Sonntag, 17. Juli 2011

Noctambule II: Verdachtsmomente

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

"Wie konnte das geschehen?" flüsterte sie schließlich. Madame legte die Handflächen aneinander und führte die Fingerspitzen an ihre Lippen. So betrachtete sie Anya eine Weile und in dem Moment, in dem sie antworten wollte, klopfte es an der Tür.
Ein Dienstmädchen brachte eine kleine Schale mit dampfender Suppe herein. Anya setzte sich noch weiter auf und nahm mit dankendem Nicken das Tablett entgegen. Der herrliche Duft war verlockend, aber sie hatte dennoch keinen wirklichen Appetit.

Viel schlimmer für sie war, dass sie nur mühsam ihre Gier unterdrücken konnte, als das Mädchen sich über sie beugte, um das Tablett abzustellen. Anya roch sofort das süße Blut in den Adern des Mädchens und um ein Haar hätte sie einfach zugegriffen. Nur mühsam hielt sie sich zurück und senkte den Blick auf die Suppe.
Madame wartete, bis das Mädchen wieder draußen war und wandte ihren Blick dann wieder zu Anya.
"Das weiß keiner so genau. Das Personal berichtete aufgeregt von Besuch. Sie haben vier unbekannte Männer im Salon gesehen und es muss einen Kampf gegeben haben. Der Butler schwört, dass er sowohl Annabelle als auch Miriam am Boden hat liegen sehen." Sie ließ ihre Worte sacken und Anya, die gerade den Löffel zum Mund führen wollte, ließ ihn wieder sinken und starrte Amanda nun mit wachsendem Schock an.
"Vier?" hauchte sie entgeistert. Sie dachte sofort an Armand und Sergej. Doch außer George fiel ihr kein anderer ein, der zu den Beiden irgendeine Beziehung haben könnte. Vielleicht waren es ja auch ganz andere Personen gewesen. Was hätte Armand bei Miriam verloren? Bestimmt waren es andere Männer gewesen. Hoffnungsvoll fragend sah sie Madame Dubrés an.
"Vier! Sie haben miteinander gekämpft und das ganze Zimmer verwüstet, berichtete der Butler. Aber natürlich steht auch er unter Schock. Man weiß ja nie, was man da so redet. Aber die Beschreibung war schon interessant." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause.
"Einen der Männer beschrieb er als mittelgroß und grobschlächtig. Einen anderen als übergroß und schwarzhaarig." Den letzten Satz sprach Madame Dubrés besonders sanft und langsam aus, wobei sie Anya nicht aus den Augen ließ. So entging ihr nicht, dass der Löffel klirrend im Teller landete und die Suppe sich auf der Decke verteilte. Anya war schon so schrecklich blass, dass sie nun wie tot wirkte.
"Das kann nicht sein!" flüsterte die junge Frau nun kaum hörbar. Madame stieß ein unzufriedenes Schnalzen aus.
"Das ist alles sehr seltsam. Armand mag dich bei Miriam gesucht haben, aber was um alles in der Welt soll die Prügelei? Und mit wem? Warum lagen Miriam und ihre Mutter auf dem Boden? Und warum verschwand Miriam?" Anya war nicht in der Lage zu antworten. Übelkeit stieg in ihr auf und sie sackte mit einem fast schmerzlichen Stöhnen in die Kissen zurück. Madames Mitgefühl sprang sofort wieder an und sie beugte sich erneut vor, um Anyas Hand zu tätscheln, die nun so kraftlos auf der Bettkante lag.
"Beruhige dich wieder, Kind. Das ist doch alles unbestätigt! Ich habe diese Informationen auch nur, weil Lechaivre vor Ort war und natürlich alles in seine Hand riss. Der Butler stand doch selbst unter Schock. Er hat ja auch einiges an Unsinn gefaselt." versuchte sie nun zu beruhigen. Anya drehte den Kopf leicht zu der Dame.
