Montag, 11. Juli 2011

Noctambule II: Rückblick - Ich tu dir nichts

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II



Nach seinen Erfahrungen mit den Nefandii und besonders mit George hatte Armand verstärkt daran gearbeitet, seine eigene Präsenz zu vertuschen und sich gegenüber fremden Vampiren abzuschotten. Damit konnte er seine Anwesenheit nicht nur verbergen, er konnte vor allen Dingen verhindern, dass George ihn verfolgte oder wieder einmal aufspürte.
Als er sicher war, die ferne Anwesenheit eines Artgenossen gespürt zu haben, hatte er sich unbewusst völlig abgekapselt, bevor er hatte ergründen können, wer der Eindringling war. Der Nachteil dieser Fähigkeit war, dass er nun selbst nicht mehr den anderen fühlen konnte. Die Ungewissheit, wer sich ihm genähert hatte, machte Armand unruhig.

Es gab nicht viele Familien in Europa und diese wenigen waren aufeinander eingeschworen. Ein hinzukommender Vampir wurde misstrauisch beäugt und man zögerte sehr lange, bis man ihn aufnahm. Dann gab es noch die ausgestoßenen, die Nefandii, denen die Gesetze der Vampire ebenso egal waren wie die der Menschen. Mit denen wollte Armand keinen Kontakt mehr haben und er hoffte inständig, dass der eine Kontakt in Ungarn baldmöglichst in Vergessenheit geraten würde.
Einsam umherziehende Vampire gab es noch viel weniger. Spontan dachte Armand an seinen Freund, doch würde dieser nicht wenige Monate nach ihm seine Zelte in Kaffa abbrechen und ihm folgen. Sergej plante, noch mehrere Jahre in Kaffa zu bleiben und danach weiter nach Osten zu ziehen.
Armand zögerte, sich wieder zu öffnen. Aber wenn er erfahren wollte, ob es ein alter Bekannter war, dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben. Allerdings bestand durchaus die Gefahr, dass der andere sein Zurückziehen bemerkt und sich ebenfalls abgeschottet hatte. Dann dürfte ein Auffinden unmöglich werden und Armand hatte keine Lust, von dem anderen überraschend gefunden zu werden. Schweren Herzens entschied er sich dafür, alleine und unentdeckt zu bleiben und hoffte, der andere würde einfach weiter ziehen.

Der langgezogene, panische Schrei einer Frau hallte durch das Tal zu ihm hoch und ließ ihn sofort aufhorchen. Stirnrunzelnd blickte er in die Richtung, aus der er den Schrei vermutete, doch war es in diesen Bergen nicht einfach, das Echo vom ursprünglichen Laut auseinander zu halten und in die richtige Richtung zu laufen.
Selten war es Armand passiert, dass seine Opfer noch in der Lage gewesen waren, einen solchen Schrei auszustoßen. Entweder war also sein Artgenosse am Werk und schien sich nicht darum zu scheren, die Mitmenschen aufmerksam zu machen oder aber dieser Frau war etwas ganz anderes geschehen.
Armand richtete sich auf und begann in einem leichten Dauerlauf in die Richtung zu laufen, aus der er den Schrei gehört hatte. All seine Sinne waren aufs Äußerste angespannt, seine Augen durchforschten die nächtliche Umgebung wachsam und allmählich wurde er schneller. Der zweite Schrei ließ Armand schauern.
Die Frau litt erbärmlich. Alles in ihm zog sich zusammen, denn er ahnte, was ihr gerade widerfuhr. Seine Miene verfinsterte sich, während er pfeilschnell das Tal durchquerte und den bewaldeten Hang hinauf rannte.
Er hatte keine Angst, anderen Menschen zu begegnen. Sie würden ihn durch seine Geschwindigkeit nicht sehen können. Und wilde Tiere machten ihm noch viel weniger Sorgen, denn oft genug hatte sein Fauchen, Knurren und sein Gebiss Wölfe oder Luchse vertrieben, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung gekommen wäre.
Atemlos blieb er schließlich stehen und versuchte, die Richtung neu zu ergründen. Lange Zeit hörte er gar nichts. Dann vernahm er das entfernte Rascheln und Brechen von Zweigen, was auf ein achtloses Rennen hinwies. Armand spurtete los, um dem Läufer den Weg abzuschneiden. Schnell war ihm klar, dass es ein Mensch sein musste, denn für einen Vampir war er einfach zu langsam.

Dann erkannte er die junge Frau, die weinend und mit zerrissenem Kleid durch den Wald irrte, immer wieder schluchzend die Richtung änderte und offensichtlich nicht wusste, wohin sie laufen sollte. Die Haare hatten sich größtenteils aus der strengen Frisur gelöst und hingen in wilden Strähnen in ihr Gesicht. Sie blutete aus Nase und Mund, ihr Kleid war so weit zerrissen, dass ihre jungen Brüste weithin zu sehen waren.
In ihrer Panik hatte sie ihren Rock so weit hochgezogen, um besser rennen zu können, dass Armand für einen Moment eine blutige Spur an ihren Schenkeln sehen konnte. Armand hatte genug gesehen und zudem noch an der Kleidung erkannt, dass er eine Novizin vor sich haben musste. Knurrend presste er die Lippen zusammen und änderte seine Richtung, um ihr den Weg abzuschneiden.
Als sie gegen ihn prallte, wimmerte sie kläglich und schlug blindlings um sich. Armand hatte leichtes Spiel damit, ihre Hände einzufangen. Ununterbrochen versuchte er, sie mit leisen Lauten zu beruhigen, doch sie erkannte in ihrer Panik gar nichts mehr. Schließlich packte Armand das zappelnde, schluchzende Mädchen an den Schultern und schüttelte sie.
"Ruhig! Ganz ruhig! Ich tu dir nichts!" raunte er und griff erneut nach ihren rudernden Händen, damit sie sein Gesicht nicht zerkratzte.
"Du vielleicht nicht, aber ich!" Die bekannte Stimme ließ Armand und das Mädchen zu Stein erstarren.

1 Kommentar:

  1. Er hat George gar nicht wiedererkannt? Ui.. Armand hat wirklich noch zu lernen was seine Fähigkeiten angeht. Ein paar hundert Jahre später passiert ihm das zum Glück nicht mehr :D

    Und jetzt hat er die arme Novizin in den Armen, die George wohl gerade noch ein wenig durch den Wald jagd. Auch Armand spielt das spiel ja gern auf diese Weise. Wenn er auch den Sex nicht so liebt, wie George es treibt.

    Interessant finde ich sein Interesse für die Frau. Er selbst ist doch hier sicher tagelang herumgestreift und hat sicher auch den ein und anderen Snack genossen. Aber die Frau macht ihm jetzt wieder sorgen und er möchte ihr helfen.

    Ach ich liebe diese etwas shizophrene Einstellung der Vampire. :)

    LG
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.