Freitag, 28. Oktober 2011

Noctambule II: Nur ein Verdacht

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Armand spielte unkonzentriert und verlor die ersten beiden Partien geradezu beschämend schnell.
"Ihr spielt das nicht zum ersten Mal, wie man sieht. Ich bin Euch hoffnungslos unterlegen, Signore." meinte er mit schiefem Grinsen und baute die Figuren wieder auf. Der alte Mann lehnte sich zurück und betrachtete sein Gegenüber mit dem milden Lächeln des wissenden Alters.

"Das bist du ganz und gar nicht, mein Junge. Du hast einige meiner Züge beängstigend schnell durchschaut und vereitelt. Du bist einfach unkonzentriert und nicht bei der Sache." erklärte er ohne jeden Vorwurf in der Stimme. Armand blickte auf, den Turm noch in der Hand, und hob eine Braue.
"Merkt man das so deutlich? Verzeiht bitte. Das ist sehr unhöflich von mir." Seine dunkle Stimme klang ehrlich bedauernd und doch wirkte er noch immer leicht abwesend, sodass Antonio Sanghieri ein kleines Lachen ausstieß.
"Natürlich ist es unhöflich. Aber ich finde, es ist auch verständlich. Wer hat dir die Bettruhe eigentlich befohlen?" Armand stellte den Turm auf seinen Platz und zögerte, die Dame aufzunehmen.
"Sergej natürlich, die alte Glucke. Er meinte, dann wäre ich morgen wieder völlig einsatzfähig." Sanghieri spielte mit dem silbernen Griff seines Gehstockes und schien in den Anblick des polierten Edelmetalls vertieft zu sein.
"Soso. Nun, er wird es sicherlich wissen, nicht wahr?" Armand ließ die Hand sinken und betrachtete den alten Mann mit einem wachsenden Grinsen.
"Ihr wollt mir irgendetwas damit sagen, Signore?" Der Italiener hob die Schultern und lächelte ihn an.
"Natürlich will ich das. Steh auf und such dein Mädchen, du Idiot! Statt hier mit einem alten Greis die Zeit zu verschwenden, solltest du längst unterwegs sein. Jag von mir aus, wenn du dich schwach fühlst. Aber ich für meinen Teil verschiebe das Schachspiel gerne auf einen Zeitpunkt, bei dem du auch voll bei der Sache bist. Nun verschwinde schon!" Armand blinzelte bei dieser Ansage überrascht und starrte ihn irritiert an. Der alte Mann hatte ihm aus der Seele gesprochen, doch hätte er ihn alleine aus Respekt schon nicht gern alleine gelassen. Sanghieri grinste nun und machte eine scheuchende Handbewegung.
"Ich weiß deine Höflichkeit zu schätzen. Jetzt verschwinde schon und reiz meine alten Augen nicht länger mit diesem Hundeblick!"
Armand lächelte und stellte das Brett zur Seite. Beim Aufstehen spürte er seine Verletzung schmerzhaft und verzog das Gesicht. Der stützende Verband half ihm jedoch, seine Bauchmuskeln so wenig wie möglich zu belasten und seine Selbstheilung hatte die angekratzte Milz bereits im Laufe des Tages wieder instand gesetzt.
Die letzten beiden Bauchverletzungen, die George ihm zugefügt hatte, waren auch nicht so schlimm gewesen, dass er Anyas Spuren nicht hätte folgen können. Diese hier würde ihn ebenso wenig davon abhalten, auch wenn seine Geschwindigkeit und seine Kraft noch nicht wieder völlig hergestellt waren.
"Danke, Signore." meinte er nur mit einem Nicken und streifte sich sein Hemd über. Er machte sich wenig Gedanken darum, wie Sanghieri die Nacht alleine im Hof verbringen würde, war allerdings sicher, dass Maurice sicher vor einem Angriff war.
Auf dem Hof verteilte er die Kleidungsstücke von George mit einem Fußtritt und lief Richtung Marseille.
Die anfangs noch langsamen und schmerzhaften Bewegungen wurden immer flüssiger, nachdem Armand einen Weg gefunden hatte, die Schmerzen weitestgehend zu ignorieren. Er feuerte sich immer wieder selbst an, dass er schon viel schlimmere Verletzungen überstanden hatte und spürte bei seinem Lauf, dass die Wunde schon lange nicht mehr so tief war wie in der Nacht zuvor. Wie gut, dass er noch rechtzeitig gejagt hatte.

Er durchstreifte Marseille, wobei er immer wieder Pausen einlegte und seine Hand stützend auf die Verletzung presste. Die größte Wut war seit seinem Kampf gegen George verraucht. Jetzt war er eher verzweifelt und kämpfte darum, nicht auch noch die letzte Hoffnung zu verlieren, Anya je wiederzufinden.
Da die Routen der suchenden Kameraden in den Randbezirken weit auseinander drifteten, zog er einen Kreis um das südliche Marseille mit dem Ziel, in den frühen Morgenstunden im Hafen einen ausländischen Seemann von seiner Wache an Bord des Schiffes herunter zu locken. Seemänner wurden oft vermisst. Selbst die zuverlässigsten unter ihnen wurden manchmal in irgendeinem fremden Hafen untreu und verschwanden einfach. Niemand vermisste sie, sondern man ersetzte sie fluchend.

