Montag, 20. Juni 2011

Noctambule II: Ich will es!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Madame liebte feine Kleidung, gutes Essen und jeden Luxus, den ihr verstorbener Gemahl ihr hinterlassen hatte. Unsauberkeit, hasste sie wie die Pest, bei Kleidung ebenso wie bei der Körperpflege. Noch schlimmer aber waren ruinierte Kleider. Aber in diesem Moment war es ihr völlig egal, dass Anya hemmungslos weinend ihr nagelneues Kleid mit den Tränen zu ruinieren begann.

Sie drückte den zitternden Körper an sich und strich beruhigend über die nassen Haare der jungen Frau. Dabei starrte sie ins Leere, geduldig wartend, bis Anya sich beruhigen würde. Ihre Gedanken wanderten in ihrem Leben zurück. Wie oft hatte sie sich wohl gewünscht, jemanden zu haben, bei dem sie sich ausweinen konnte? Und wie oft hatte sie ihr Kissen nehmen müssen, um sich in den Schlaf zu weinen?
Dieses Mädchen hier war von mehreren Situationen offensichtlich überfordert worden und hatte wohl keinen Menschen, dem sie vertrauen konnte. Der einzige Schutz, der sie hoch gehalten hatte, lag in Armand und der war nicht hier. Sie hoffte, dem jungen Mann bald die Ohren lang ziehen zu können. Oh, darauf freute sie sich jetzt schon! Diese eine Frage nach Armand hatte ja Anyas Tränenflut ausgelöst.
Nachdem Anya sich endlich ein wenig beruhigt hatte, fischte Madame ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und reichte es ihr. Sie ließ sie behutsam wieder los und sank zurück in ihren Sessel. Dort wartete sie schweigend auf das, was kommen würde. Anya schien Zeit zu schinden, indem sie sich ausführlich die Nase putzte und versuchte, ihre Augen trocken zu tupfen. Als sie bemerkte, dass Madame sie beobachtete, ließ sie seufzend das Taschentuch sinken.
"Danke." hauchte sie leise. Amanda nickte mit einem kleinen, warmen Lächeln und schwieg weiter. Schließlich holte Anya tief Luft.
"Das ist schon so lange her. Und ich.. ich bin weggelaufen." stammelte sie schließlich. Madames Braue wanderte steil nach oben. Verständnislos schwieg sie, wartete auf eine Begründung und versuchte, Anya nicht zu drängen. Ihr entging nicht, dass Anya nicht zu wissen schien, wohin sie schauen sollte. Sie wirkte beschämt. Aber noch viel schlimmer war für Madame zu spüren, wie tief Anyas Unglück zu sitzen schien.
"Ich glaube, ich bin schwanger." Anya hatte den Satz hastig geflüstert, doch Amanda hatte jedes Wort deutlich gehört. Da sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte, musste sie nun fast schnappend frische Luft einatmen und lehnte sich zurück. Verflixte Tat! Das war wohl das Schlimmste, was einer unverheirateten Frau geschehen konnte. Zum Glück war ihr das niemals passiert. Warum, das wollte sie lieber nicht ergründen.
Für Amanda begannen die eigentlichen Sorgen mit Anyas letztem Geständnis. Sie dachte bereits an die Zukunft. Bald würde Anya ihre Schwangerschaft nicht mehr verheimlichen können. Sie müsste unter einer fadenscheinigen Begründung Marseille verlassen, das Kind irgendwo gebären und entweder weggeben oder aber in Armut bis ans Ende ihrer Tage um das Heranwachsen ihres Kindes kämpfen müssen. Natürlich müsste Armand sie darin unterstützen aber man kannte ja die Männer.
Ihren Spaß wollten die feinen Herren haben, aber die Konsequenzen scheuten sie wie der Teufel das Weihwasser. Eigentlich hatte sie Armand gar nicht so eingeschätzt. Doch musste Anya ihre Gründe für ihr Weglaufen haben. Der einzige Grund, der ihr einfiel war, dass Armand gar nicht der Vater war. Erneut hielt sie die Luft an. Wenn nicht er, dann war das Kind von dem anderen. Und das gab natürlich mächtige Probleme.
Amanda Dubrés unterdrückte ihren zweiten Seufzer und versuchte, ihre Stirn nicht in Falten zu legen, denn sie bemerkte, dass Anya hilfesuchend zu ihr sah.
"Nun, solange du das nur glaubst und nicht sicher weißt, kommen wir nicht weiter, Kind. Ich werde eine Hebamme rufen lassen. Danach wissen wir mehr." schlug sie vor und vermied weitere Fragen. Anyas Augen weiteten sich kurz.
"Kann sie das denn erkennen? Ich bin doch noch ganz am Anfang." Madame lächelte über die zaghafte Stimme Anyas und nickte.
"Du glaubst gar nicht, was die alles können! Und wenn du das Kind nicht haben willst, finden wir auch da eine Lösung. Allerdings ist die nicht ungefährlich für.."
"Ich will es!" unterbrach Anya sie sofort mit erstaunlicher Festigkeit. Erneut hob sich Madames Augenbraue.
"Auch wenn es nicht von deinem Armand ist?" Ihre Frage ließ Anya keuchen. Offenbar hatte das junge Ding nicht damit gerechnet, dass Madame alle Möglichkeiten in Betracht gezogen hatte. Interessiert musterte Amanda sie.
"Ich wünsche mir so sehr, dass es von ihm ist. Wie kann ich es dann .. dann töten? Ich kann doch nicht nur auf den Verdacht hin.. nein, das geht nicht." Anya hatte die Worte leise vor sich hin gesprochen, mehr zu sich selbst als zu ihrer neuen Freundin. Aber diese hatte es gehört und nickte langsam.
"Und du bist weggelaufen, weil du nicht weißt, von wem es ist?" vergewisserte sich Madame vorsichtig. Anyas Nicken bestärkte sie. Madame dachte kurz nach. Natürlich war das alles eine haarsträubende Geschichte. Entführungen kamen immer wieder einmal vor und meistens entpuppten sie sich später als romantische Ausbrüche junger Paare, die sich unverstanden fühlten.
Doch Anyas körperlicher und seelischer Zustand, ihre unnatürliche Blässe und der Weinkrampf ließen Madame dazu neigen, den Wahrheitsgehalt ihrer Geschichte nicht anzuzweifeln. Eine gewisse Skepsis aber blieb. Auch junge Frauen verstrickten sich gerne einmal in gefährliche Spiele. Sie selbst wusste das nur allzu gut. Wenn dann alles zusammenbrechen zu drohte, brauchte man dann eben doch Hilfe und neigte dazu, die Dinge ein wenig besser für sich selbst darzustellen.
Madame beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Früher oder später würde sich schon alles aufklären. Immerhin waren da noch die ungeklärten Morde, unter anderem an ihrem Liebling, dem Duc de Povignans. Sie vermisste ihn schmerzhaft und die Andeutungen des Comtes, dass Armand und Anya damit zu tun haben könnten, hatten ihr nicht gefallen.

