Freitag, 3. Juni 2011

Noctambule II: Rückblick - Gefährlicher Marktbummel

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Ebru hatte nicht ganz verstanden, warum ihr Herr ausgezogen war und nun fünf Tage in dem alten Schuppen verbringen wollte. Sie konnte keine Krankheit an ihm feststellen, doch hatte Sitis Herr von Krankheit gesprochen und es würde sicherlich seine Richtigkeit haben.
Sie empfand diese Rücksicht als weiteren Vertrauensbeweis, dass sie mit ihrer Schwester das Haus pflegen und auf den Besitz ihrer Herren achten würden. Und genau das hatte sie auch vor.


Auch wenn sie und Siti wussten, dass die beiden Herren kein normales Essen brauchten, versuchten sie die beiden mit den leckersten Gerichten zu verwöhnen und auf diese Weise mit dem selbst ernannten Exil zu versöhnen. Aber sie strahlte überglücklich, als die beiden Männer in der sechsten Nacht wieder im Haus einzogen.

Bei ihren Besorgungen in der Stadt lauschten sie noch immer den Gerüchten und Geschichten, die man sich auf den Marktplätzen erzählte. Der Beschuss hatte in den letzten Tagen aufgehört und die Bewohner der Stadt atmeten auf. Zwar rechnete man jederzeit mit einer weiteren Angriffswelle, doch tat es unendlich gut, einmal keine Trommeln und auch keine Alarmglocken zu hören.
An diesem Vormittag hätte man fast glauben können, das alte Leben sei wieder zurückgekehrt und es gab keine Belagerer vor der Tür. Es war nicht mehr so unerträglich heiß, die Luft roch nach Tau und einem schönen Spätsommertag, die Menschen wirkten gut gelaunt und noch immer waren keine anderen Geräusche als das normale Leben einer Stadt zu hören.
Gemeinsam mit ihrer Schwester hatte sie inzwischen gelernt, an den Ständen zu feilschen und genoss die kleinen Diskussionen, die stets zu einem guten Kompromiss führten, mit dem beide Parteien zufrieden sein konnten.
Gerade packte sie ihren Korb mit dem soeben erstandenen Gemüse, als erstaunte Rufe sie ablenkten. Viele Menschen starrten nach oben, einige hatten einen Arm hochgestreckt und als sie in den Himmel blickte, erhaschte sie gerade eben noch einen dunklen Schatten, der aber hinter den Häusern verschwand.
"Was war das?" fragte sie neugierig. Siti zuckte ratlos mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
"Ich weiß es auch nicht. Ich habe zu spät hochgesehen, aber beinahe habe ich gedacht, dass da ein Mensch durch die Luft fliegt." Sie lachte verlegen und half ihrer Schwester beim Einpacken.
"Das geht doch gar nicht!" kicherte Ebru und knuffte sie. "Sicher ein großer Vogel." vermutete sie.
"Ach, wir dachten auch, dass es Menschen wie unsere Herren nicht gibt." grinste Siti nun, stutzte aber sofort, als sie erneute Rufe hörte.
Beide Mädchen starrten sofort nach oben und rissen verwundert die Augen auf. Über ihren Köpfen flogen tatsächlich zwei Körper durch die Luft. Sie waren aber so schnell durch die Dächer der umliegenden Häuser ihren Blicken entzogen, dass sie sich ungläubig ansahen und ihren eigenen Wahrnehmungen nicht trauten.
Ebru war sich ganz sicher, dass diese Menschen nicht von alleine geflogen waren. Sie hätte schwören können, dass Arme und Beine irgendwie unnatürlich herumgewedelt waren, als wären sie nicht Herr ihrer Sinne.
"Sind das die Feinde? Sind die immer so?" wisperte sie und ließ sich von der aufsteigenden Unruhe auf dem Markt anstecken. Fragen, Staunen, Schreck und Vermutungen wurden laut, die Menschen redeten immer schriller aufeinander ein und immer mehr Frauen rafften hastig ihre Einkäufe zusammen, um den Marktplatz zu verlassen. Andere, viel neugierigere Menschen rannten bereits los, um zu sehen, ob und wo die Menschen gelandet waren.
"Lass uns nach Hause gehen." schlug Siti vor, ohne die Frage ihrer Schwester zu beantworten. Ihr war das alles plötzlich unheimlich und sie sehnte sich nach dem Schutz des Hauses. Ebru griff sofort nach ihrem Korb und wollte sich schon zum Gehen wenden, als erneute Schreie und Rufe aufkamen.
Sie konnte nicht sofort etwas erkennen und suchte mit den Augen dem Himmel ab, doch als sie endlich sah, was auf sie zu flog, war es bereits zu spät.

