Dienstag, 26. Juli 2011

Noctambule II: Rückblick - Die Erde bebt

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


In der folgenden Nacht suchte Armand erneut seinen Baum in der Nähe des Klosters auf. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf das große Areal. Hinter dem Kloster erhob sich der Berg Dobratsch weit über zweitausend Meter in die Höhe, mit dichten Wäldern bewachsen und voller gefährlicher Steinbrüche. Um seine Augen vom dauernden angestrengten Spähen zu erholen betrachtete Armand gern die Bergwand, die er auch in der Dunkelheit gut erkennen konnte.


Je länger er dort saß und auf eine verräterische Bewegung in der Dunkelheit wartete, desto stärker wurde sein Zweifeln. Vielleicht sollte er doch einfach seine Sachen packen und diesen Ort verlassen? Musste er unbedingt eine Auseinandersetzung mit George herbeiführen oder konnte er nicht einfach ausweichen und seine Ruhe haben?
Aber sein persönlicher Stolz meldete sich protestierend. Nicht ER hatte allen Grund zur Vorsicht, nicht ER schürte diesen inneren Hass und nicht ER brach jede Regel, die es überhaupt gab. Armand wollte nicht ununterbrochen weglaufen und er wusste auch, dass er körperlich seinem Gegner überlegen war. Allerdings fehlte ihm die bösartige Heimtücke, die George so gefährlich machte.

Während er grübelte, horchte er plötzlich auf. Sein feines, sensibles Gehör hatte ein ganz leises, dumpfes Grollen vernommen, das er nicht einordnen konnte. Aber ohne es erklären zu können, signalisierten plötzlich alle Sinne Gefahr. Armand sah sich stirnrunzelnd um und zuckte zusammen, als plötzlich unglaublich viele Vögel aufgeschreckt aus den Wäldern um ihn herum aufflogen.
Alarmiert konzentrierte er sich nun auf den Waldboden, um die Gefahr zu erkennen, die die Vögel aufgeschreckt hatte. Noch immer flatterte es ohrenbetäubend über ihm, während der Wald aufwachte. Eichhörnchen flitzten durch die Bäume, Mäuse huschten über den Boden, Rehe sprangen flüchtend durch den Wald. Seltsamerweise hatten alle Tiere die gleiche Richtung. Sie flohen nach Osten.
Armand stierte also verwirrt gen Westen, während die Vögel verschwanden und es wieder ruhig wurde. Und wieder hörte er ganz leise dieses tiefe Brummen. Oder war es eher ein Grollen? Seine Augen suchten den Himmel nach einem nahenden Gewitter ab, doch der Horizont war ebenso sternenklar wie der Himmel genau über ihm.
Der gewaltige Stoß, der seinen Baum erschütterte, kam so unerwartet, dass Armand den Halt verlor und zu Boden stürzte. Er schlug hart auf und rollte einige Meter den Hang hinunter, bevor er genug Halt fand, um wieder auf die Füße zu kommen. Doch kaum stand er, als er wieder durchgeschüttelt wurde und fast erneut gestürzt wäre. Haltsuchend griff er nach einem Baum, bis er endlich verstand. Der Boden unter ihm bebte so heftig, dass selbst der Baum neben ihm ächzend knarrte. Gleichzeitig wurde es laut.
Ein gewaltiges Donnern rollte durch das Tal und brach sich mehrfach an den Hängen. Während der Boden unter Armand zu atmen schien, sich hob und senkte, aufbrach und den Hang hinunter polterte, stürzten die Wände der Klostermauern in sich zusammen. Bäume verloren den Halt und rissen bei ihrem Sturz andere mit sich, der Kirchturm des Klosters brach zusammen und die Glocke schlug wilde Rhythmen, bevor sie unter den Trümmern begraben wurde.
Armands Baum begann sich zu neigen, als der gesamte Boden unter ihm ins Rutschen geriet. Er verlor den Halt und begann in rasender Geschwindigkeit mit dem ganzen Abhang ins Tal zu rutschen. Der ohrenbetäubende Lärm von Gerölllawinen dröhnte in seinem Kopf, aufwirbelnder Staub und Schmutz brachten seine Lungen zum Brennen. Verzweifelt versuchte er, schräg aufwärts zu rennen, sprang über herunterpolternde Felsbrocken und wich umstürzenden Bäumen aus.
Er hatte kaum Halt unter den Füßen. Egal wohin er trat schien der Boden abrutschen oder sich senken zu wollen. Keuchend rannte und sprang er weiter, stürzte und rappelte sich wieder auf, jetzt nur noch darauf achtend, lebend aus der nächtlichen Hölle zu entkommen. Zweige zerschrammten sein Gesicht, seine Hände rissen an Steinen und harter Baumrinde auf bei den Versuchen Halt zu finden.
Mit gewaltigem Poltern und Krachen riss der Boden direkt vor ihm auf. Armand konnte sein Tempo nicht schnell genug drosseln und setzte zu einem verzweifelten Sprung an. Mitten im Sprung sah er, wie die Spalte unter ihm sich weiter vergrößerte, dann landete er stöhnend auf der anderen Seite und zwang sich sofort wieder auf die Beine.

