Donnerstag, 16. Juni 2011

Noctambule II: Zeit für Plan C

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

"Ich verordne Euch strenge Bettruhe, mein Lieber!" verkündete der Arzt entschieden und begann, seine schäbige, alte Tasche wieder einzuräumen. Sein Patient lag bereits im Bett, eingehüllt in sein langes Nachthemd und auf dem Kopf eine zerknautschte Bettmütze, die schief über seinem linken Auge hing.
Seine abwehrende Handbewegung ließ den Arzt unwillig aufsehen.
"Keine Widerrede! Wenn Ihr Euch nicht daran haltet, dann garantiere ich für gar nichts! Euer Herz strengt sich viel zu sehr an!" erklärte er streng. Der Comte blickte ihn mit müden Augen an.


"Das ist kein Wunder bei all der Aufregung. Ich kann es mir nicht erlauben liegen zu bleiben." murmelte er erschöpft. Er wusste selbst am Besten, dass er sich überanstrengte. Die Schmerzen im Arm und der Druck in der Brust wollten einfach nicht besser werden. Seit Jahren predigte ihm sein Arzt, dass er abnehmen müsse und aufhören solle, soviel Wein zu trinken. Alles Unfug. Essen und guter Wein waren seit einiger Zeit sein einziger Genuss.
"Papperlapapp!" Der Medikus wischte die Einwände seines Patienten autoritär zur Seite und schloss seine Tasche.
"Ihr würdet staunen, wie gut es auch mal ohne Euch klappt. Gönnt Euch die Ruhe!" befahl er ein letztes Mal, tippte grüßend an die Hutkrempe und verließ den Raum. Vor der Tür stieß er beinahe mit Annabelle zusammen, die vorsichtig eine Tasse heißen Tee balancierte. Sie lächelte ihn mit fragend besorgter Miene an.
"Wie geht es ihm?"
"Er braucht Ruhe. Ich mache mir große Sorgen. Der Sturkopf darf sich nicht mehr aufregen und sollte einige Tage ruhen. Morgen komme ich noch einmal zum Schröpfen vorbei. Heute ist es schon so spät." erklärte der Arzt vorsichtig. Annabelle seufzte leise und deutete auf die Tasse Tee.
"Aber Tee ist erlaubt?" fragte sie leise. Als sie ein Nicken erntete, lächelte sie wieder.
"Ich bringe es ihm schnell hinein, dann bringe ich Euch zur Tür." bot sie ihm an, doch er winkte lächelnd ab.
"Bemüht Euch nicht. Leistet ihm ein wenig Gesellschaft, Madame. Ich weiß, dass er immer sehr ruhig ist in Eurer Gegenwart." Ein kleines Zwinkern blitzte in seinen Augen auf und Annabelle zeigte ein weiteres kurzes Lächeln.
"Ich danke Euch, Jean." raunte sie und blieb vor der Tür stehen, bis er den Flur verlassen hatte und die Treppe hinunter schlurfte. Dann öffnete sie leise die Tür und trat ein.

