Samstag, 11. Juni 2011

Noctambule II: Die Wahrheit

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Armand beachtete Maurice nicht einmal, nur Sergej drehte den Kopf, sah Maurice aber mit dem gleichen fassungslosen Staunen an wie zuvor Armand. Maurices Blick wanderte zwischen beiden hin und her, überflog die Zerstörung im Raum und ließ den Schürhaken wieder sinken.
"Verzeihung. Ich befürchtete einen Einbrecher." murmelte er und zog sich hastig wieder zurück. Sergej hätte normalerweise laut losgelacht, aber in diesem Fall führte Maurices ungebetenes Erscheinen zu einer Entspannung. Sergej wandte den Kopf wieder zu seinem Freund und schüttelte seufzend den Kopf.


"Setzen wir uns. Du musst mir wohl einiges erklären." verlangte er und stellte den Sessel wieder auf, dessen hinterer linker Fuß durchgebrochen war. Sergej nahm Armand einfach das Holzbein aus der Hand und schob es unter den Sessel. Er setzte sich und blickte auffordernd zu dem zögernden, großen Mann.
Da Armand sich noch immer nicht rührte, machte Sergej eine deutliche Geste zum Sofa. Armand gab misstrauisch nach und setzte sich auf die Kante des Sofas, was ein drolliges Bild abgab. Er war viel zu groß für das schlichte Möbelstück und so auf der Kante sitzend wirkte er wie ein Riese auf einem Zwergensessel.
Sergej rieb seine noch schmerzende Wange, aber es war eher eine Geste als wirklicher Schmerz.
"Und jetzt erklär mir um Himmels Willen, warum du auf mich losgehst wie ein Teufel, statt Luftsprünge vor Freude zu machen." verlangte er ruhig. Armand blieb angespannt bis in die letzten Muskelfasern.
"Sonst kommen nur George oder ich in Frage. Wir sind beide Unreine." stellte er knapp fest. Sergej runzelte fragenden Blickes die Stirn.
"Und? Was soll mir das sagen?" hakte er mit leichter Ungeduld nach. Armand zögerte. Es fiel ihm schwer, die scheinbare Gelassenheit Sergejs einzuordnen.
"Wir können nicht zeugen." erklärte Armand. Seine Stimme blieb knurrend und er wirkte noch immer angespannt. Die Erklärungen zu liefern schürte seinen Zorn erneut wie eine Bestätigung. Nach seiner Antwort Sergejs Mimik zu beobachten, löste aber auch wachsende Unsicherheit aus.
Sergej starrte Armand an, als habe er gerade den Weltuntergang verkündet.
Mit wachsendem Staunen schien er Armands Worte immer wieder neu durch sein Gehirn sickern zu lassen, als müsse er sie Buchstaben für Buchstaben verarbeiten. Nacheinander spiegelten sich Frage, Unglaube, Verwirrung und immer mehr heftigste Erheiterung in seinem Gesicht.
"Wie kommst du darauf, dass Unreine keine Kinder zeugen können? Funktionieren eure Schwänze nicht?" fragte er schließlich mit bebender Stimme. Armands Braue schoss hoch, dann runzelte er die Stirn. Noch während er überlegte, ob Sergejs Frage ernst gemeint war, begann sein Freund sich vor stillem Lachen zu schütteln.
Sergej fing sich sofort wieder, als er bemerkte, dass Armand wirklich nicht nach Lachen zumute war. Er beugte sich vor, wobei sein schiefer Sessel bedenklich knarrte.
"Ich weiß nicht, wer dir diesen Blödsinn eingetrichtert hat. Aber ich habe dir schon einmal gesagt, dass euch nur wenig von uns unterscheidet." Er holte tief Luft, als er sah, dass Armand nicht überzeugt wirkte.
"Armand, denk nach! Bei deiner Verwandlung hat dein Körper sich komplett erholt. Alte Narben sind verschwunden, gebrochene Knochen regenerieren. Warum sollte sich ausgerechnet die Zeugungsfähigkeit verschlechtern?" Sergej sah seinen Freund eindringlich an. Armand war verblüfft. Das hatte er nie bedacht. Wieder einmal hatte er ohne nachzudenken einfach den Worten von Adaliz Glauben geschenkt. Er sollte endlich damit beginnen, die Frau komplett in Frage zu stellen.
"Weiter: George hat Anya vergewaltigt, wie wir wissen. Gleichzeitig haben er und Isabelle jede Kraft aus ihrem Körper gezogen. Sie lag im Sterben. Nein, sie war schon tot! Wie hätte ein Kind, von George gezeugt, das überleben sollen? Durch die Verwandlung? Sehr zweifelhaft! Sie hätte es bereits vorher verloren! Noch dazu können weder reine noch unreine Vampire eine menschliche Frau schwängern. Das ist nicht möglich! Genauso gut könnte ein Wolf ein Reh vögeln!"
Armand hatte vergessen zu atmen. Zu gerne wollte er Sergejs Worten glauben und sie entbehrten nicht einer überzeugenden Logik. Dass Vampire und Menschen sich nicht kreuzen konnten, hatte er nicht gewusst. Schlimmer noch, er hatte sich das nie gefragt, denn er war ja von seiner eigenen Zeugungsunfähigkeit ausgegangen. Sergej ließ nicht locker.
"Dazu kommt außerdem, dass unsere Frauen eine sehr komplizierte Natur haben. Es gibt welche, die werden einfach nicht schwanger. Andere bekommen vier bis fünf Kinder kurz hintereinander und dann nie wieder. Unsere Frauen brauchen eine stabile Beziehung. Die hatte Isabelle wohl nie bei George, sonst hätte der ein ganzes Rudel Gören!" Er starrte seinen Freund eindringlich an:
"Ich schwöre dir, ich habe Anya nie berührt. Ich dachte nicht einmal daran. Sie gehört zu dir. Sie liebt dich mehr als ihr eigenes Leben, du Idiot!"
Stille senkte sich über den Raum. Armands Anspannung war verschwunden. Er hockte in sich gekehrt vor seinem Freund und versuchte, die neuen Gedanken zu sortieren während der Regen beruhigend an die Fensterscheiben trommelte.
Er sollte tatsächlich ein Kind gezeugt haben? War es wirklich möglich, mit seiner kleinen Anya eine Familie zu gründen? Keine Frau hätte er sich besser vorstellen können als Anya, um die Mutter seines Kindes zu sein. Anya.. Er hatte Anya Unrecht getan. Sein Verhalten musste sie unendlich verletzt haben.
Abrupt stand er auf.
"Ich muss zu ihr." erklärte er knapp und marschierte geradewegs aus dem Wohnzimmer. Sergej sah ihm amüsiert hinterher.
"Keine Ursache. Ich hab mich richtig gern verprügeln lassen." murmelte er ihm hinterher und lehnte sich zurück. Der Sessel knarrte. Der zweite hintere Fuß brach, der Sessel kippte schräg nach hinten und warf Sergej polternd auf den Boden.

