Samstag, 22. Oktober 2011

Noctambule II: Lass mich in deine Welt

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Schon bevor Sergej in das Zimmer seiner Geliebten sprang hörte er ihr gedämpftes Schluchzen, was seine Bewegungen deutlich beschleunigte. Er fand sie bäuchlings auf dem Bett liegend, das Gesicht in das Kissen gedrückt. Sanft streichelte er ihre Schulter, völlig ratlos, was diesen Tränenstrom ausgelöst hatte.
Miriam warf sich sofort herum und klammerte sich wie ein kleines Äffchen an ihn.
"Oh Sergej! Liebster! Ich bin so froh dass du da bist!" schluchzte sie an seine Brust. Sergej strich besorgt über ihre Haare und hielt sie fest.
"Was ist denn passiert? Wen soll ich beißen?" Er fand seinen Scherz recht witzig, aber Miriam ließ sich nicht aufheitern.


"Mein Onkel hat mich heute besucht. Er sagt, ich besitze außer einem alten Landgut keinen Sous mehr und will dass ich Lechaivre heirate! Lechaivre!"
"Pssst!" mahnte er und verschloss ihren Mund mit einem sanften Kuss. Seine Stirn war dabei gerunzelt, denn Miriams Nachrichten waren nicht gerade berauschend. Er hatte etwas Ähnliches schon befürchtet.
"Du wirst niemanden heiraten, den du nicht willst." beruhigte er sie und drückte sie an sich. Aber der leise Kummer in ihm wuchs gerade zu einem dicken Kloß in seinem Hals an. Ihm war klar, dass er Miriam keine Zukunft bieten konnte. Eine Heirate war ausgeschlossen, denn wie sollte er sich tagsüber der Hochzeitsgesellschaft zeigen? Ebenso wenig konnte er ihr das Leben eines jungen Menschenmädchens bieten. Sie wäre tagsüber alleine und musste sich andere Gesellschaft suchen. Er konnte sie nicht beschützen und auch keine Ausflüge mit ihr unternehmen.
Es half alles nichts, er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Um ihr ein normales, glückliches Leben geben zu können, musste er auf sie verzichten. Dieser Gedanke tat ihm so weh, dass er spüren konnte, wie sich eine Eisschicht in ihm ausbreitete. Zärtlich drückte er ihren Kopf an seine Brust und starrte in die Dunkelheit.
"Aber was soll ich denn tun? Er ist mein Vormund!" jammerte Miriam hilflos. "Ich liebe doch dich! Ich will keinen anderen!" Sergej schloss die Augen und rang nach Fassung. Dann schob er sie ein wenig von sich und hob ihr Kinn, damit sie ihn ansah.
"Ich liebe dich auch, Miriam. Und ich will dich nicht verlieren. Aber ich kann dich nicht heiraten. Nicht so, wie du es dir vielleicht wünschst mit Kutsche, vielen Gästen, Sonnenschein und allem.." er musste schlucken, um seine Fassung zu wahren.
"Ich würde dich sofort heiraten. Aber überleg mal. Ich habe keinen Nachweis über meine Person. Wie auch? Hätte ich einen, würde jeder seine Echtheit anzweifeln. Ich bin über achthundert Jahre alt!" Miriam musste nun doch trotz ihres Kummers kichern.
"Aber du hast dich jung gehalten." meinte sie und küsste ihn zärtlich. Sergej hob sie leicht an und zog sie auf seinen Schoß. Sofort schlang sie die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn.
"Dann werde ich ab sofort jeden, der um meine Hand anhalten will, wie eine störrische, verwöhnte Ziege abweisen. Ich werde tagsüber als alte Jungfer in meinem Landhaus leben und nachts besuchst du mich und wir sind glücklich!" erklärte sie verträumt. Sergej setzte ein trauriges Lächeln auf.
"Ich bezweifle sehr, dass dich dieses Leben glücklich machen würde, mein Schatz. Du wärest schrecklich einsam." Miriam legte ihre Stirn an seine und schloss die Augen.
"Wie kann ich denn einsam sein wenn ich dich habe?" fragte sie leise und in diesem Moment klang ihre Stimme nicht wie die eines sechzehnjährigen Mädchens, sondern wie eine weise Frau. Sergej musste tief durchatmen.
"Ich kann dir nichts bieten, Miriam. Gar nichts! Ich habe keinen Zugang zu deiner Welt." versuchte er zu erklären. Eine lange Pause trat ein in der beide in Gedanken versunken waren. Dann hob Miriam den Kopf und sah ihn fest an.
"Wenn du nicht in meine Welt kannst, dann lass mich in deine." sagte sie mit fester Entschlossenheit. Sergej starrte sie erschrocken an.
"Was?"
"Mach mich zu einem Vampir." wiederholte sie klar und deutlich und auch wenn ihre Augen vom Weinen rot gerändert waren, so leuchteten sie doch vor Freude über diesen Gedanken.