Die kleine Kapelle Notre Dame de la Garde zwang ihn, einen größeren Umweg zu gehen. Er hatte sie nun schon dreimal bei seinen Suchrundgängen durchsucht, doch nie einen Anhaltspunkt gefunden. Heute würde er sie auslassen und nur den alten Friedhof umrunden, um langsam wieder Richtung Stadt zu gehen.
Das Rattern eines Karrens ließ ihn Stocken und er zog sich in den schützenden Schatten zwischen einigen Büschen zurück. Um diese Zeit war ein Karren, der die Stadt verließ, eher ungewöhnlich. Es mochte viele Gründe geben für einen Bauern, noch im Dunkeln auf die Felder zu fahren.
Sollte es ein einzelner Bauer sein, würde sich Armand die Jagd im Hafen ersparen.
Zu seiner Verwunderung sah er eine Frau mit einem Mädchen auf dem Bock des Wagens. Die Frau trieb den Muli geduldig an und unterhielt sich leise mit ihrer Begleiterin. Während ihr Wagen an ihm vorbei ruckelte, hörte er Gesprächsfetzen, in denen es um Landstreicher und Überfälle ging, was ihn nicht weiter verwunderte. Wenn Frauen mitten in der Nacht alleine unterwegs waren, dann hatten sie allen Grund, sich vor Überfällen zu fürchten.
Armand beschloss, die beiden weiterziehen zu lassen und wollte sich gerade aufrichten und die Straße wieder betreten, als ein Rascheln ihn innehalten ließ. Seine Augen erkannten den Schatten auf der anderen Straßenseite und verfolgten ihn misstrauisch.
Das Tempo des Verfolgers war für einen Menschen eindeutig zu schnell. Sergej hätte er sofort erkannt, aber bei diesem Mann war er unsicher. Es musste einer von den Sanghieri-Leuten sein, doch verstand Armand nicht, warum er diesem Wagen folgte. Wenn er jagte, würde er auch das Mädchen töten müssen und damit ganz klar gegen ein Gesetz verstoßen.
Im Grunde war es Armand egal, ob dieser Mann dort ein Gesetz brach oder nicht. Doch sollte er eigentlich Anya suchen und nicht zwei Frauen nachhetzen und so beschloss er, den Mann zu verfolgen. Der Karren war nicht schnell und ließ seinen Verfolgern damit genug Zeit, immer wieder kleine Spurtpausen einzulegen. Das kam Armand sehr recht, denn schnell spürte er schmerzhaft seine Verletzung wieder stärker.
Der fest angelegte Verband stützte ihn wie ein Korsett, doch musste er öfter anhalten und zur Ruhe kommen und presste immer öfter die Hand an die verletzte Stelle. Noch immer kämpften Zweifel in ihm. Musste er sich diese Anstrengung gerade antun? Was, wenn er völlig falsch lag? Dann hatte er seine Kräfte umsonst verausgabt. Die noch so kleine Chance aber, hier etwas aufzuspüren, war es ihm wert.
Schließlich war es möglich, dass der Kerl nur einem Verdacht nachging. Solange er nichts Genaues wusste, gab es keinen Grund, die Familie zu rufen. Sollte er mit seinem Verdacht aber Recht behalten, dann war Armand froh, sofort zur Stelle zu sein. Dieser Gedanke gab ihm wieder Kraft und er folgte ihm weiter, bis er das Ufer erreichte und erstaunt das kleine Hausboot betrachtete.
Dieses Boot wäre genau das Richtige für Anya. Niemand würde sie stören, denn es lag abseits genug. Die Frage war, was die beiden Frauen hier zu suchen hatten. Der Karren stand verlassen vor dem Steg und das Maultier hatte ihn einfach ein Stück weiter gezogen, weil es dort wenigstens etwas Fressbares zum Zupfen gab.
Hinter Bäumen verborgen spähte Armand auf das Boot und versuchte, den Verfolger zu entdecken. Allerdings sah er nur die dunkle, dem Ufer zugewandte Seite und dort stand niemand. Auch Armand nahm den üblen Gestank wahr, der aus dem Erdboden aufstieg. Er kannte den Geruch zur Genüge. Das war ein Beweis mehr, auf der richtigen Spur zu sein. Sein Herz schlug höher und neue Kraft durchströmte ihn.
Seine Hand presste sich erneut auf den Verband und ertastete eine warme, feuchte Stelle. Die Wunde war wieder aufgegangen und das Blut sickerte durch den Verband. Armand lehnte den Kopf an den Baum, atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Nachdem er den Schmerz seiner Seite endlich wieder unter Kontrolle hatte, schlich er lautlos näher an das Boot heran.

2 Kommentare:

  1. ich wusste es, aber bei seiner verletzung wird er bestimmt von fabrizio bemerkt und bekommt eine fehlinformation von wegen anya befände sich nicht an bord, oder allen lügen zum trotz geht armand an bord und findet seine anya wieder...ich bleibe gespannt.
    lg jay

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  2. Einmal mehr hilft der Zufall und Armans völlig richtige Intuition.

    Er tut wohl daran Fabrizio nicht zu vertrauen und jetzt muss er nur noch die restlichen kleinen Puzzleteilchen zusammensetzen und Fabrizio daran hindern, sein Vorhaben auszuführen. Wenn Armand einen Ruf nach dem Alten oder dem Rest der Familie ausstößt, wird Fabrizio schon nicht wagen, alle zu töten. Der Alte würde sich seine Erinnerungen sehr genau ansehen.

    In einem Kamfp allerdings hätte Armand in seinem Zustand sicherlich keine Chance gegen den gesunden Fabrizio. Eine Konfrontation darf es nicht geben.

    Und ich denke es würde den Heilungskräften von beiden auf die Sprünge helfen, wenn sie sich gemeinsam ins Bett legen könnten, nachdem sie gejagt haben :)

    Nur zu Armand! Und sei vorsichtig!

    Liebe Grüße
    Joe

    Achja: Herrlich gestern verpasst zu haben - Zwei Kapitel auf einmal....

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