Im ersten Moment sah Ebru nur etwas Großes, Dunkles auf sich zu fliegen. Instinktiv wich sie zur Seite aus, dann begann schon das Chaos. Was haarscharf an ihr vorbeiflog, landete mit Getöse in dem Obststand, an dem sie gerade eben noch eingekauft hatte.
Ebru hörte ein seltsames Krachen, dann brach bereits der Stand zusammen. Äpfel, Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten fielen durcheinander und rollten polternd über den Boden. Die Tische, auf denen die Waren gelagert waren, brachen unter dem Gewicht des Aufpralls zusammen, die Schatten spendende Bespannung flatterte zu Boden und verhedderte sich mit den umfallenden Streben.
Ebru spürte, wie ihr Gesicht und Dekollete von etwas Feuchtem bespritzt wurde und vermutete verspritzten Saft des Gemüses. Sprachlos starrte sie auf die Leiche, die vor ihr in den Lebensmitteln lag.
Die Gliedmaße waren unnatürlich verrenkt und nun begriff sie, dass das Krachen von den Knochen gekommen war, die unter dem Aufprall gebrochen waren. Der Sturz in den Marktstand hatte die Knochen gebrochen und den Körper massiv verletzt. Blut und Gehirn verteilte sich über alles, was sich in einigen Metern Umkreis befand. Während die Menschen um sie herum schreiend davon rannten und heilloses Chaos ausbrach, stand Ebru fassungslos wie zu Stein erstarrt vor dem Toten.
Sie hörte und sah nichts mehr als diesen Menschen vor sich. Er sah furchtbar aus. Die toten, schräg stehenden Augen waren weit geöffnet, das Gesicht schrecklich entstellt. Die Haut hatte sich dunkel verfärbt und blutiger Schaum tropfte aus dem leicht geöffneten Mund. Am Hals entstellten dicke Beulen den Körper, die sich dunkelblau verfärbt hatten, als wären sie mit geronnenem Blut gefüllt. Finger, Zehen und Lippen des Toten hatten sich schwarz verfärbt und ein widerlicher Gestank ging von dem Toten aus.
Das heftige Schütteln an ihren Schultern riss Ebru endlich aus ihrem Schock. Siti schrie sie verzweifelt an und versuchte sie wegzuziehen. Wortlos stolperte sie hinter Siti her, die sie an der Hand aus dem Tumult zerrte. Erst in einer Seitenstraße blieb sie stehen und starrte zitternd ihre Schwester an.
"Du bist voller Blut! Ich mach dich sauber." Sitis Stimme bebte und ihre Hand zitterte heftig, als sie ihren Schal nahm und Ebru vorsichtig das Gesicht säuberte. Ebru bemerkte, dass ihre Schwester versuchte, nicht allzu angewidert auszusehen und nahm ihr den Schal ab. Heftig rubbelnd wischte sie sich sauber und sah sich nach einem Brunnen um, wo sie sich hätte waschen können. Doch der Brunnen wäre auf dem Marktplatz, wo sie auf keinen Fall wieder hin wollte.
"Ich will nach Hause." stammelte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Noch immer weigerte sich ihr Verstand zu begreifen, was sie gerade eben gesehen hatte. Siti nahm Ebru in den Arm und drückte sie.
"Ich bringe dich zurück. Alles wird gut. Ganz ruhig." murmelte sie verstört und rümpfte die Nase, denn der Gestank der Leiche schien nun auch an ihnen beiden zu haften.

1 Kommentar:

  1. Ich wusste es, sie bombardieren die Stadt mit den Pestleichen. Vermutlich haben sie wirklich genug dafür!

    Übrigens schön, dass an dem Stand keine Kartoffeln lagen. Aber Tomaten hätten da, meines Wissens, auch nicht liegen dürfen.

    Und jetzt sind sie vermutlich beide infiziert. Na das ist ja eine eklige Angelegenheit. Im Zweifel kann man sie vermutlich nur mit einer Verwandlung retten. Oder sind sie so stark genug um die Pest zu überleben? Wie wird es überhaupt in der Stadt, wenn jetzt alles ausbricht?

    Die hässliche Fraze des Krieges!

    Gruß
    Joe

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