Der Spuk endete so schnell, wie er begonnen hatte. Das Beben ließ nach, doch noch immer rollten Geröll und Erdbrocken den Hang hinunter. Armand schoss im Höchsttempo durch den Wald und erreichte endlich eine Wiese an einem sanften Hang, wo er erschöpft nach Luft ringen konnte. Fassungslos sah er sich um, die Hände auf die Knie gestützt und schwer keuchend.
Das Kloster im Tal war teilweise in sich zusammengebrochen. In der Ferne wo hinter mehreren Biegungen Villach normalerweise gar nicht zu sehen war, erhellte Feuerschein die Nacht. Dort mussten mehrere Brände gleichzeitig wüten.
Als Armand zurück blickte sah er, dass der Abhang, über den er geflüchtet war, zum Teil regelrecht abgebrochen und ins Tal hinunter gerutscht war. Sein gewaltiger Sprung hatte ihn davor gerettet, mit dem Hang in die Tiefe zu stürzen. Noch rollten Steine herunter, doch die Natur schien sich zu beruhigen. Aus dem Kloster tönten Schreie zu ihm herauf, überall im Tal erklangen nun hektisch bimmelnde Glocken wie verzweifelte Hilferufe.

Nur mühsam beruhigte sich Armands Herzschlag und seine Lungen husteten den eingeatmeten Staub wieder aus. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und richtete sich auf, um den Weg zu seiner Hütte zu suchen. Er ließ sich Zeit für den Aufstieg, während unten im Tal die Menschen verzweifelt versuchten, sich gegenseitig zu helfen. Seine Hütte stand noch, als wäre hier oben überhaupt nichts geschehen. Erleichtert riss er die Tür auf und fiel der Länge nach auf das schmale Bett. Noch immer pumpte sein Herz gewaltig und jetzt, im Liegen, begannen seine Beinmuskeln zu zittern.
"Schön, dass du es lebend überstanden hast. Wir warten schon die ganze Zeit besorgt auf dich." Armand schoss alarmiert in die Höhe und hörte das silberhelle Lachen von Isabelle hinter sich, während er in das süffisant grinsende Gesicht von George blickte.

1 Kommentar:

  1. Ein Erdbeben dieser Ausmaße ist schon eine gewaltige Katastrophe. Ich denke, dass Armand schon aus diesem Grund jetzt sein Revier verlassen würde. Sicher hat die Katastrophe reichlich Menschenleben gekostet und man braucht nun jeden Mann in dem kleinen Bergdorf.

    Aber was hat das süffisante Grinsen von George zu bedeuten? Wieso lacht Isabelle? Vampire sind sicherlich Mächtig. Aber verfügen sie über die Fähigkeit ein Erdbeben auszulösen? Wenn ja, wie? Das mag ich kaum glauben.

    Und warum haben die beiden auf George gewartet?

    Liebe Grüße
    Joe

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