Mein Fazit zum ganzen Band werde ich mir noch ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen. Keine Sorge es kommt noch etwas mehr als diese paar Zeilen heute.

    Soweit aber schon mal: Es war wirklich toll diesen Band zu lesen. Zu keinem Zeitpunkt langweilig!

    Liebe Grüße
    Joe

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