Dienstag, 18. Oktober 2011

Noctambule II: Kaum noch Barschaften

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Miriams Tagesablauf war fast wieder wie früher. Sie durfte lange schlafen und Madame Dubrés fragte nie, was sie so müde machte. Das mochte zum einen daran liegen, dass sie selbst sehr gerne lange schlief, zum anderen aber auch daran, dass sie sicher war, dass Miriam nicht immer so früh einschlief, wie sie vorgab.
Aber da sie selbst einmal jung gewesen war, machte sie sich darüber weniger Gedanken. Schließlich war sie jeden Abend brav zu Hause und ihr Verehrer besuchte sie artig, so oft es der Anstand zuließ am frühen Abend und verabschiedete sich wieder. Sie kam nicht ein einziges Mal auf die Idee, dass der Abschied nicht für lange war, denn Sergej war meistens kurz danach im gleichen Haus ein Stockwerk höher.


Miriams Trauer kam immer wieder hoch, auch wenn Sergej alles ihm Mögliche tat, um sie abzulenken. Und auch Madame gab sich große Mühe. Am späten Vormittag gab es gemeinsame Fahrten zur Hafenpromenade wie früher und man begegnete den Damen und Herren der oberen Kreise zu einem kleinen Schwätzchen. Nun, da die Abende wieder länger und die Tage kürzer wurden, kam es auch wieder häufiger zu kleinen Empfängen oder Geselligkeiten, die Miriam aber bisher nicht besuchen wollte.
So zog Madame so manches Mal alleine los und genoss ihre Ausschweifungen wie immer. Für Miriam hatte sie von Miriams Onkel eine angemessene Apanage erhalten, mit der sie Miriam versorgen konnte, sei es nun die Verpflegung oder die Kleidung.
Nicht, dass Madame darauf angewiesen gewesen wäre, doch war es angebracht und sie gönnte dem jungen Mädchen eine kleine Unabhängigkeit, die ihr erlaubte, wenigstens ein bisschen für sich selbst zu entscheiden und auch einmal unterwegs Handschuhe oder einen Hut zu erstehen, der ihr spontan gefiel.

Die Tage veränderten sich nicht besonders bis auf die Neuigkeiten, die Sergej ihr brachte. In der letzten Nacht war er nicht wie verabredet erschienen, doch machte sich Miriam nur gemäßigt Sorgen. Sergej hatte ihr oft genug erklärt, dass nur wirklich triftige Gründe ihn von ihr fern halten konnten und wenn sie sich nun überhaupt Sorgen machte, dann um die Gründe, die ihren Liebsten von seinem Besuch fernhielten.
Doch sollte sie selbst Bewegung in ihrem Leben bekommen und die Ahnung stieg in ihr auf, als sich ihr Onkel zu Besuch angemeldet hatte. Heute Nachmittag wollte er erscheinen und Miriam erwartete ihn nervös. Zu ihrem Onkel und seiner Familie hatte nur ein loser, ungezwungener Kontakt geherrscht, denn dieser Familienzweig lebte lieber zurückgezogen auf dem Land, was auch seinem eigenen Budget eher entsprach als das teure Stadtleben.
Als Bruder von Miriams Mutter hatte er nicht den Stand, in den Annabelle eingeheiratet hatte, sondern musste sich mit seiner Pferdezucht über Wasser halten und führte den Hof nun in dritter Generation weiter. Da seine Schwester Annabelle nicht gerne in dem alten Gut mehr als einige Tage aushalten wollte, hatte sich der Kontakt nur ziemlich locker gehalten. Entsprechend kannte Miriam ihren Onkel nicht so besonders gut und noch weniger die vielen Cousinen und Cousins.

Madame und Miriam hatten sich gerade zu einer Tasse Tee im Salon niedergelassen, als Louis ihren Onkel ankündigte. Sofort erhob sich Miriam und eilte ihm entgegen.
"Onkel Matisse! Schön, dass du uns besuchst. Sicher bleibst du für ein paar Tage?" Sie warf Madame einen unsicheren Blick zu, denn schließlich wohnte sie selbst nur zu Gast hier und hatte sich gerade angemaßt, ihren Onkel einzuladen. Doch Madame nickte nur lächelnd. Matisse drückte seine Nichte an sich und küsste sie sanft auf beide Wangen.
"Nicht gleich ein paar Tage, mein Kind. Ich werde morgen schon wieder zurückkehren und habe mich bereits im Hotel einquartiert." erklärte er. Madame reichte ihm ihre Hand, über die er sich galant beugte und betrachtete ihn. Dass er in einem Hotel wohnen wollte, fand sie äußerst wohl erzogen, doch amüsierte sie sein hoffnungsvoller Blick zu ihr. Offenbar schien er darauf zu bauen, dass Madame ebenfalls über eine gute Erziehung verfügte und ihm das Hotel ausredete.

