Mittwoch, 19. Oktober 2011

Noctambule II: Die Mitgift

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Die Stille, die nun einsetzte, war bedrückend. Onkel Matisse vermied jeden Blick zu seiner Gastgeberin, die ihn wie eine gereizte Kobra betrachtete und sah seine Nichte mit liebevollem Mitleid an. Miriam rührte sich nicht.
Fassungslos hatte sie den Mund leicht geöffnet, war aber erstarrt und nicht in der Lage zu antworten. Mamans heiß geliebter Schmuck war weg! Das Haus und damit ihre gesamte Kindheit war dem Erdboden gleich gemacht worden, ohne dass sie noch einmal die Möglichkeit einer Besichtigung bekommen hatte. Und nun stand sie auf einmal völlig verarmt und alleine da?

"Aber.. mich hat niemand gefragt! Warum wurde es schon abgerissen? Was ist mit den Pferden und Kutschen? Und meine alte Amme? Wo ist sie nun? War denn gar nichts mehr zu retten?" stammelte sie jetzt mit zitternder Stimme.
"Ich habe alles, was möglich war, veräußert, meine liebe Nichte. Schließlich musste auch die Beerdigung bezahlt werden. Pferde und Fuhrwerke wirst du schwerlich unterhalten können. Da du alleinige Erbin bist, kannst du dich glücklich schätzen, dass die ich Schulden deines Vaters bei den Buchmachern noch begleichen konnte, ohne deinen Namen noch tiefer hineinzuziehen."
Madame stieß ein Zischen aus, was Miriam irritierte, den Onkel jedoch zu einem kurzen Seitenblick veranlasste, der nicht fragend war sondern eher unwillig. Madame Dubrés betrachtete ihn noch immer wie eine fette Beute.
"Sicher führt Ihr über die Ausgaben genaustens Protokoll?" warf sie nun ein, um ihm klar zu machen, dass ihr Misstrauen geweckt war. Sie erntete ein nachsichtiges Lächeln.
"Aber sicher habe ich das, Madame. Doch bezweifle ich ehrlich, dass Miriam genug Kenntnisse hat, um die vielen Zahlen darin zu verstehen." Madame lächelte honigsüß und neigte den Kopf. Die Botschaft in ihren Augen war unmissverständlich. Vielleicht verstand Miriam die Zahlen nicht, doch Madames Vermögensverwalter würde sicherlich genug Kenntnisse besitzen. Und nicht nur ihr war bekannt, dass das alte Gut ihres Gastes eine Finanzspritze dringend gebrauchen konnte. Aber sie schwieg noch.

Miriam schüttelte ungläubig den Kopf. In ihren Augen war nun auch Angst vor der Zukunft zu lesen.
"Das heißt, ich bin völlig mittellos? Aber Onkel! Wie soll ich Madame entschädigen für die Zeit meines Aufenthaltes?" flüsterte sie schockiert. Madame winkte ab.
"Das ist das Letzte, worüber du nachdenken solltest, Kind." wehrte Madame ab.
"Da gebe ich Euch absolut Recht, Madame!" pflichtete er ihr bei und wandte sich wieder Miriam zu.
"Ganz mittellos bist du nicht, meine Liebe. Dein Vater war so klug, das kleine Landhaus hier vor der Stadt schon vor einigen Jahren auf deinen Namen zu übertragen. Es ist völlig unbelastet und wird von dem langjährigen Verwalter dort sehr gut geführt. Allerdings ist es nur ein kleiner Sommersitz, dafür mit sehr viel Land, das teilweise verpachtet wurde. Du kannst dich glücklich schätzen, mit diesem Besitz über eine angemessene Mitgift zu verfügen, denn eine rasche Eheschließung wird nicht zu umgehen sein, um deine Zukunft zu sichern." erklärte Onkel Matisse zuversichtlich.
Miriam schnappte nach Luft. Von einem Augenblick zum anderen war aus dem verwöhnten Mädchen eine fast mittellose Jungfer geworden, die außer einem Namen und einem kleinen Landsitz nichts mehr besaß. Und nun sollte sie auch noch eine Vernunftehe eingehen? Mit wem denn nur? Und was war mit Sergej?

Madame Dubrés war kurz davor zu platzen. Als Vormund seiner Nichte hätte er sich durchaus dazu durchringen können, ihr eine neue Heimat auf dem Gut anzubieten und ihr dort Zeit und Zuwendung zu geben, ihre Trauer abzuschließen und dann ihr Leben in die Hand zu nehmen. Stattdessen stand zu befürchten, dass er seine Rechte als Vormund missbrauchte, um sich selbst gesund zu stoßen und seine Nichte so schnell wie möglich durch eine Heirat loszuwerden, da sich dann der Ehemann mit dem armseligen Besitz herumschlagen konnte.
"Nun, so schnell nun sicher nicht, denke ich. Schließlich sollte sie ihre Trauerzeit auch einhalten dürfen." wandte sie ein und erntete dafür einen genervten Blick. Miriam sah kreidebleich von einem zum anderen, ohne zu einem Wort fähig zu sein.
"Aber nein, wir wollen nichts überstürzen, nicht wahr?" bestätigte ihr Onkel nun freundlich und sah Miriam fest an.
"Ein guter Freund und Mitarbeiter deines Vaters hat mir bereits angedeutet, dass ihr euch füreinander interessiert und er würde sich glücklich schätzen, um dich werben zu dürfen, sobald du dich wieder ein wenig erholt hast. Ich mag den jungen Mann. Er sieht sogar sehr gut aus, ist wohlhabend und äußerst ehrgeizig. Er wird es noch weit bringen und war mir in dieser ernsten Angelegenheit sehr behilflich. Sagte ich seinen Namen schon? Paul Saint Lechaivre heißt er."

1 Kommentar:

  1. Arme Miriam!

    Nun steht sie fast mittellos in der Welt und hat nur eine einzige Freundin an ihrer Seite, seit Anya verschwunden ist.

    Gut, dass Madame dem Onkel nicht alles durchgehen lässt und mal nachhakt. Ich würde ja vermuten, dass dieser Mann sich ohne eine Spur Unrechtsbewusstsein einen dicken Teil aus Miriams Vermögen genehmigen würde. Für ihn ist sie eine lästige Pflicht.

    Und wie lästig sie ist, sieht man ja auch daran, dass er nicht einmal den Versuch macht, sich ihrer vollwertig anzunehmen. Seine Vormundschaft beläuft sich ja im Moment nur auf die Verwaltung des Vermögens. Das mag sicherlich kein spaßiger Job sein, aber ganz gewiss ist das auch keine ausfüllende Tätigkeit und sein Ehrgefühl sollte es ihm gebieten das vernünftig zu machen.

    Dennoch hatte ich ja schon vermutet, dass er sich ihrer so schnell wie möglich entledigen will. Und vermutlich hat er dabei noch nicht einmal irgendwelche Zweifel, dass es vollkommen richtig ist, was er da tut.

    Aber eigentlich könnte ihm doch auch egal sein, an wen er Miriam verheiratet. Warum also nicht an Sergej? :) Oder hat Lechaivre da vielleicht auch noch die ein und andere Münze fließen lassen?

    Liebe Grüße
    Joe

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