Samstag, 18. Juni 2011

Noctambule II: Das riecht nach Skandal!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Ihr alter Freund, der Comte de Moureaux, hatte ihr natürlich davon berichtet, nachdem Madame sich über die Stille um den kleinen Frechdachs mit der geheimnisvollen Beziehung zu Armand gewundert hatte.
Sie hatte dem jungen Ding von Anfang an nicht die Geschichte über ein Geschwisterpaar geglaubt. Nur die Beweise fehlten ihr. Aber das war nun im Moment unwichtig. Sie mochte das Mädchen und machte sich gerade massive Sorgen um ihre Gesundheit.

In der Eingangshalle näherte sich bereits ihr Butler, der mit reglosem Gesicht Anyas Anwesenheit zur Kenntnis nahm und den tropfnassen Schirm mit spitzen Fingern von Madame übernahm. Amanda kümmerte sich nicht um ihn.
"Du kommst sofort rein in den warmen Salon! Louis, besorge er einen heißen Pfefferminztee.. nein zwei! Mit einem Schuss Rum! Nein, zwei.. in meiner Tasse." befahl sie energisch und zog die wortlos dabei stehende Anya mit sich in den Salon ohne sich darum zu kümmern, dass Anyas Umhang stetig tropfte und kleine Pfützen auf dem Parkett hinterließ.
Der Salon war gemütlich warm. Das Feuer prasselte im Kamin, wie Amanda zufrieden feststellte. Sie hasste kalte Räume, daher lautete ihre oberste Direktive in jedem Raum ordentlich den Kamin zu feuern. Die hohen Fenster ließen das trübe Tageslicht herein. Bei schönem Wetter musste es hier drin sonnendurchflutet sein. Verschiedene Sessel waren locker um den Kamin verteilt, ein kleiner Sekretär stand an der Seite, ein Sofa mit Stapeln von Kissen schien Madames Lieblingsplatz zu sein.
Amanda zerrte den nassen Umhang von Anyas Schultern und ließ ihn einfach auf dem Boden liegen.
"Du bist ja völlig durchnässt! Um Gottes Willen, was ist denn nur geschehen? Du musst aus den Sachen heraus. Louis!!" Madame war höchst besorgt. Die Teilnahmslosigkeit, mit der Anya alles zuließ, was Madame Dubrés veranlasste, alarmierte sie mehr als der körperliche Zustand der zitternden Frau. Der Butler trat herein und musterte kurz die Besucherin, bevor seine volle Aufmerksamkeit seiner Herrin galt.
"Besorge er etwas Trockenes zum Anziehen von mir und Decken! Schnell!" Louis verbeugte sich mit stoischer Miene.
"Sehr wohl Madame." Er zog sich wieder zurück und Madame wandte sich wieder Anya zu, die noch immer still da stand. Mit einem besorgten Schnalzen der Zunge strich sie Anya über die Wange.
"Kind, Kind." meinte sie seufzend und nahm sie an der Hand, um sie neben den Kamin zu ziehen. Die Wärme würde ihr sicher gut tun, auch in den nassen Sachen. Erst jetzt bemerkte sie mit Entsetzen, dass Anya Hosen trug. Und nicht nur das, diese Beinkleider waren schmutzig, zu groß, zerrissen und über alle Maßen unanständig.
"Wieso trägst du Männerkleidung? Ach Gott, Kind!" Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie etwas ratlos. Anya würde ihr viel erklären müssen, aber dazu war später Zeit genug. Es klopfte und ein junges Mädchen in sauberer Dienstkleidung trat ein. Sie stellte ein Tablett mit duftendem Minztee auf den Tisch, knickste und zog sich eilig wieder zurück, nicht ohne einen neugierigen Blick auf die seltsame Besucherin zu werfen. Auch sie riss die Augen weit auf über die unpassende Kleidung. Das war ein Skandal!
Amanda beachtete das Mädchen gar nicht sondern griff zu der ersten Tasse, schnupperte daran und reichte sie Anya, nachdem sie sicher war, darin keinen Rum zu finden.