Amanda war nicht mehr die Jüngste und keineswegs auf den Kopf gefallen. Ihr Stand ermöglichte es ihr seit vielen Jahren, je nach Laune zu entscheiden und nicht nach guter Erziehung. Hinzu kam, dass sie diesen Onkel zwar nicht unsympathisch fand, doch blieb sie wachsam, da ihr ein leichtes Lauern in seinem Blick nicht geheuer war. So lächelte sie nur und schwieg zu dem Hotel. Stattdessen lud sie ihn ein sich zu setzen. Louis stellte bereits ein weiteres Gedeck auf den Tisch.
Er räusperte sich, nachdem er ein wenig zu betont versuchte, es sich entspannt gemütlich zu machen. Madame hatte den Eindruck, dass er lieber mit seiner Nichte unter vier Augen gesprochen hätte, doch lehnte sie sich genüsslich zurück und machte von ihrem Hausrecht Gebrauch, stur in ihrem Salon sitzen zu bleiben. Sie war sich dessen sicher, dass er es nicht wagen würde, sie hinaus zu bitten.
Und so war es auch. Er leitete ein wenig Geplänkel ein, ließ sich von Miriam die Erlebnisse der letzten Wochen berichten und schien es nicht eilig zu haben, den Grund seines Besuches endlich auf den Tisch zu legen, womit er Madames Geduld auf eine harte Probe stellte.
"Nun, meine liebe Nichte, ich habe erfreulich schnell die Bestätigung deiner Vormundschaft erhalten und durfte mir Einblick in deine Situation erlauben." begann er endlich mit einem mühsamen Schnaufen. Miriam faltete die Hände und sah ihn gespannt an. Eine leichte Unsicherheit befiel sie, denn sie hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, keine guten Nachrichten zu hören.
"Ich muss sagen, dass es nicht einfach war, den Pfaden deines Herrn Papa zu folgen, mein Kind." Nun schnaufte Madame hörbar. Die Spannungen zwischen ihren verstorbenen Freund und seinem Schwager waren ihr sehr wohl bekannt, doch hielt sie es für unangebracht, die trauernde Tochter in diesen Konflikt hineinzuziehen. Miriam aber hielt sich tapfer und nickte mitfühlend.
"Aber sicher hast du es geschafft, nicht wahr, Onkel?" fragte sie zaghaft und sehnte sich plötzlich nach der schützenden Umarmung Sergejs.
"Natürlich habe ich das, natürlich." Er schürzte die Lippen und schlug die Beine übereinander.
"Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden. Dein Vater hatte in den letzten Jahren nicht besonders viel Glück in der Wahl seiner Berater. Zudem hat er sich wohl hingebungsvoll dem Wetten bei Pferderennen zugewandt und dabei zu oft auf das falsche Pferd gesetzt." Er machte eine Pause und beobachtete Miriam genau, die ihn aber nur unverwandt ansah und abwartete.
"Tatsache ist, dass kaum noch Barschaften vorhanden sind. Allerdings ist der Aufwand, das abgebrannte Haus abzureißen, äußerst umfangreich und du wirst nicht in der Lage sein, es wieder aufzubauen. Ich war gezwungen, den Schmuck deiner lieben Mutter zu versetzen, um das Personal auszuzahlen und dann zu entlassen."

1 Kommentar:

  1. Alter Schwede! Arme Miriam - Da läuft es gerade eigentlich endlich mal wieder etwas geradeaus in ihrem Leben. Und nun kommt diese Hiobsbotschaft.

    Das muss schon ein ziemlich merkwürdiges Gefühl sein, so unselbständig gehalten zu werden. Da kommt einfach jemand herein und erklärt dir, was alles los ist. Und du hast nicht einmal die Möglichkeit das überhaupt zu überprüfen, weil du nie gelernt hast ein paar Zahlen vernünftig lesen zu können.

    Und der Comte war also verschuldet? Oder schiebt der Onkel das nur vor um sich selbst einen Haufen Geld zu genehmigen?

    Gut, dass die Alte dabei ist.

    Liebe Grüße
    Joe

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