Mittwoch, 25. Juli 2012

Noctambule III - Rückblick: Überfall

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Er schob den Korb mit dem schwindenden Proviant in eine Ecke und begann, ein paar Kisten zu verschieben. Dort, wo Dirk gelegen hatte, wollte er nicht schlafen. An der Stelle zog es wie Hechtsuppe, fand er, und außerdem war es unbequem. Er bevorzugte die Stoffrollen und den Teppich, wo er seinen Kopf gemütlich wie auf einem Kissen ablegen konnte und es außerdem noch von beiden Seiten warm hatte.


Er kroch zwischen die Rollen und zog den Teppich wie eine schwere Decke über sich mit dem Gedanken, dass er den dünn gewebten Teppich unbedingt wieder ordentlich zusammen rollen musste, damit er sich nicht noch verzog. Zufrieden rollte er sich zusammen und dachte an die kleine Schwarzhaarige, die in der Schänke arbeitete und gerne ihr Zimmer teilte. So schlief er selig ein, ohne sich am Rumpeln und Schaukeln des Wagens zu stören.
Er erwachte durch einen erschrockenen Schrei, gefolgt von einem heftigen Poltern. Der Wagen rollte langsam aus und blieb stehen. Jan hob den Kopf irritiert, doch Dirk saß nicht mehr auf dem Kutschbock. Also hatten die führerlosen Rinder einfach angehalten. Direkt neben dem Wagen, nur durch die Plane vor Jans Augen verborgen, hörte er Dirk keuchen und einen Fluch ausstoßen. Jan holte grinsend Luft, um ihn wegen des rüden Weckens zu verfluchen, doch die Worte blieben in seinem Hals stecken.
Das Klatschen eines Schlags ließ ihn zusammenzucken. Ein Körper flog auf den Boden, Jan hörte deutlich das Brechen von Knochen und einen markerschütternden Schrei, der allmählich in ein Gurgeln, dann in ein Stöhnen überging. Zögernd und vorsichtig hob Jan die Plane ein Stückchen an und blinzelte durch den Spalt hinaus. Der Schein der Laterne warf nur einen kleinen Lichtkegel zur Seite. Direkt am Rand dieses Lichtkegels erkannte Jan einen Körper am Boden liegend. Vielmehr erkannte er die Stiefel von Dirk, denn über den Körper hatte sich ein riesiger Kerl gebeugt.
Unbewusst hielt Jan den Atem an. Später würde er nicht erklären können, warum er nicht brüllend aus dem Wagen geklettert war, um den Feind zu stellen. Jetzt aber starrte er nur fassungslos auf die wild zuckenden Beine seines Freundes, die Fersen rissen tiefe Rillen in den weichen Boden. Das furchtbare Stöhnen wurde leiser und klang nicht mehr schmerzerfüllt. Jan konnte sich nicht genau erklären, wie es nun klang, denn der Begriff "lustvoll" passte einfach nicht zu dem, was er sah.
Dann wurde Dirk still. Jan hielt den Atem an und presste den Mund gegen die Stoffrolle, denn nun hob der Fremde den Kopf und sah sich um. Jan erkannte die Blutspuren an den Lippen, sah schrecklich lange Zähne und der Schock setzte ein. Er merkte nicht, dass er tief in den Stoffballen biss, als er die Plane fallen ließ. Ohne nachzudenken zog er den Teppich wieder über sich und versuchte, das Zittern seines Körpers durch Anspannung der Muskeln zu unterdrücken.
Nur eine Sekunde später hörte er, wie jemand auf den Kutschbock sprang und hielt erneut die Luft an. Er hatte die Augen fest zusammengepresst und betete in Gedanken, dass er im Dunkel des Wagens unter dem Teppich nicht zu sehen war. Sein Herz, das eben noch vor Panik gerast war, schien stillzustehen. Wenn es schlug, dann zögernd und stockend. Ihm wurde schwindlig und kalter Schweiß trat auf seine Stirn, seine Blase hatte sich längst entleert und der beißende Geruch von Urin breitete sich im Wagen aus.


Eine Ewigkeit schien sich nichts zu rühren, doch Jan hätte schwören können, dass sich schwarze Augen ruhig umsahen. Dann endlich hörte er das leise Aufkommen eines Körpers, der vom Kutschbock gesprungen war, auf weichem Boden. Noch immer wagte Jan nicht zu atmen. Sein Kopf dröhnte, doch er glaubte das Schleifen eines Körpers zu hören. Vor seinem geistigen Auge sah er den Riesen, der den leblosen Dirk in den Wald schleppte. Jetzt erst wurde ihm bewusst, was er gerade gesehen hatte. Der Kerl hatte seinem Freund die Kehle weggefressen!
In blitzartigem Tempo spuckte sein Gedächtnis Geschichten und Legenden von Fleischfressern, Werwölfen und Vampiren aus. Seine Fantasie schlug Purzelbäume, er schmeckte Stoff in seinem trockenen Mund und noch viel schlimmer, er schmeckte auch Blut, weil er sich in die Wange gebissen hatte. Der Schock setzte erneut ein und riss ihn in eine gnädige Dunkelheit.

1 Kommentar:

  1. Armand braucht nun mal etwas zu trinken. Aber er war unvorsichtig. Er hätte den Wagen besser durchsuchen sollen.

    Aber was wird Jan nun tun? Er hat schließlich keine Ahnung, genau wie ich, was Armand nun vorhat?

    An seiner Stelle hätte ich den Körper irgendwie unter die Räder des Wagens gelegt, so dass es aussieht als sei der Kutscher schlafend vom Bock gefallen und von seinem eigenen Gefährt überrollt worden. Das erweckt jedenfalls keinen Verdacht.

    Doch ein herrenloser Wagen ist doch ungewöhnlich. Und diesmal ist es ein herrenloser Wagen mit einem Überlebenden darin, der den Gerüchten in der Stadt mächtig Vorschub leisten wird.

    Ihr solltet vielleicht schon mal Packen, Armand Brid und Inga.

    LG
    Joe

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