Samstag, 21. Juli 2012

Noctambule III: Im Jagdrausch

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Die Zeit zu jagen war ungünstig. Es war weit nach Mitternacht und die meisten Menschen lagen jetzt nach einem harten Arbeitstag erschöpft in ihren Betten. Noch war nicht die Zeit für die Arbeiter, aufzustehen und sich an ihr Tagewerk zu begeben, doch es war bereits spät genug, um kaum mehr jemandem zu begegnen, der auf dem Heimweg war oder noch arbeitete.


Anya dachte gar nicht daran, in ein Haus einzubrechen und dort möglicherweise auch noch Geschrei auszulösen, weil zu viele Menschen dort wohnten, die sie versehentlich wecken könnte. Die Gefahr war viel zu groß, einer Mehrheit gegenüber zu stehen, die nur Ärger machen und sie in Schwierigkeiten bringen würde.
So blieb ihr nichts weiter übrig, als tiefer in die Stadt vorzudringend und zu hoffen, einem nächtlichen Arbeiter zu begegnen, der noch nüchtern war. Ihr Hunger war seit der Geburt noch gewachsen. Die erste Jagd in dieser Nacht war schnell erledigt gewesen, doch hatte sie so starken Hunger, dass es sich anfühlte, als habe sie seit Tagen nichts mehr zu sich genommen.
Die Stille der Nacht ermöglichte es ihrem feinen Gehör, wesentlich leichter die Quelle von Geräuschen zu orten. Daher blieb sie nach kurzen, unglaublich schnellen Sprints immer wieder stehen und sah sich lauschend um.
Ihr war nicht danach, mit ihrer Beute zu spielen. Sie wollte so schnell wie möglich zurück zu Raoul und Miriam. Doch hatte ihre Suche sie bereits weit vom Stadtrand entfernt, als sie endlich ein rhythmisches, dumpfes Geräusch hörte, das massiv danach klang, als würde ein Mensch bei seiner Arbeit auf irgend einen Gegenstand schlagen. Je näher sie dem Geräusch kam, desto besser konnte sie es einordnen. Es klang genau so wie in ihrer Kindheit, wenn sie dem Bäcker in der Nachbarschaft dabei zugesehen hatte, wenn er Brotteig herstellte und einen mächtigen Teigklumpen anhob, um ihn zu wenden, wieder fallen zu lassen und erneut durchzukneten.
Lauernd machte sie die Backstube ausfindig und schlich sich an die Außenwand, um durch ein Fenster zu spähen. Der Bäcker schien alleine zu sein. In Gedanken verloren knetete er mit kraftvollen Bewegungen seinen Teig, während feiner Mehlstaub im Licht des Ofenfeuers schimmerte. Noch hatte der Ofen nicht die richtige Temperatur erreicht, wie es schien. Der Mann nutzte die Zeit bis dahin sinnvoll, indem er weitere Brotlaibe formte, sie in ein Regal legte und dort ruhen ließ, bis sie genug aufgegangen sein würden, um in den bis dahin gut gefeuerten Ofen zu schieben.
Besonders zufrieden war Anya mit ihrem Fund nicht. Der Bäcker war keineswegs mehr jung, doch auch noch nicht zu alt, um für sie ungenießbar zu sein. Aber ältere Menschen hatten oft schon Gebrechen oder durch ein zu anstrengendes Leben Krankheiten, die das Blut bereits verändert hatten aber noch nicht ausgebrochen waren. Für einen Vampir war es riskant, sich einen zu alten Menschen auszusuchen und selbst wenn diese noch gesund und rüstig waren, so war doch der Organismus nicht mehr in der Lage, das Blut mit genug Sauerstoff anzureichern oder zu reinigen.
Doch für diese Nacht musste ihre Auswahl genügen. Anyas suchender Blick tastete die Umgebung ab. Ein kleiner Zaun neben dem Backhaus trennte den Innenhof von der Straße ab, auf dem sich Kisten und Säcke unter einem Dachüberstand stapelten. Dort wurden die täglich gelieferten Mehl-, Zucker- und Gewürzsäcke gestapelt. Direkt neben diesem Unterstand war eine Tür einen Spalt breit geöffnet. Das war der Zugang zur Backstube und Anya flankte über den Zaun, um sofort leise diese Tür anzusteuern.
Lautlos zwängte sie sich durch den Türspalt und hörte nun, wie der Bäcker begann, ein Lied zu pfeifen. Zielsicher folgte sie dem Pfeifen und zog die Tür zur Backstube auf. Das Knarren der Tür ließ den Bäcker nicht einmal aufsehen. Er unterbrach sein Lied und warf einen frischen Laib in das Regal.
"Du bist spät heute, Pierre!" beschwerte er sich und warf einen missbilligenden Blick über die Schulter. Sofort erstarrte er, als er die seltsame Gestalt erkannte und runzelte die Stirn. Die kleine Frau vor ihm war alles andere als eine Attraktion. Nicht nur, dass ihr zierlicher Körper in schmutziger Männerkleidung steckte, was mehr als ungebührlich war. Irgendein Vollidiot hatte ihre blonden Haare so unfachmännisch geschnitten, dass sie im Augenblick zu allen Seiten abstanden.
Dennoch strahlte das schmutzige, blasse Gesicht auf eine seltsam faszinierende Weise. Der Bäcker starrte die junge Frau einfach nur an und auch sie rührte sich nicht, sondern begnügte sich damit, ihn mit einem Lauern zu betrachten, das er überhaupt nicht einordnen konnte.
Sie konnte keine Diebin sein, denn ein Dieb hätte sich nicht offen gezeigt und wäre schon gar nicht einfach in seine Backstube spaziert. Dennoch stimmte an dieser Situation gerade gar nichts und da er es nicht einordnen konnte, wurde er misstrauisch.
"Wer seid Ihr? Braucht Ihr Hilfe?" Sein Ton war unwirsch und machte deutlich, dass er diese Störung gerade nicht gebrauchen konnte. Seine Arbeit zu unterbrechen, konnte für ihn ein Verlust sein, den er nicht mehr aufholen konnte. Dennoch brachte er es offensichtlich nicht über das Herz, diesen unerwünschten Besuch einfach wieder hinauszuwerfen.
Doch die Frau antwortete nicht. Kurz neigte sie den Kopf, um ihn zu taxieren, dann plötzlich verwandelte sich das schöne Gesicht in eine Fratze, die nur aus spitzen Zähnen zu bestehen schien und er hätte schwören können, dass ihre Augen kurz wie Kohlestücke geglüht hatten.
Noch bevor er seine Wahrnehmung überhaupt richtig erfassen konnte, flog ihr schmaler Körper förmlich auf ihn zu. Seine Reaktion war reiner Instinkt und keineswegs geplant. Abwehrend riss er die Hände hoch und federte mit ihnen den Aufprall ihres Körpers soweit ab, dass er nicht mitgerissen wurde, sondern nur gegen den Backtisch prallte. Unbewusst hatte er dabei seine rechte Faust geballt und schlug nun zu. Die kleine Frau wurde zurück geworfen und flog gegen das Regal mit den Broten.
Als es lärmend zusammenbrach, flog Mehlstaub auf, der von den herunterfallenden Broten aufgewirbelt wurde. Völlig verblüfft und überrumpelt sah der Bäcker, wie diese kleine Frau sich wieder aufrichtete und erneut sprang. Diesmal zögerte er zu lange. Er spürte ihren Körper, der sich fest an ihn presste und nahm kurz den heftigen Schmerz ihres Bisses wahr. Seine Beine verloren an Kraft und gaben nach. Als er fiel, spürte er bereits keine Schmerzen mehr, sondern ein seltsames Glücksgefühl, das sein verwirrter Geist auf den Körper zurück führte, den er so eng an seinem spürte.
Anya verbiss sich in ihm und trank lautlos. Sie sank mit ihrem Opfer zusammen auf den Bogen, blieb kniend über ihm und genoss die frische Energie, sie sie überflutete. Als sie sich endlich von ihrer Beute löste, fühlte sie sich kraftvoller und besser. Noch rauschte der Jagdtrieb in ihren Ohren, doch der würde in den nächsten Sekunden abklingen.

