Donnerstag, 19. Juli 2012

Noctambule III: Die Waschfrau

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Miriam machte es sich auf der kleinen Mauer bequem und schaukelte sacht das Baby in ihrem Arm. Dabei summte sie leise ein Kinderlied, das sie als kleines Mädchen immer von ihrer alten Amme Susanne vorgesungen bekommen hatte und lächelte in Erinnerung an diese schöne Zeit. Wie sicher und beschützt sie sich doch damals gefühlt hatte. Und wie selbstverständlich das alles für sie geworden war.


Miriam hob nachdenklich den Blick in den Sternenhimmel und zog fröstelnd ihren schmutzigen Umhang enger. Sie hatte alles verloren. Sogar das Wenige, was ihr noch übrig geblieben war, hatte ihr Onkel ihr beinahe weggenommen. War das die Strafe dafür, alles für viel zu selbstverständlich genommen zu haben? Jetzt, hier, auf dieser kleinen Mauer, alleine mit einem kleinen Neugeborenen auf dem Arm, kam ihr das alles unendlich weit weg vor. Was im Leben war eigentlich wirklich wichtig?
Die Kälte begann, sich von den Steinen aus in ihrem Körper auszubreiten und kroch ihre Beine hoch. Miriam stand auf und ging langsam den Weg auf und ab. All das Geld, der Grundbesitz, Schmuck und gutes Essen an einer prunkvollen Tafel war plötzlich nicht mehr wichtig. Sie verzehrte sich danach, in Sergejs Armen zu liegen, nach seiner Wärme, seinem leisen Lachen und seiner ruhigen Sicherheit.
Wirklich wichtig waren plötzlich nur noch ihre Freunde und das Leben selbst. Das Leben war das Kostbarste überhaupt. Noch nie hatte Miriam in einer so armseligen Behausung gesessen wie bei dem Schweinebauern vor einigen Stunden. Und doch hatte diese alte Frau nicht unglücklich oder verbittert gewirkt. Lächelnd schaute Miriam auf den kleinen Sohn von Armand und Anya herunter und hob ihn leicht an, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. Er schlug die Augen auf und strampelte leicht.
"Ich glaube, du hast gar nichts außer deiner Mutter, mein Kleiner. Und trotzdem bist du so ruhig und zufrieden." murmelte sie nachdenklich. Eine warme Welle tiefer Zuneigung zu dem Kind überflutete sie. Wieder schaute sie nach oben zu den Sternen, die hin und wieder durch die Wolkenlücken funkelten. Doch dann blieb sie lauschend stehen und neigte den Kopf. Sie hörte nun zum ersten Mal das leise Plätschern von Wasser.
Es musste ganz in der Nähe sein. Nachdenklich sah sie sich um und versuchte, durch die Dunkelheit etwas zu erkennen. Doch wahrscheinlich nahmen die Bäume, die sich dunkel in den Nachthimmel abhoben, ihr die Sicht. Nachdenklich durchforschte sie ihre Erinnerungen an den Privatunterricht, den sie erhalten hatte. Der Lehrer war ziemlich langweilig gewesen und damals hatte sie sich gereizt gefragt, warum zum Teufel sie wissen muss, ob und wo in Marseille Flüsse sind.
Nun verwünschte sie ihr Desinteresse, doch erinnerte sie sich sehr genau, dass im Norden, etwas außerhalb der Stadt, ein kleiner Fluss von Osten nach Westen verlief. Ein Lächeln glitt über Miriams Gesicht, als sie ihren Entschluss fasste. Vorsichtig ging sie zur Mauer zurück und legte das warm eingepackte Kind sanft in das Gras, halb unter einen kleinen Busch geschoben.
"Weißt du was, mein Kleiner? Ich werde deiner Mutter etwas Arbeit abnehmen und das waschen, was du so fleißig schmutzig machst." flüsterte sie dem Kind zu. "Und du bleibst schön hier, wo du gut geschützt bist und wartest brav, bis ich wieder da bin." Sie stupste dem Baby sanft auf die winzige Nase und nahm das Stoffbündel, in dem die provisorischen Windeln lagen, die Anya aus dem Innenfutter ihres Umhangs gerissen hatte.
Lächelnd vergewisserte sie sich, dass Raoul sicher und warm lag, dann kletterte sie über die Mauer und tastete sich vorsichtig durch die Bäume. Weit musste sie nicht gehen, als sie spürte, wie der Boden sich zum Ufer zu neigen begann. Die Bäume standen in wenigen Reihen am Ufer, weit genug auseinander, um bequem hindurch zu gehen und doch nah genug, um das Geräusch des fließenden Wassers weitestgehend zu dämpfen.
Miriam stellte sich leicht schräg und begann vorsichtig, sich die recht steile Böschung hinunter zu tasten. Der Boden war feucht und lehmig, hin und wieder rutschte sie auf nassen Grasbüscheln aus und es war anstrengender, als sie geglaubt hatte, denn die Böschung war tiefer als erwartet. Miriam schimpfte leise über ihre Schuhe, die zwar inzwischen gänzlich ruiniert waren, aber nun beim Klettern alles andere als eine Hilfe darstellten.
Endlich hatte sie es geschafft und war unten angekommen. Viel Platz hatte sie hier nicht, das Ufer war nass, rutschig und stellenweise steinig. Sie balancierte zu einem großen Stein, wo sie ihre Tasche mit dem Umschlag von Sergej trocken ablegen konnte und wickelte dann das Wäschebündel auseinander, angewidert das Gesicht verziehend.
"Puh! Also das ist wirklich keine schöne Arbeit." murmelte sie und grinste über sich selbst. Nun also wurde die Comtesse de Moureaux zur Wäscherin.

1 Kommentar:

  1. Miriam hat viel nachzudenken in dieser Zeit.

    Ihr ganzes Leben ist umgeworfen und nun hat sie von den Höhen einer Adelstochter bis zu dem Leben einer Bettlerin eigentlich alles gehabt.

    Sie scheint sich ein wenig auf das Einfache zu besinnen, wenn sie nun Anya Arbeit abnehmen möchte. Das ehrt sie wirklich.

    Und es wirft auch noch mal wieder einen blick auf unser bequemes Leben in dem Wegwerfwindeln die Regel darstellen. :)

    LG
    Joe

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