Samstag, 30. Juli 2011

Noctambule II: Verzweifelte Miriam

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Miriam fühlte sich deutlich erholt, als sie bei Tagesanbruch die Augen aufschlug. Zumindest was das Körperliche anging, denn als sie vorsichtig ihre Schulter bewegte, spürte sie nur noch ein leichtes Ziehen. Ein Abtasten aber war so schmerzhaft, dass sie das Gesicht verzog. Sicher lag das an dem Bluterguss, von dem Sergej gesprochen hatte.
Beim Aufsetzen rutschte die Decke leicht herunter und Miriam erkannte errötend, dass ihr Kleid weit geöffnet worden war. Hastig schloss sie es wieder und schlug die Decke ganz weg. Das schwarze Kleid hob sich scharf von der schlichten, weißen Bettwäsche ab. Es war zerknittert und an einigen Stellen gerissen. Mit wackligen Beinen kletterte sie aus dem Bett. Ihre Erinnerung setzte nur zögerlich ein und dumpfe Lähmung überkam sie.

Maman war tot. Ermordet von einem Kerl, den sie nicht kannte. Sergej hatte ihr gesagt, dass ihr Haus abgebrannt sei. Wenn das stimmte, dann hatte sie alles verloren, was ihrem Leben Sicherheit gegeben hatte. Zu ihrer Trauer kam nun auch noch existenzielle Angst hinzu. In ihrer naiven Jugend kam ihr nicht in den Sinn, dass ihr Vater seine Finanzen einer Bank anvertraut haben könnte.
Sie wurde einzig von dem Gedanken gequält, was als nächstes geschehen musste.
Hier konnte sie auf keinen Fall bleiben und hier wollte sie auch nicht sein. Es hatte doch Personal im Haus gegeben! Was war mit denen geschehen? Nachdem sie Sofie mit ihrer Leichtfertigkeit verloren hatte, wollte sie auf keinen Fall auch mit dem übrigen Personal unüberlegt handeln. Aber was sollte sie tun? Wer wusste überhaupt, wo sie war? Sie wusste es ja nicht einmal selbst!
Händeringend lief sie im Zimmer auf und ab, die Stirn in tiefe Falten gegraben. Sie war noch immer die Comtesse de Moureaux.
Aber sie hatte weder Dokumente noch irgendwelche Nachweise über ihre Person. Brauchte sie so was überhaupt? Man kannte sie doch hier in Marseille! Ihr fiel Lechaivre ein. Der musste doch wissen, was nun zu tun war. Oder Madame Dubrés! Miriam staunte, dass ihr diese Grand Dame nicht früher eingefallen war. Sie würde ihr mit Sicherheit helfen und sie würde auch die Erfahrung haben, was nun zu tun war.

Nun blieb nur noch das Problem, herauszufinden wo sie war und wie sie zurückkommen konnte. Miriam blieb wie angewurzelt stehen. Der Schock über den Überfall hatte sie die letzten Geschehnisse verdrängen lassen. Nun wurde sie von Erinnerungen überflutet und ihre Beine wurden weich. Sie sah wieder dieses schreckliche Gebiss von Sergej vor ihrem inneren Auge und taumelte an die Wand.
Wie hatte das passieren können? Niemals hätte sie geglaubt, dass es so etwas gäbe. Natürlich kannte sie die Schauermärchen aus ihrer Kindheit. Maman hatte immer gelacht und abgewunken. 'Solche albernen Geschichten halten sich immer hartnäckig. Es gibt keine bösen Vampire, Kind.' Offenbar gab es sie doch! Und was das Schlimmste war, einer von denen hatte sie verführt!
Miriam wurde dunkelrot, als sie daran dachte. Sie hatte geglaubt, sich in Sergej verliebt zu haben. Dabei hatte er sie sicher nur verführt, um sie später umzubringen. Und nun war sie in seinem Haus gefangen! Miriams Herz schlug bis zum Hals und ihre Augen hingen ängstlich an der Tür. Sie hatte Schritte gehört und nun bewegte sich in Zeitlupe die Türklinke nach unten!


Da Sergej sie nicht durch ein Anklopfen wecken wollte, hatte er nur versucht, lautlos die Tür zu öffnen, um nach ihr zu sehen. Als er den Kopf in das Zimmer steckte, entdeckte er Miriam kalkweiß an die Wand gepresst stehend. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Mit einem beruhigenden Lächeln betrat er das Zimmer.
"Du bist wach! Wie fühlst du dich heute?" fragte er freundlich und blieb an der Tür stehen, nachdem er sie geschlossen hatte. Ihre Angst war für ihn nachvollziehbar. Immerhin hatte sein Anblick sie in eine Ohnmacht geschleudert. Vorsichtig und mit langsamen Bewegungen versuchte er nun, ihr zu zeigen, dass er ihr nichts tun wollte. Sie wirkte auf ihn wie ein verschrecktes Reh, das sich in einer Falle gefangen fühlte.
"Fass mich nicht an!" quiekste Miriam panisch und presste sich noch fester an die Wand. Sergej hob beruhigend beide Hände und rührte sich nicht vom Fleck.
"Nun bleib doch ruhig! Ich will dir nichts tun, glaub mir." versicherte er. Miriam starrte ihn an, als wäre er ein Ungeheuer. Ihr Blick versetzte ihm einen Stich. Wie sollte er je ihr Vertrauen zurück gewinnen? Armands Frage schoss ihm durch den Kopf. 'Umbringen, verwandeln oder hält sie dicht?' Er befürchtete Schlimmes.
"Natürlich nicht! Du bist ja nur ein.. ein.." Miriam brachte das Wort nicht über die Lippen. Hilflos brach sie ab und versuchte, sich zu beruhigen. Ihre Augen flogen suchend nach einer Waffe durch das Zimmer. Sie hatte absolut nichts, um sich zu verteidigen.
"Kleines, ich will dich nicht töten! Das hätte ich doch schon längst tun können!" beschwörend redete Sergej auf sie ein und machte einen Schritt auf sie zu. Sofort schob sich Miriam an der Wand entlang von ihm weg, um die alte Distanz wieder herzustellen. Einzig ihr Bett stand zwischen ihnen und ihr war klar, dass er einfach darüber springen konnte. Ihr Herz hämmerte so stark, dass es in ihren Ohren dröhnte. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Sie hatte kaum hören können, was er gesagt hatte.
"Du wolltest mich ja erst verführen, richtig? Und wenn ich langweilig werde, dann bringst du mich um!" Sergej schüttelte traurig den Kopf und machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Das hätte er nicht tun sollen. Miriam griff nach dem schweren Kerzenständer auf ihrem Nachttisch und schleuderte ihn mit aller Kraft nach Sergej.

1 Kommentar:

  1. Miriam scheint über Nacht erwachsen geworden zu sein. Sie will sich kümmern und denkt an ihr Personal. Der Schlaf scheint wirklich heilsam gewesen zu sein.

    Doch die Rückbesinnung auf ihr altes Leben und das, was ihr entgangen ist, macht natürlich alles, was mit Sergej in Zusammenhang steht vollkommen unmöglich. Und den Gedanken, dass Sergej sie wirklich lieben könnte kann sie natürlich jetzt nicht mehr fassen.

    Und ein schwerer Kerzenständer? Das ist sicherlich für einen Vampir auch eine ernstzunehmende Waffe. Und Sergej ist unvorbereitet.

    Armes verschrecktes Mädchen.. Dummer Sergej...

    Liebe Grüße
    Joe

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