Armand kümmerte sich nicht um den Lärm hinter sich. Mit hastigen, langen Schritten durchquerte er das lange Gebäude und blieb vor Anyas Tür lauschend stehen. Es war still hinter der Tür. Wahrscheinlich hatte sie sich in den Schlaf geweint.
Armand atmete tief durch und klopfte vorsichtig an die Tür. Er hatte keine Antwort erwartet aber das Schweigen löste trotzdem einen kleinen Stich aus. Vorsichtig öffnete er die Tür und blieb erschrocken stehen. Das Zimmer war leer. Anya war verschwunden.

1 Kommentar:

  1. Ich möcht mal sehen, wie ein Wolf ein Reh vögelt? Da ist es dann umgekehrt, wie bei den Spinnen, da frisst das Männchen dann das Weibchen nach der Paarung auf. Wobei man sich dann den Stress vorher auch hätte sparen können :) So aus fortpflanzungstechnischen Aspekten jedenfalls.

    Soo und Maurice ist ja mal wieder im genau richtigen Augenblick aufgetaucht. Ein mutiger Mann ist und bleibt er. Auch wenn er gegen Einbrecher vermutlich nicht ein zehntel dessen ausrichten könnte, was seine Herrschaft vermag.

    So und ich hatte recht! Da ist also was faul gewesen. Natürlich können unreine zeugen... *tut so als hätte er das von Anfang an gewusst* Und auch warum Vampirmädchen nicht wie die Karnickel 400 Jahre lang Kinder kriegen wird damit klar. Sie brauchen also tiefe Verbundenheit - Liebe! Auch das hatte ich ja bereits vermutet.

    Einmal mehr hat Armand übrigens ein riesiges Glück mit einem extrem verständnisvollen Freund. Jemand anders, auch ein Vampir, hätte diese Raserei wohl erheblich übler genommen.

    Und jetzt ist Anya weg? Und man kann sie nicht erspüren! Da wird gute altmodische Detektivarbeit gefragt sein um sie zu finden. Aber wo ist sie hin? Sie hat doch niemand? Doch nicht etwa zu Miriam? Aber was sollte sie da? Und hoffentlich tut sie nichts, was sie das Kind verlieren lässt. Und hoffentlich tut sie sich selbst nichts!

    Gruß
    Joe

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