Montag, 23. Juli 2012

Noctambule III - Rückblick: Lichtscheues Gesindel

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Sittard 1585

Nathan hatte es sicher gut gemeint, als er für Lucie eine Schubkarre gebaut hatte, in der sie das Kind transportieren konnte. Er hatte ein höheres Rad genommen und die Gabel verlängert, doch egal wie viele Kissen und Decken Lucie hinein legte, das kleine Mädchen wurde arg herumgeschüttelt und begann darin zu weinen. So zog sie seufzend mit der seltsamen Schubkarre los, ihre Tochter im Tragetuch vor die Brust gebunden.



Zweimal in der Woche war Markttag. Für Lucie eine willkommene Abwechslung in ihrem einsamen Leben mit dem verwirrten, sabbernden Vater im Haus. Auf dem Markt konnte sie nicht nur das eine oder andere Gespräch führen und den Klatsch des Ortes antreiben, sie konnte hin und wieder auch einmal in den Stoffen wühlen und sich vorstellen, wie sie in einem Kleid aus solch schönen Stoffen wohl aussehen würde.
Zu ihrem Zorn hatte Nathan das Geld für den Kaufpreis des Hauses nicht herausgerückt sondern wollte es sparen, damit er davon das Schulgeld für ihre Tochter bezahlen konnte. Sie sollte es einmal besser haben als er, doch dafür benötigte man eben Geld. Er hatte Lucie verboten, auch nur ein Geldstück davon zu nehmen und so rechnete sie eben Tag für Tag weiter und drehte jeden Sous zweimal um, bevor sie ihn ausgab.
Nathan war normalerweise ein nachgiebiger Mann, doch in diesem Fall hatte es einen heftigen Streit zwischen ihm und seiner Frau gegeben. Abend für Abend zählte er die Geldstücke aus dem Beutel, was Lucie verbitterte. Natürlich hielt sie ihm vor, dass er ihr nicht vertraute. Doch Nathan, das wusste sie, kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie sonst an das Geld gegangen wäre.
Der Geldsegen hatte das Glück der Beiden schwer ins Wanken gebracht. Lucie schob die Schuld allerdings nicht sich zu oder Nathan. Schuld war dieser seltsame, riesige Mann, der sie immer so merkwürdig ansah und bei dem sie bereit war, zu vergessen, eine anständige Frau zu sein.
Mit der Zeit war Lucie nicht mehr sicher, ob sie wirklich richtig gesehen hatte, als das blonde Luder so verschlafen aus dem Zimmer gestolpert war. Damals hätte sie schwören können, ein schreckliches Gebiss zu sehen, doch der Anblick war so kurz gewesen, dass sie bereit war, alles der Fantasie einer überängstlichen jungen Mutter zuzuschreiben. Trotzdem war irgend etwas an diesen beiden Leuten mehr als merkwürdig.
Alleine diese seltsame Blässe, von der sie nun überzeugt war, dass sie natürlichen Ursprungs war und nicht auf übermäßig viel Puder basierte. Man munkelte, dass der französische König auch schrecklich bleich war, doch das konnte sie sich nicht vorstellen. 


