Freitag, 7. Oktober 2011

Noctambule II: Weidenrinde gegen Fieber

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Anyas Ohnmacht war eigentlich für Joscelin hilfreich. So konnte sie den Verband noch einmal wechseln, ohne das schreckliche Stöhnen ertragen zu müssen. Danach machte sie sich auf die Suche nach neuen, sauberen Stoffen, die sie für einen Verband missbrauchen könnte.
Doch außer ihren eigenen Röcken, die weiß Gott nicht mehr sauber waren, fand sie nichts Passendes mehr. Sie wollte Anya nicht alleine lassen, aber würde es wohl zwangsläufig müssen, um irgendwo Verbände zu besorgen, notfalls zu stehlen.

Trotzdem konnte sie sich nicht von Anya lösen und so blieb sie neben ihr sitzen und wusch sie vorsichtig, so gut es ging. Jetzt erst fand sie die Zeit, Anyas Verletzungen genauer zu untersuchen. Die kurze Zeit, in der Anya der Sonne ausgesetzt war, hatte ihr Gesicht stark gerötet und einige Stellen hatten schon Blasen aufgeworfen. Anyas Hände waren noch schlimmer, besonders die Handrücken. Sogar Anyas nackte Füße hatten leichte Verbrennungen. Aber ein kurzer, schamhafter Blick auf die Hose zwischen Anyas Beine beruhigte sie maßlos. Dort sah sie kein Blut, was sie am meisten befürchtet hatte.
Nachdem sie ihre Freundin vorsichtig gesäubert hatte, blieb nichts weiter zu tun. Anyas Atem war gleichmäßig und sie vermutete, dass Anya aus ihrer Ohnmacht direkt in einen erholsamen Schlaf gefallen war. Sie durchsuchte leise das gesamte Hausboot nach Salben oder Kräutern, die sie verwenden könnte, doch fand sie überhaupt nichts, was sich irgendwie benutzen ließ. Hier musste ein Mann gelebt haben, beschloss Joscelin, denn eine Frau hätte mit Sicherheit Kräuter gesammelt und getrocknet.
Da Anya ruhig schlief, untersuchte sie nun endlich die Angeln, aber alle Köder waren lediglich abgenagt. Sie zog die Angeln ein, da sie heute mit Sicherheit nichts mehr fangen wollte und setzte einen neuen Essigsud auf. Seufzend erkannte sie, dass auch der Essig nachgekauft werden musste. Da sie nun schon bestimmt eine Viertelstunde nicht mehr nach Anya gesehen hatte, lief sie leise zu ihr und betrachtete die schlafende Frau. Trotz der Rötungen im Gesicht fand sie Anya noch immer auf eine seltsame, faszinierende Weise schön. Sie hoffte inständig, dass die Verbrennungen keine Narben hinterlassen würden.
Anyas leises Stöhnen ließ sie zusammenzucken. Vorsichtig legte sie die Hand auf ihre Stirn und zog sie sofort erschrocken zurück. Anya glühte regelrecht! Verzweiflung stieg in Joscelin hoch. Jetzt kam auch noch Fieber dazu und gleich so schrecklich hoch! In ihrem Kopf raste es. Sie hatte einmal von Essigumschlägen bei Fieber gehört, aber den letzten Essig hatte sie gerade für den Sud aufgebraucht. Nun verfluchte sie sich innerlich. Und wenn sie einfach den Sud nahm? Überfordert sank sie auf die Bettkante und starrte Anya lippenkauend an.
Als sich Anyas Finger tastend bewegten, griff Joscelin voller Erleichterung nach ihnen. Anya versuchte ein Lächeln und schnaufte tief.
"Schlaf, Anya. Bitte schlaf dich gesund." flüsterte das Mädchen hilflos. Anya nickte langsam und befeuchtete ihre Lippen, was Joscelin sofort veranlasste, den Becher mit dem Wasser zu holen. Sie gab Anya vorsichtig einen Schluck, wobei sie ihren Kopf stützte. Erleichtert sank Anya zurück und atmete noch mehrere Male tief, bevor sie leise und abgehackt sprach.
"Weidenrinde. Auskochen… zum trinken.. und Wunde auswaschen." Joscelin prägte sich die Worte ein und nickte eifrig.
"Mach ich! Ganz viel. Und du musst auch etwas tun! Ganz schnell gesund werden, ja?" Ihre Stimme klang dünn und unsicher. Anya drückte ihre Hand und lächelte wieder fiebrig.
"Ich beeile mich. Ich bin ganz schnell wieder da. Ich hole nur schnell Weiden vom Ufer." versprach Joscelin und legte behutsam Anyas Hand wieder zurück auf das Bett. Sie rannte mit einem scharfen Messer bewaffnet los, schob den Steg wieder über das Wasser und suchte hektisch nach Weiden. Lange musste sie nicht suchen, doch wollte sie natürlich schöne, gesunde Äste haben und schälte diese dann hastig ab, ohne die verletzten Stämme abzuschneiden. So viel Zeit hatte sie nicht.
Während sie am Ufer war, spähte sie immer wieder ängstlich über die Schulter. Sie fühlte sich beobachtet und unsicher an Land und musste sich ständig vergewissern, dass sie auch wirklich alleine war.
Dass sie nun etwas zu tun hatte, half ihr erneut, ihre Unsicherheit und Angst zu verdrängen und das aufgestaute Adrenalin des Schocks abzubauen. Sie sammelte die Rindenstücke in ihrem Rock, den sie wie einen Stoffkorb hochhielt.
Als sie glaubte, genug gefunden zu haben, stolperte sie beinahe über den Dolch, den der eine Vagabund in Anyas Körper gerammt hatte. Mit spitzen Fingern hob sie ihn auf und trug ihn am ausgestreckten Arm hoch ins Boot, wo sie ihn in erst einmal auf den Boden neben die Tür legte. Er war über und über mit getrocknetem Blut bedeckt und sie würde ihn später reinigen. Er würde ihre neue Waffe werden, die sie von nun an ständig bei sich tragen wollte.

1 Kommentar:

  1. Fieber bei Vampiren? Das macht die Angelegenheit noch eine Stufe fieser. Aber wenigstens schein Anya ein Rezept dagegen zu kennen. Ob es wirklich etwas hilft oder ob es nur Joscelins Beschäftigung dient?

    Die Kleine ist ja unglaublich rührselig. Und ihr schlechtes Gewissen lässt sie noch liebevoller werden. Nun sind die Rollen der beiden vertauscht. War es beim letzten schlimmen Erlebnis Anya, die Joscelin gerettet hat, so hat sie jetzt die Chance sich zu revanchieren und ihre 'Schuld' abzutragen.

    Noch immer frage ich mich, wo das wohl hinführen könnte mit den beiden? Wie lange können ein Mädchen und eine Vampirin Freunde bleiben?


    Achja und zum Abschluss noch: Interessanter Gedanke, dass Joscelin, hätte sie einen Dolch bereits getragen, als die Kerle sie angefallen haben, bereits tot wäre. Aber der irrige Gedanke, dass Waffen Leben schützen ist nunmal ziemlich präsent. Auch bei französischen Mädchen des 18. Jahrhunderts.

    Liebe Grüße
    Joe

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