Ihr Gemahl öffnete die Augen, als sie das Zimmer betrat und lächelte, als er die Tasse in ihrer Hand bemerkte. Seine Augen verfolgten ihre weichen Bewegungen, als sie die Tasse fürsorglich neben ihm auf den Nachttisch stelle und ihm das Kissen richtete, sodass er bequemer trinken konnte. Dann gab sie ihm die Tasse.
"Er ist nicht mehr zu heiß. Er wird dir gut tun, das sagte auch der Arzt." erklärte sie fürsorglich und bemerkte zufrieden, dass er sofort an dem Tee nippte.
"Dieser Quacksalber." schnaufte er und pustete doch vorsichtig in die Tasse. Annabelle stellte sich an das Bettende und betrachtete ihn.
"Hättest du bereits früher einmal auf ihn gehört, dann ginge es dir heute nicht so schlecht." meinte sie kühl. Ihre Hände ruhten ruhig auf der hohen Bettkante des Fußteiles. Ihre aufrechte Haltung ließ sie sogar ein wenig größer wirken.
Der Comte betrachtete sie und seufzte wieder.
"Ich mache mir große Sorgen um Miriam." begann er, denn das Thema lag ihm auf dem Herzen. Annabelles Miene verdüsterte sich sofort.
"Nun, daran bist du nicht wenig beteiligt. Ein wenig Nachsicht und Güte hätte dir gut zu Gesicht gestanden." meinte sie unversöhnlich. Ihre Augen ruhten ernst auf seinem Gesicht.
"Wenn ich nun nachgebe, dann denkt sie natürlich, sie kann uns um den kleinen Finger wickeln." meinte er und stöhnte leicht. Der Druck in seiner Brust wurde wieder schlimmer. Er verstand das nicht. Er lag doch ruhig und die Unterhaltung war zwar nicht angenehm aber auch kein Streit.
"Und damit sie das nicht denkt, nimmst du in Kauf, dass ich dich verlasse, um mit ihr zu reisen?" Ihre Stimme klang plötzlich scharf und kalt. Der Comte schob seine Nachtmütze ein wenig zurück und betrachtete seine Frau entgeistert.
"Natürlich nicht! Ich wünsche von Herzen, dass du bei mir bleibst!" erklärte er mit Nachdruck und stieß ein keuchendes Schnaufen aus. Für einen kleinen Moment hatte er wieder das Gefühl, doppelt zu sehen. Und seine Frau in dieser Stimmung doppelt zu sehen, war nicht gerade wenig aufregend. Er hasste es, wenn sie so kalt wurde.
"Und ich sagte dir ganz deutlich, dass mir nicht mein Kind wegnehmen wirst!" erklärte sie mit beißendem Ton. Sie bemerkte, wie sich kalter Schweiß auf seiner Stirn bildete und ein schmales Lächeln tauchte auf ihren Lippen auf.
"Ach Annabelle.." Der Comte seufzte, holte tief Luft und stieß sie mit einem pfeifenden Laut aus den Lungen. Dann schaute er schief in seine Tasse.
"Sag mal, kann es sein, dass dein Tee ein wenig bitter ist?" Er wollte das Thema wechseln. Tatsächlich mochte er den Tee gar nicht, den sie ihm ständig gab. Da sie nun nickte, schaute er sie blinzelnd an. Erneut verschwamm ihr Bild, verdoppelte sich und es kostete ihn enorme Anstrengung, sich auf sie zu konzentrieren.
"Oh ja, das tut er wohl. Aber Medizin soll ja bekanntlich nicht schmecken. Geht es dir nicht gut?" Der Comte jappste inzwischen nach Luft. Die Tasse klapperte in seiner zitternden Hand und Annabelle kam zu ihm, um sie ihm abzunehmen.
"Nein. Gar nicht.. gut." schnaufte er und presste seine Hände auf seinen Brustkorb. Annabelle beugte sich über ihn und strich über seine kalte Stirn. Der Schweißfilm, den sie dabei wegwischte, bildete sich sofort erneut.
Neugierig beobachtete sie, wie ihr Mann nach Luft schnappte und stöhnte. Sein Kopf sackte zurück und er starrte sie mit großen, ungläubigen Augen an. Sie lächelte. Ihr Kopf neigte sich leicht ein wenig tiefer und ihre Lippen streiften sein Ohr.
"Ich sagte dir aber nicht, dass ich bereits am Packen bin. Miriam und ich werden bleiben. Und du wirst gehen." murmelte sie sanft in sein Ohr, bevor sie sich langsam wieder aufrichtete.
"Ann.. Anna… Ann.." Er brachte kein Wort mehr heraus. Fassungslos und hilflos stierte er sie an, versuchte sie klar zu erkennen, doch sie verschwamm immer mehr. Reglos stand sie vor seinem Bett, die Tasse in den ruhigen Händen und beobachtete seinen mühsamen Todeskampf. Sein Röcheln war fast unerträglich, doch ihre Miene blieb hart und regungslos.
Als es vorbei war, gab sie sich einen Ruck und wandte sich zum Gehen. Die Tasse nahm sie zum Ausspülen mit. Auf dem Gang strich sie im Vorbeigehen liebevoll über die Blüten eines Blumenstraußes und sah aus den Augenwinkeln mit einem kleinen Lächeln, wie die Blüten des Fingerhuts sich nach der Berührung langsam wieder beruhigten.

1 Kommentar:

  1. Oh.. Da ist die Misses aber erheblich skrupelloser, als ich gedacht hatte. Aber natürlich kommt der Herzanfall des Herrn Gemahl als willkommene Tarnung für einen Mord.

    Wenn sie sich nicht besonders dämlich anstellt wird das niemals herauskommen.

    Und nun zeigt sich auch eben, wo die tatsächliche Liebe und vor allem die Loyalität liegt. Sie gilt eben der Tochter und nicht dem Gatten. Wird sie nun also doch eine ewig nörgelnde Schwiegermutter, die noch im Alter ihrer Tochter die Ehe erklärt?

    Wie passt eigentlich Sergejs Fluchtplan mit der kleinen Dame in ihr Konzept. Darüber weiß sie natürlich nichts. Es wird sie sicherlich überraschen.

    Liebe Grüße
    Joe

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