Überhaupt war Lucie nicht gebildet und sie hatte auch noch nie einen Adligen gesehen. Dass Sittard mal zu Flandern gehört haben sollte, aber eigentlich dem Herzogtum Jülich unterstand und nun zu der Republik der sieben vereinigten Provinzen zählen sollte, war ihr zu hoch. Sie war bereit, sämtliche Neuigkeiten der Stadt aufzusaugen, konnte sich die Namen neugeborener Kinder und deren verwandtschaftliche Beziehungen merken, sie kannte allerlei Rezepte und Hausmittel gegen Krankheiten und Flecken, aber damit war sie vollends ausgelastet.
Diese schreckliche Blässe also war eine mehr als ungewöhnliche Sache, die sie nicht einordnen konnte. Erst hatte sie überlegt, ob die Zwei vielleicht die Pest zurück brachten, aber sie waren beide so überirdisch schön, dass sie diesen Gedanken wieder verwarf. Wenn es also vielleicht doch eine adlige Blässe war, warum hatte dieser Sartous erzählt, er sei Sohn eines Verwalters? Lucie hatte lange darüber gegrübelt, doch als sie Nathan endlich darauf ansprach, hatte dieser nur gelacht.
"Vielleicht, weil er mit seiner Holden davongelaufen ist, Frau! Er wäre schön dumm, wenn er jetzt auch noch überall herum erzählt, er sei ein Sohn aus hohem Haus! Zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen darüber, mach mir lieber etwas zu Essen!" Lucie schnalzte unzufrieden mit der Zunge, als sie an diesen Abend zurückdachte. Männer waren wirklich einfältige Pinsel, die sich keine Gedanken über den Wahrheitsgehalt einer Geschichte machten. Man konnte sie zu leicht belügen!
Der Lärm des Marktplatzes machte ihrer Grübelei ein Ende. Die Marktfrauen kannten ihre Tochter zwar bereits, doch würde heute wieder viel Zeit damit vergehen, über Kinder zu sprechen und sich Ratschläge einzuholen. Natürlich würde sie auch gerne und stolz ihr kleines Mädchen vorzeigen. Vielleicht gab es den einen oder anderen Apfel umsonst als Geschenk einer gutmütigen Älteren, damit sie genug Gesundes aß und dem Kind feine Muttermilch geben konnte. Besonders bei Alma, der alten Bäuerin mit den guten Eiern und den teuren Hühnern, hielt sie sich gerne auf.
Alma hatte ihr schon als Kind immer wieder einmal ein Ei zugesteckt oder eine Münze für die feinen Zuckerwaren am Rand des Platzes gegeben. Inzwischen war sie eine kleine, krumme Frau ohne Zähne, die es sich nicht nehmen ließ, auf dem Markt an ihrem inzwischen kleinen Stand zu sitzen und mehr zu schwatzen als zu verkaufen. Alma schob sofort ihre tropfende Nase über das Gesicht des Babys und brabbelte in hohen Tönen, was kaum eine Reaktion bei dem Kind auslöste. Aber die Alte strahlte und tätschelte wohlwollend die Schulter der jungen Mutter.
"Das hast du gut gemacht, Lucie, auch wenn es kein Junge geworden ist. Sie wird einmal ein hübsches Kind." prophezeite Alma zufrieden und sackte auf ihrem Schemel zusammen.
"Aber mit den Leuten, die dein Mann in sein Haus gelassen hat, war er nicht so schlau." Sie hob ihren knorrigen Finger und bemerkte nicht das Stirnrunzeln, das bei Lucie auftrat.
"Warum sagst du das, Alma?" fragte sie nun. Ihr Magen zog sich zusammen. Stimmten ihre eigenen Ahnungen also doch?
"Hast du das noch nicht gehört?" zeterte Alma nun mit missbilligendem Schnaufen. Da Lucie den Kopf schüttelte, berichtete Alma nur zu gerne.
"Bauer Hinnerk hat es schon gehört und jetzt auch mein Frederic!"
"Was hat er gehört?" Lucie zügelte nur mühsam ihre Ungeduld. Alma puhlte sichtbar mit ihrer Zunge in der Wange herum, bevor sie weiter sprach.
"Wenn man früh morgens auf seine Felder geht, hört man seltsame Geräusche aus dem Haus. Hinnerk meinte, dass dort schreckliche Dinge passieren, aber mein Frederic, der sagt, dass sie dort furchtbare Unzucht treiben! Schreie und Stöhnen, fast nur von Frauen. Ich habe es noch nicht gehört, aber es muss grausig sein. Frederic wollte gar nicht mehr weiter gehen, so viel Angst hat er bekommen. Und Hinnerk hat nur gebetet!" Lucie wurde abwechselnd rot und wieder blass. Unzucht? Das konnte nicht sein, denn die Beiden wollten doch heiraten und würden sicher warten. Oder etwa nicht? Warum hatten sie eigentlich nicht schon lange geheiratet? Sie waren nun schon Monate hier! Konnte es wirklich sein, dass diese schöne, blonde Frau unzüchtige Dinge tat? Gütiger Gott… Lucie wollte gar nicht darüber nachdenken, was diese Schreie sonst bedeuten könnten. Aber Alma hatte schon einen Rat bereit.
"Vielleicht beten sie den Teufel an? Man sagt ja, dass manche davon richtig besessen werden! Man sieht die ja auch nie am Tage! Sie scheuen das Licht!" Alma hob den Finger und fixierte Lucies schreckgeweitete Augen. "Hör auf meine Worte! Das ist lichtscheues Gesindel! Wenn das nicht aufhört, verschwinden irgendwann unsere Kinder und Frauen, weil sie frisches, unverdorbenes Fleisch brauchen! Hör auf meine Worte!" Lucie taumelte schockiert zurück und schüttelte den Kopf.
"Sag nicht so etwas! Nicht vor meinem Kind!" keuchte sie. Wie zur Bestätigung begann ihre Tochter zu weinen. Lucie kaufte nichts mehr ein. Beinah hätte sie noch ihre Schubkarre vergessen, so hastig wollte sie zurück in ihr sicheres Heim.

1 Kommentar:

  1. Der Schwager von einer Cousine zweiten Grades der früher mal für meine Nichte die Teppiche gereinigt hat, der kennt jemand der hat ne Freundin und ...

    Ahhh!!

    Aber jetzt ist die Arme völlig verunsichert. Und das Schlimmste ist: Die Gerüchte haben ja auch noch einen wahren Kern.

    Das ist wohl immer das Problem, welches Vampire haben. Noch gibt es keine Anonymität der Großstädte, wo man behaupten kann man sei ein Schichtarbeiter und die Nachbarn sich niht drum scheren.

    Das Gerücht ist in der Wlet und wächst und gedeiht. Wo mag das hinführen?

    Ich befürchte die drei werden sich zeitnah ein neues Quartier suchen müssen.

    LG
    Joe

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