In ihrer Gier beging sie den Fehler, nicht auf ihre Umgebung zu achten und so hörte sie die Schritte hinter sich nicht rechtzeitig. Als der mächtige Schlag einer Faust ihre Schläfe traf, verlor sie sofort das Bewusstsein und spürte nicht einmal mehr, wie ihr Körper zur Seite flog, bevor er gegen ein Regal schlidderte und dort verrenkt in den herunterpolternden Trümmern liegen blieb.

1 Kommentar:

  1. Du willst mich wohl ärgern?

    Miriam liegt bewusstlos im Bach und Anya bewusstlos in einer Backstube! Das darf doch nicht wahr sein.

    Da ist der kleine Raoul den mächtigsten Gefahren seines noch jungen Lebens entgangen. Er kam unter den widerwärtigsten Umständen zur Welt, die man sich wohl vorstellen kann und jetzt das? Er liegt schreiend in einem Bündel an einer Mauer am Rand von Marseille. Ohne Aussicht auf Hilfe!

    Was ist mit Anya los. Wieso hat sie alles vergessen und über den Haufen geworfen, was sie eigentlich besser wissen sollte? Wieso hat sie den Bäcker nicht gleich gefügig gemacht, sowie die alte Frau?

    Ach *seufzt*

    Ich befürchte das die anfänglich guten Wendungen hier jetzt fürs Erste zuende sind!

    LG
    Joe

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