Freitag, 21. Oktober 2011

Nicht allein

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

"Lass uns mal da hinsetzen.", meinte Mary und deutete auf eine etwas abgelegene Bank im Freien. Nadja ließ sich lammfromm von dort hinführen und setzte sich. Sie auf die Bank und starrte etwas ins Leere. Mary dagegen war voll motiviert. "Das hat mich total aufgewühlt, was du erzählt hast.", erklärte sie und kramte in ihrem Rucksack, "Erinnerst du dich noch an die Stunden in Sozialkunde, wo wir das besprochen haben? Ich hab die Unterlagen noch mal rausgesucht."

Nadja knetete ihre Finger um zu verbergen, dass sie unheimlich zitterte. "Hier, ich habe mir das heute Nacht genau angesehen, weil ich nicht schlafen konnte. Damals, als das unterrichtet wurde, in Sozialkunde, da war mir das Thema total egal. Heute schäme ich mich fast ein bisschen, dass ich das ignoriert habe." Nadja hatte nur mit halbem Ohr hingehört aber jetzt schaute sie auf. "Wieso schämst du dich?", fragte sie verdattert. Mary deutete auf die Karte. "Sieh mal, wo das überall vorkommt. Auf der ganzen Welt, werden Frauen verschleppt und misshandelt.", meinte sie sachlich.

Etwas verunsichert schaute sie Nadja an. Sie wollte ihr nicht zu nahe treten. Aber Nadja hatte gestern so ruhig von ihrem Schicksal erzählt, dass sie sich eigentlich sicher war, dass sie damit umgehen könnte. "Achso?", fragte Nadja nur etwas tonlos. Sie hatte damals im Unterricht komplett abgeschaltet. Damals fürchtete sie, jede Sekunde müsste jemand darauf kommen, dass sie ein solches Schicksal hinter sich hatte und sie dazu ausfragen. Noch heute lagen die Zeichnungen, die sie damals gemacht hatte um sich abzulenken, in ihrem Block.

"Ja.", fuhr Mary fort, "Ich finde es total peinlich, dass ich das ignoriert habe. Irgendwie war es mir egal, wenn da jemand so etwas mitmachen muss, es betraf mich ja nicht. Aber jetzt...", sie machte eine Pause. Nadja starrte ihre Freundin etwas entgeistert an. "Jetzt betrifft es mich auch. Und ich möchte irgendwas dagegen tun.", platzte Mary heraus. Nadja entgleisten alle Gesichtszüge. Sie zuckte zusammen und verstand nicht recht, wie ihr geschah. "Aber... Es ist doch vorbei.", wiegelte sie ab. "Die Kerle sitzen im Gefängnis.", meinte sie verunsichert.

"Nur die, die dich gequält haben.", entschied Mary, "Auf der ganzen Welt passiert Frauen jeden Tag das was dir passiert ist. Und das darf doch nicht so sein." Es klang fast etwas patzig. Nadja spürte einen dicken Kloß im Hals. Sicher war ihr immer klar gewesen, dass ihr Schicksal keineswegs einzigartig gewesen war. Schon auf Arramoa wiederholten sich die Geschichten ja immer wieder. Doch die Gewissheit, dass dies immer noch und jeden Tag auf der ganzen Welt passierte war merkwürdig.

Einerseits war es ein hässliches Gefühl zu wissen, dass so viel Unrecht passiert. Aber andererseits hatte sie selbst sich doch immer wieder vorgeworfen viel zu naiv gewesen zu sein. Auch im Prozess damals in Deutschland hatten die Anwälte der Kerle sie ja als ziemlich dumm darstellen wollen. Und nun hämmerte sich einmal mehr die Erkenntnis in ihren Kopf, dass sie nicht dumm gewesen war. Sie war auf ein ausgeklügeltes System hereingefallen, dass überall auf der Welt praktiziert wurde und so sehr ihr all die Frauen leid taten die in diesem Augenblick tun mussten, was sie in Deutschland getan hatte, so sehr teilten sie doch ihr Schicksal und nahmen ihr ein Stück von dem Leid.

Nadja atmete tief durch und eine Gänsehaut lief über ihren Körper. Sie konnte spüren, wie ihre Augen feucht wurden und sie presste ihre Augen und ihre Hände fest zusammen. Alles um sie herum schien dunkel zu werden. "Was willst du dagegen tun?", flüsterte sie nun. Mary hatte den Arm um sie gelegt. "Ich weiss es noch nicht. Aber irgendetwas muss man doch tun können. Ich will es jedenfalls versuchen." Nadja nickte nur und entspannte sich. Kraftlos sank sie in Marys Arm.

1 Kommentar:

  1. Schön, dass Nadja doch recht schnell entspannen kann und Trost bei Mary sucht. Vielleicht hilft ihr ja die Idee, anderen Frauen aktiv helfen zu können. Nur, wie zwei Teenies etwas bewirken sollen, ist mir noch gar nicht so klar.
    Aber es könnte durchaus ein Weg sein, zumindest für Nadja, sich mit der Thematik zu befassen und dabei selbst die eigene Vergangenheit nur indirekt zu verarbeiten, alleine durch die Konfrontation mit anderen Schiksalen. ich finde diese Idee spannend. Bin mal gespannt, ob ich das Richtige vermute und erwarte :)

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