Nichts desto trotz war Anya von einer ihrer eigenen Gesellschaften verschwunden, der Herzog tot aufgefunden und die Kutsche nie entdeckt worden. All das könnte tatsächlich zu einer Entführung gegen Anyas Willen passen. Aber Madame beschloss, fürs Erste nicht weiter nachzuhaken. Sie griff nach der kleinen Klingel und schüttelte sie heftig.
"Ich denke, du wirst sicher für eine Weile hier bleiben wollen. Das wäre das Beste und hier wird dich auch so schnell niemand vermuten. Mein Personal ist verschwiegen, glaub mir. Louis wird dir eines der Gästezimmer herrichten lassen. Morgen bestellen wir die Schneiderin. Du wirst niemals wieder diese.. Fetzen anziehen. Ah.. Louis! Dort drüben dieser nasse Haufen ist fortzuwerfen. Bereite er ein Zimmer für Mademoiselle vor, sie wird für eine Weile mein Gast sein." Nachdem Der Butler wieder verschwunden war, sah Madame lächelnd zu Anya.
"Er hasst es, wenn unvorhersehbare Dinge geschehen. Und ich liebe es, ihn damit zu ärgern." erklärte sie vergnügt und stellte erfreut fest, dass sie ein erstes, kurzes und sehr zaghaftes Lächeln bei Anya hatte auslösen können.

1 Kommentar:

  1. Madame Dubres ist eine kluge Frau. Sie hat sich wirklich gut durchs leben gewurschtelt. Und nun könnte sie Anya helfen. Auch, dass sie Anya zurück bei Armand sehen möchte, scheint die Sache erst einmal vorteilhaft zu machen.

    Aber wo sieht sie ihren Vorteil? Was hat sie davon, dem armen Mädchen zu helfen? Alles, was sie über diesen Skandal erzäheln könnte, würde Anya doch gesellschaftlich ruinieren. Und das kann sie doch tatsächlich nicht vorhaben?

    Hoffen wir, es geht gut aus.

    Gruß
    Joe

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