Sonntag, 22. Juli 2012

Noctambule III: In der Gewalt der Menschen

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Zwei junge Männer standen fassungslos vor der Leiche ihres Lehrmeisters und dem leblosen Körper der zierlichen Frau. Beide Männer trugen die traditionelle Bäckerkleidung unter ihren Mänteln und waren offensichtlich gerade zum Arbeitsantritt angekommen.


Der Jüngere von beiden wandte sich nun würgend ab, mühsam gegen seine aufsteigende Übelkeit ankämpfend. Der Ältere hatte den Schlag gegen Anya ausgeführt, stand nun aber völlig schockiert vor der Leiche seines Arbeitgebers.
"Lieber Gott! Was ist das?" flüsterte er entsetzt. Sein Blick flog zu der Bewusstlosen und erst jetzt bemerkte er, wen er niedergeschlagen hatte.
"Das ist eine Frau! Die hat ihn gebissen!" keuchte er und stützte sich taumelnd am Arbeitstisch ab. Nun drehte auch der Jüngere den Kopf und gaffte auf Anya, aus deren Mundwinkel ein Blutfaden lief. Auch ihre Lippen waren noch blutig und an ihrer Schläfe zeichnete sich ein dunkelblauer Fleck von dem Treffer der Faust ab. Blinzelnd und hilflos beobachtete er, wie der blaue Fleck sich schnell vergrößerte, dann stoppte und schließlich begann heller zu werden.
Zitternd stieß er den Ellbogen in die Seite seines Kollegen, der ebenfalls ungläubig beobachtete, wie die Selbstheilung der Frau vor ihm in rasender Geschwindigkeit arbeitete.
"Was ist das?" flüsterte der Jüngere nun ängstlich. Der Ältere zuckte hilflos mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht. Wenn ich an Märchen glauben würde, käme mir ein Vampir in den Sinn, aber die gibt es doch gar nicht!" murmelte er. Der Jüngere taumelte zurück, ungläubig zusehend, wie Anyas Augen zu flattern begannen.
"Wir müssen hier weg!" kreischte er nun. Auch der Ältere wurde nun hektisch, als er das Flattern der Augenlider bemerkte.
"Lauf!! Hol Hilfe! Die Stadtwache! Mach schon!!" Er verpasste dem erstarrten Kollegen einen heftigen Stoß, der ihn zu Tür taumeln ließ. Dann wurde er selbst aktiv. Er packte eine der Schürzen, die für ihn und den Lehrling bereit hingen und riss sie in Streifen. Dann näherte er sich der jungen Frau, die bereits unruhig den Kopf bewegte und mit den Beinen zuckte. Sie musste jeden Moment aufwachen. Der Bäckergeselle zögerte nur kurz, dann überwand er sich und packte die zarte Gestalt an den Schultern, um sie auf den Bauch zu drehen. Hastig fesselte er ihre Hände mit den Streifen der Schürze auf den Rücken und verknotete sie so fest es ging.
Nachdem er sein Werk vollbracht hatte, machte er einen schnellen Schritt zurück, denn sie regte sich nun noch stärker und begann, gegen die Fesseln anzukämpfen. Keuchend sah er, wie sie innehielt und den Kopf drehte, um ihn anzusehen. Ihre großen, blauen Augen wirkten wie die eines kleinen Mädchens, als sie sich seitlich drehte und ihn erkannte.

Eine Gänsehaut überzog den Körper des Gesellen. Dieser krasse Kontrast zu dem schönen, unschuldigen Gesicht und dem blutverschmierten Mund war einfach unfassbar. Ebenso unglaublich aber war, dass der blaue Fleck was gänzlich verschwunden war.
Die junge Frau drehte sich noch mehr seitlich, hatte aber damit aufgehört, sich gegen die Fesseln zu wehren. Der Mann machte noch zwei Schritte rückwärts, schluckte, war aber nicht fähig, sich von diesen seltsamen Augen abzuwenden.
"Wie kannst du mich fesseln? Ich bin nur eine hilflose Frau?" Der junge Mann schloss beim Klang ihrer Stimme die Augen. Sein Kehlkopf hüpfte aufgeregt auf und ab, während er sich verbissen gegen ihren Einfluss wehrte. Sein Atem ging schnell, als wäre er Meilen um Meilen gerannt und sein Brustkorb hob sich stoßweise. Endlich schaffte er es, sich von den Augen zu lösen und blickte auf seinen toten Meister herunter, dessen Hals zwar blutverschmiert war, aber keinerlei Bissspuren mehr aufwies. Erneut blinzelte er. Wie konnte das nur sein? Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie das Blut aus der Wunde floss!
"Du hast ihn umgebracht!" keuchte der junge Mann nun vorwurfsvoll. Anyas Blick wanderte zu dem Toten und zurück zu ihm. Wieder schaute sie unschuldig, während ihre Hände unauffällig gegen die Stofffesseln ankämpften.
"Ich musste das tun." stellte sie mit schlichter Unschuld fest. Der junge Mann schüttelte benommen den Kopf. Ihm war, als würde ihre Stimme in seinem Kopf hallen und unaufhörlich jagten prickelnde Ströme über seinen ganzen Körper. Er durfte nicht zulassen, dass sie sprach.
"Schweig!! Du hast ihn einfach getötet!" brüllte er sie nun an und griff nach einem Teigholz, als würde ihm die hölzerne Waffe gegen diese wundervollen Augen helfen. Tatsächlich schien die junge Frau zu gehorchen, doch ihre Augen fixierten ihn unentwegt. Der junge Mann konnte den Blick nicht mehr abwenden. Und in ihm wuchs immer mehr die Überzeugung, dass er diesem hilflosen, zerbrechlichen Wesen helfen musste, statt es zu zerstören.

1 Kommentar:

  1. Anya war unvorsichtig. Und jetzt hat sie die Quittung. Sammle dich schnell, kleine Anya und dann nichts wie weg!

    Es ist doch nur ein einzelner Kerl. Und noch dazu eine passable Mahlzeit. :)

    Pass nur auf vor em Teigholz. Mit sowas kann man nicht nur spät heimkehrende Ehemänner K.O. schlagen. Ich denke auch eine Vampirin würde das wohl merklich spüren.

    Lass ihn die Gedankenkraft spüren.

    Der andere wird hoffentlich lang genug brauchen, so dass Anya fliehen kann.

    Sonst könnte die aktuelle Situation nicht nur fr Anya, sondern auch für Miriam und Raoul sehr hässlich werden.

    LG
    Joe

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