Donnerstag, 20. Oktober 2011

Noctambule II: Die Muschelzucht

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Dass Miriam nun aufsprang und außer sich im Salon auf und ab lief, verwirrte und erstaunte ihren Onkel. Er beobachtete sie mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht, der nur Madame auffiel. Miriam war viel zu aufgebracht.
"Ausgerechnet Lechaivre? Muss es unbedingt dieser.. dieser.. widerliche Kerl sein? Interessiere ICH dich überhaupt?" tobte Miriam nun los. Madame lehnte sich mit einem Schmunzeln zurück, Onkel Matisse hob pikiert eine Braue.
"Ich darf doch sehr bitten! Diese Undankbarkeit von dir ist mehr als unangebracht und außerdem erbitte ich mir Respekt!" empörte er sich nun. Miriam blieb vor ihm stehen und starrte ihn an.

"Dass wir uns füreinander interessieren? Das hat er gesagt? Ich kann ihn nicht ausstehen! Und ich werde ihn gewiss nicht heiraten!" schnappte sie wütend. Kurz flogen ihre Augen an ihm vorbei zu Madame, die zustimmend einen Daumen hob und nickte. Verwirrt schaute Miriam zu ihrem Onkel zurück. Sie hatte den Faden verloren und Verzweiflung machte sich in ihr breit.
"Du bist ein wenig überreizt, nicht wahr? Das alles hat dich mehr mitgenommen, als wir alle dachten. Lechaivre sagte mir, dass er deinen Vater bereits um Erlaubnis gebeten hatte, um dich werben zu dürfen." erklärte Onkel Matisse nun. Miriam stampfte mit dem Fuß auf.
"Das ist eine Lüge! Papa wollte mich in die Kolonien schicken! Dort sollte ich irgendeinen Lackaffen heiraten, ich glaube den Sohn einer Cousine von ihm!" Miriam funkelte ihren Onkel an, der sich inzwischen wieder gefasst hatte.
"Dann erkennst du sicherlich, dass du viel besser dran bist, wenn du hier bleiben kannst und die Gemahlin eines aufstrebenden, fleißigen Mannes wirst. Er scheint recht wohlhabend zu sein." konterte er selbstgefällig. "Meiner Meinung nach ist dieses Arrangement mehr als vorteilhaft für dich." Miriam starrte ihn noch immer ungläubig an. Sie wusste nicht, was sie noch dagegen halten konnte und war völlig überfordert. Ein Schluchzen kam in ihr hoch und sie biss sich auf die Lippen.
"Das hätte Mama nie gewollt und auch nie zugelassen!" schluchzte sie schließlich, fuhr herum und rannte weinend aus dem Zimmer. Betretene Stille breitete sich im Salon aus, die Madame genussvoll mit einem Räuspern unterstrich. Matisse blinzelte und riss seinen Blick von der Tür los, die Miriam mit energischer Wucht hatte zuknallen lassen.
"Verzeiht dieses ungebührliche Betragen meiner Nichte, Madame, ich bitte Euch! Das war alles ein wenig viel für sie." versuchte er mit entschuldigendem Lächeln die Situation zu retten. Madame Dubrés hatte sich ihre Tasse Tee geholt und hielt in der einen Hand die Untertasse, während sie immer wieder an ihrer Tasse nippte. Sie war völlig gelassen geblieben und betrachtete Matisse jetzt über ihre Tasse hinweg. Schließlich stellte sie die Tasse wieder zurück und faltete die Hände im Schoß.
"Ich finde ihr Betragen keineswegs ungebührlich. Vielleicht etwas respektlos, doch denke ich, dass man sich Respekt auch verdienen muss, mein Lieber." erklärte sie und genoss die fassungslose Stille, die nun eintrat, denn Matisse musste die Worte offenbar erst einmal verdauen.
"Das Kind hat gerade beide Eltern verloren, ihren gesamten Besitz und ihre Zukunft. Sie wurde selbst beinahe umgebracht und hat als Familie und Stütze nur Euch und Eure Familie. Ihr aber habt nichts Besseres zu tun, als das Kind loszuwerden, indem Ihr sie verheiratet?!" nutzte Madame die Stille mit klarer, fast schneidender Stimme. Matisse hatte Mühe, seine Selbstbeherrschung zu wahren. Man hatte ihn ja gewarnt, dass diese Frau kein Blatt vor den Mund nahm. Aber dass sie sich derart dreist in fremde Angelegenheiten einmischte, überstieg sein Fassungsvermögen.
"Ich fürchte, das versteht Ihr nicht ganz richtig, Madame. Ich habe keineswegs vor, sie loszuwerden! Ich sorge mich um ihre Zukunft und versuche, sie sicher unterzubringen!" Wieso rechtfertigte er sich überhaupt vor diesem Weib? Madame stieß ein freudloses Lachen aus und schüttelte den Kopf.
"Auch ich wurde damals gegen meinen Willen mit einem Mann verheiratet. Ich weiß sehr gut, was in dem Mädchen vorgeht." meinte sie und betrachtete ihn scharf. "Soweit ich weiß, war der Comte mit fünfundvierzig Prozent an der Muschelzucht in l'Estaque beteiligt. Sicher ist das Einkommen aus diesem Geschäft doch groß genug, um die momentanen Unkosten leicht aufzufangen? Wie kann es zu dieser Pleite kommen?" Ihr entging nicht, wie die Gesichtsfarbe ihres Gastes zwischen aschfahl und rot wechselte. Ihm war anzusehen, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass diese Frau sich mit seinem Schwager über Geschäfte unterhalten hatte.
"Ich.. habe bisher nichts von diesem Geschäft gewusst." meinte er schließlich vage und trank hastig seinen Tee aus. "Aber ich versichere Euch, ich werde mich darum kümmern. Es ist schwer, im Chaos, das der Brand verursacht hat, alle Unterlagen zu finden oder zu identifizieren." Er erhob sich und verbeugte sich tief vor Madame Dubrés. "Ich bin in einer Woche wieder in Marseille. Dann hoffe ich, noch einmal mit meiner Nichte sprechen zu dürfen, Madame. Bis dahin muss ich noch vieles erledigen." Madame ließ Matisse von ihrem Butler hinausbegleiten und brütete eine Weile vor sich hin. Dann beschloss sie, nach dem weinenden Mädchen zu sehen und sie zu beruhigen. Noch war sie nicht verheiratet und noch konnte man vieles dagegen unternehmen.

1 Kommentar:

  1. Matisse hat die Alte deutlich unterschätzt. Und Miriam vielleicht auch. :)

    Er hatte sich seine Argument geut zurecht gelegt. Allerdings mit der Gegenwehr offensichtlich nicht gerechnet.

    Es ist schön zu sehen, wie die alte Dame den Onkel abkanzelt. Ich hatte ja gestern schon vermutet, dass er sich vielleicht bereichert. Dies scheint die Gewissheit zu sein. Es kann natürlich sein, dass er tatsächlich nichts von der Muschelzucht gewusst hat. Aber auch damals gab es schon ein funktionierendes Finanzwesen. Der Brand eines Hauses kann unmöglich alles vernichtet haben.

    Er hätte mal so eifrig sein sollen alles Geld zusammen zu sammeln statt nur zu schauen, wo die Schulden liegen. :)

    Kopf hoch, kleine Miriam.

    Liebe Grüße
    Joe

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