"Unsinn?" wiederholte sie tonlos. Madame nickte und versuchte nun unbeschwerter zu klingen, als sie sich fühlte.
"Ja. Er beschrieb die Männer wie Bestien! Angeblich hätten sie schreckliche Zähne und diese dann auch gefletscht! Stell dir das mal vor!" Madame schüttelte kichernd den Kopf. "Das kommt davon, wenn man als Butler nur feine Herrschaften gewohnt ist. Da fantasiert man schon schnell, wenn solche Dinge geschehen." Anya konnte darüber nicht lächeln. Schon gar nicht, weil sie dabei ihr Gebiss gezeigt und die 'Märchen' des Butlers bestätigt hätte.
Eine Weile schwiegen beide Frauen. Anya starrte fassungslos ins Leere, Madame Dubrés betrachtete Anya nachdenklich. Sollte Armand tatsächlich in diese Sache verstrickt sein, dann tat ihr Anya äußerst leid.
Hingegen begann Madame nun doch wieder, Anyas Geschichte vom Vorabend anzuzweifeln. Vielleicht suchte sie einfach nur einen Unterschlupf und war tatsächlich mit Armand an all den Morden und rätselhaften Vorfällen beteiligt? Möglicherweise beherbergte sie eine gesuchte Verbrecherin und sollte doch Lechaivre davon informieren?
Andererseits mochte Amanda Abwechslung in ihrem Leben. Noch immer trug Anya ihr Rätsel auf, die sie zu lösen plante. Und da wäre es doch fatal, alles diesem schleimigen Idioten Lechaivre zu überlassen.
"Wäre es möglich, dass dieser andere, den der Butler beschrieb, dein Entführer war?" fragte Madame nun sanft. Anya hob kurz den Blick, schüttelte dann aber den Kopf.
"George ist nicht grobschlächtig. Er ist ein Geck und müsste sich eigentlich gut mit Lechaivre verstehen." murmelte sie. Madame lachte kurz auf. Anyas spontane und gelassene Antwort waren ihrer Menschenkenntnis zufolge ehrlich genug gewesen, um fürs Erste die Zweifel im Zaum zu halten. Ächzend erhob sie sich.
"Wie auch immer. Ich habe nach einer Hebamme schicken lassen. Sie ist schon recht alt und macht normalerweise ihre Arbeit nicht mehr. Aber mir zuliebe wird sie sich mal deinen Bauch ansehen und dir Ratschläge geben. Sie wird bald da sein." verkündete sie und tätschelte Anyas Wange. Die junge Frau schaute aus dem Bett kläglich zu ihr herauf.
"Vielen Dank." hauchte sie, noch immer im Bann des jüngsten Berichtes. Madame nickte lächelnd und watschelte Richtung Tür. Sie war gespannt auf die Auskunft der Hebamme. Das würde Anyas Erzählungen entweder bestätigen oder widerlegen. Und je nach Auskunft würde sie auch reagieren.

1 Kommentar:

  1. Eine Hebamme ist schon einmal gut. So anders können Vampire nicht sein. Die wird schon sicherlich das ein und andere herausfinden können.

    Aber der Rest....

    Anya muss jetzt rauskriegen wer sich da geprügelt hat. Und in ihrer Sorge um Miriam könnte sie doch jetzt eigentlich mal nach Hause gehen und nachsehen ob sie nicht bei Sergej ist!

    Lange wird Anya in dem Haus sowieso nicht mehr bleiben können. 1. Kommt Madame der Wahrheit so langsam immer näher. Und damit meine ich nicht die Wahrheiten, die sie zu findne hofft. Und 2. wird ihr Hunger oder eher Durst, bald so unerträglich, dass sie sich am Personal vergreifen wird.

    Gerade war es ja schon fast so weit. Nicht, dass am Ende die Hebamme dran glauben muss.

    Liebe Grüße

    Joe

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