Sergej war danach, unruhig in Miriams Zimmer herumzulaufen, doch wollte er alle unnötigen Geräusche vermeiden und zwang sich schweren Herzens, ruhig neben dem wunderlichen, kleinen Geschöpf sitzen zu bleiben, das ihn gerade mit den größten Komplikationen konfrontierte.
"Das ist ein Scherz, ja?" vergewisserte er sich hoffnungsvoll, doch Miriam schüttelte aufgeregt den Kopf.
"Was Anya kann, kann ich schon lange! Ich will es!" erklärte sie, selbst überrascht über ihre Entschlossenheit. Aber sie fand diese Idee grandios. Sergej hingegen schien alles andere als begeistert zu sein.
"Süße, du stellst dir das so einfach vor! Das ist es nicht, im Gegenteil!" Miriam griff nach seinen Händen.
"Was ist daran denn so schwer? Wen habe ich denn noch außer dir? Und jetzt komm mir bloß nicht mit Onkel Matisse, diesem.. diesem.. ach!" sie machte eine wegwerfende Geste und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sergej seufzte und zog sie enger an sich heran.
"Ach Miriam! Du bist doch noch so jung! Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Du sollst tanzen, Feste feiern, Opern besuchen und auf Bälle gehen. Du sollst schöne Kleider genießen, auf Gesellschaften und Picknicks gehen.. all das kennst du doch noch gar nicht! Und was kann ich dir bieten, Miriam? Ein Leben in der Dunkelheit und nie wieder Sonne. Du wirst töten, um selbst zu überleben, du wirst wenige deinesgleichen kennen und von den Menschen gejagt, die entdecken, was du bist. Du wirst ein Raubtier sein wie ich, Miriam. Willst du denn nicht lieber damit warten, bis du volljährig bist?" Miriam schüttelte fest den Kopf, ohne das Gesicht von seiner Schulter zu heben.
"Nein." nuschelte sie dumpf. "Was soll ich denn mit alledem, wenn ich dafür diesen Lechaivre heiraten soll? Glaubst du wirklich, ich würde mit dem ins Bett gehen?" Sergej stieß ein dunkles Knurren aus.
"Nein, meine Süße. Du heiratest ihn und in eurer Hochzeitsnacht habe ich einen leckeren Imbiss. Dann bist du Witwe, hast ein eigenes Vermögen, niemand weiß von deinem unehrenhaften Leben vorher und du kannst tun und lassen, was du willst. Außer, dein Onkel wird wieder dein Vormund." überlegte er und hob ihr Gesicht leicht, um sie ansehen zu können. Miriam seufzte, obwohl dieser Plan gar nicht einmal schlecht klang. Allerdings erschreckte sie der Gedanke, wie leicht sie mit Sergej über das Lebensende eines Menschen bestimmen konnte.
Sergejs versuchter Scherz ging wieder einmal daneben. Sie ließ die Schultern hängen und sah ihn traurig an.
"Dann musst du auch Onkel Matisse töten. Ach, das ist doch alles so kompliziert. Was mache ich nur?" Sergej drückte sie an sich und streichelte ihr Haar sanft.
"Ich hätte da ein oder zwei Vorschläge, was du heute Nacht noch tun könntest. Ich würde dir auch dabei helfen." murmelte er grinsend und endlich hörte er sie zu seiner Erleichterung an seiner Schulter kichern.
"Du bist wirklich schrecklich." meinte sie lächelnd und zupfte an seinem Halstuch.
"Aber den Anfang bekomme ich schon alleine hin." murmelte sie und begann zielstrebig, sein Hemd zu öffnen.

1 Kommentar:

  1. Miriam hat tatsächlich nichts. Die Verbindung zu Madame ist lose, wenn auch freundschaftlich. Ihren Onkel kennt sie kaum und die personen, die ihr am nächsten standen sind entlassen oder Tot.

    Sie ist in einem Alter in dem man sich ohnehin gern mal wurzellos und ungeliebt fühlt. Und nun hat sie tatsächlich alle Wurzeln eingebüsst. Kein Wunder, dass sie nichts hält.

    Sergej dagegen ist zu bewundern, dass er es schafft besonnen an die Sache heranzugehen. Er hört auf die Stimme der Vernunft und lässt sie nicht blindlings in ihr Schicksal laufen.

    Die Pläne die er dabei schmiedet sind schon ziemlich amüsant. Auch gar nicht so dumm, wenn man überlegt. Aber auch die führen Miriam nicht in das Leben der feinen Gesellschaft zurück aus dem sie kommt. Der Weg dorthin führt nur über Lechaivre, den sie ja nicht will. Verständlicherweise, wohlgemerkt.

    Aber jetzt wird erstmal... :D und dann...

    Liebe Grüße
    Joe

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