"Trink! Vorsicht, sehr heiß, aber es wird dir gut tun." befahl sie. Anya griff mit beiden Händen nach der Tasse. Besorgt beobachtete Madame, dass Anya sich an der Tasse eher festhielt als die Tasse zu nehmen und kurz befürchtete sie, dass sie sich mit der Tasse die Zähne einschlagen würde, so sehr zitterte sie. Als Anya gehorsam an dem Tee nippte, war sie zufrieden und nahm ihr die Tasse wieder ab.
"Gleich gibt’s mehr. Und nun komm, du musst aus den nassen… Sachen heraus. Was ist das nur für ein schreckliches Zeug!" Wieder wurde Anya an der Hand genommen und zu einer Ecke geführt, in der ein Paravent stand. Hinter dem großen Raumteiler bewahrte Madame ihren Hausmantel auf, bequeme Hausschuhe und sogar ein kleiner Frisiertisch war dort versteckt.
"Mein Schlafzimmer befindet sich im oberen Stock. Das ist mühsam für meine alten Knochen, deshalb habe ich die wichtigsten Dinge gern in meiner Nähe." erklärte sie kurzatmig und begann, Anyas Hemd mit spitzen Fingern zu öffnen. Noch immer regte sich Anya kaum. Sie ließ sich ausziehen und zuckte nicht einmal zusammen, als es erneut klopfte und der Butler Louis einen Arm voller Decken und Kleidung hereinbrachte.
Madame watschelte zu Louis, nahm die Sachen entgegen und brachte sie zu Anya. Nun atmete sie erleichtert auf, denn Anya hatte endlich angefangen, sich selbst weiter auszuziehen. Mit gesenktem Kopf öffnete sie ihre Kleider und ließ die nassen Stoffe zu Boden fallen. Auch Madame kümmerte sich nicht darum, dass hier das Parkett nass wurde. Mit einem kurzen Aufflackern tiefsten Neides betrachtete sie den makellosen, zierlichen Körper der jungen Frau. So hatte sie auch einmal ausgesehen, aber ihr exzessives Leben hatte sie und ihren Körper nach und nach zerstört.
Seufzend half sie Anya in das weiche Nachthemd und den warmen Morgenmantel. Beides hatte Louis offenbar aus Madames Zimmer holen lassen. Die Sachen waren Anya viel zu weit und auch zu lang. Madame verspürte den Drang zu lachen über Anyas Anblick. Sie passte locker dreimal in das Nachthemd und der Mantel schlug dicke Falten, als er zugebunden wurde. Madame Dubrés rubbelte die blonde Haarpracht mit einem Handtuch so trocken wie es eben ging und nahm dann die kalte Hand der jungen Frau, die immer noch zitterte.
"Komm ans Feuer, Kind. Himmel, nicht dass du dir noch eine Lungenentzündung geholt hast." Der Gedanke an ihren Arzt rumorte in ihrem Kopf, während sie Anya wie ein kleines Kind zu dem Sofa führte, sie dort hineindrückte und fürsorglich mit allen Decken umhüllte, die Louis mitgebracht hatte. Zum Schluss drückte sie ihr die Tasse Tee wieder in die Hand und fiel selbst erleichtert in einen der breiten Sessel. Ihr taten alle Knochen von den ungewohnten Bewegungen weh und sie jappste nach Luft, denn die Anstrengung war zuviel. Aber jede Müdigkeit und Erschöpfung, die sie in der Kutsche noch gelähmt hatten, war verschwunden. Das hier roch nach Skandal und Abenteuer. Das war das Leben, das sie selbst so sehr genossen hatte.

1 Kommentar:

  1. Da sieht Madame also ihr eigenes Ich von vor hmmm 30 jahren? :)

    Anya wirkt wirklich alarmierend passiv, geradezu katatonisch. Hoffentlich erwacht sie aus diesem Zustand schnell. Aber ein heißer Tee und eine gute Zusprache könnten das sicher erreichen.

    Madame Dubres liebt die Skandale. Dass sie hier einen vor der Nase hat, ist unzweifelhaft. Doch wem gilt ihre Loyalität? Ich bin gespannt...

    Liebe Grüße
    Joe

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