Mittwoch, 20. Juli 2011

Noctambule II: Eine schwere Entscheidung

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Amanda kam mit einem kleinen Lächeln im Gesicht zu ihr an das Bett. Sie schnaufte heftig vom mühsamen Erklimmen der Treppe und fächelte sich Luft zu.
"Na, Frechdachs? Wie fühlst du dich?" fragte sie zwinkernd. Anya wagte ein kurzes, freudloses Lächeln.
"Hat Lucia Euch bereits berichtet?" lautete ihre Gegenfrage. Amanda nickte und setzte sich auf die Bettkante. Ihre Hand tätschelte Anyas Arm durch die Decke hindurch.

"Das hat sie. Mach dir mal keine Gedanken, das bekommen wir schon hin!" Ihre Stimme hatte einen burschikos-mütterlichen Klang, mit dem sie Anya Mut zusprechen wollte. Aber Anya seufzte wieder.
"Das sagt Ihr so einfach." meinte sie. Amanda lächelte erneut.
"Einfach wird es sicherlich nicht. Aber du schaffst das. Wir schaffen das, wenn du meine Hilfe annehmen willst." Anya riss die Augen über dieses Angebot auf. Madame warf sie tatsächlich nicht hinaus! Amanda lächelte über das Staunen in Anyas Gesicht und legte den Kopf fragend schief.
"Überrascht dich das denn?" Anya nickte sofort.
"Aber ja! Ihr hättet keinen Grund, mir noch mehr zu helfen, als Ihr es schon getan habt." meinte sie bescheiden. Madame lachte leise und tätschelte Anyas Wange.
"Ich bin eben so." wich sie aus und erhob sich wieder.
"Morgen werden wir eine Spazierfahrt unternehmen. Vielleicht treffen wir ja auch Lechaivre und erfahren etwas mehr über Miriam. Das macht mir schon Sorgen. Ist es nicht schrecklich? An einem Tag wurde die ganze Familie Moureaux zerstört. Furchtbar." Anya erstarrte und sah Madame schweigend an. Das waren gleich mehrere Schrecken auf einmal. Sie hatte noch keine Ahnung, wie sie Madame davon abhalten konnte, sie tagsüber auszuführen. Sie wollte weder Lechaivre in die Hände fallen, noch dem Tageslicht ausgesetzt sein. Das war unmöglich! Außerdem hatte Anya in ihrem eigenen Kummer völlig vergessen, dass Miriam in Gefahr zu schweben schien.
Madame beugte sich über sie und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn.
"Heute bleibst du einfach noch liegen. Meine Köchin wird dir nachher eine Suppe rauf bringen lassen. Und morgen sieht die Welt schon wieder besser aus!" meinte sie fürsorglich und wendete sich zum Gehen.
"Ich für meinen Teil bin müde. Ich habe heute Schmerzen. Das Regenwetter macht mich wahnsinnig." meinte sie. Mit einem grüßenden Wink verließ sie das Zimmer wieder und Anya schnaufte durch. Kurz überlegte sie, was wohl geschehen würde, wenn man ihr die Suppe brächte und sie wäre nicht da. Wahrscheinlich würde man einen abendlichen Spaziergang vermuten.

Ihr Entschluss reifte heran. Entweder musste sie ihr Kind alleine groß ziehen oder aber sie würde Schutz suchen. Es gab nur einen, der ihr diesen Schutz bieten konnte. Während sie schwanger war, konnte sie sich keine Verletzung durch wehrhafte Beute erlauben.
Die erste Zeit würde es sicher noch gehen, aber mit einem dicken Bauch würde es schwer werden. Der Gedanke, ihn wieder zu sehen, ließ sie vor Ekel schaudern. Mühsam riss sie sich zusammen. Sie durfte jetzt nicht mehr an sich selbst denken. Jetzt war es an der Zeit, für das Kind zu denken und die Zähne zusammenzubeißen. Alles Weitere würde die Zukunft bringen. Jetzt aber brauchte sie erst einmal eine Stärkung.

Entschlossen kletterte sie wieder aus dem Bett und suchte im Schrank ihres Zimmers nach Kleidung.
Das Einzige, was sie fand, war ihr langer Umhang mit der Kapuze, den man gereinigt und getrocknet hatte. Die restliche Kleidung war auf Geheiß von Madame Dubrés verbrannt worden.
Seufzend zog sich Anya ihr Nachthemd wieder an und warf sich den Umhang über. Wenn sie ihn schloss, würde man im Dunkel nicht so leicht erkennen, was sie darunter trug. Dass sie noch immer keine festen Schuhe besaß, konnte sie im Moment auch nicht ändern. Sie band sich ihre langen Haare zu einem strengen Zopf zusammen und öffnete ihr Fenster.
Ein kurzer, abschätzender Blick zeigte ihr, dass sie ohne weiteres wieder durch das Fenster hineinklettern konnte. Zu hoch war das ganze auch nicht und so kletterte sie auf den Sims, zog das Fenster hinter sich wieder zu ohne es ganz zu schließen und sprang hinunter auf den Rasen.
Draußen sah sie sich noch einmal um. Es tat ihr leid, Madame so wortlos zu verlassen nachdem diese ihr jede Hilfe angeboten hatte. Aber hier konnte sie einfach nicht bleiben.

Während sie blitzartig mit flatterndem Umhang durch den hinteren Park des Hauses in der Dunkelheit verschwand, quälte sich Armand auf der anderen Seite des Hauses mühsam aus dem Gebüsch. Seine Kleidung war durchnässt und schmutzig. Aber sein Bein hatte sich bereits genug erholt, um wenigstens leicht belastet werden zu können. Noch wollte er es schonen und so humpelte er mühsam die Einfahrt hinauf auf die Straße, um nach Hause zu kommen.

1 Kommentar:

  1. Amanda, die bisher so berechnend und fast schon kühl daher kam, hat auf einmal eine menschliche, ja gar zärtliche, Seite. Das finde ich so süß irgendwie. Die dicke alte Dame, die sich um ein verlorenes mädchen kümmert.

    Und ein wenig vermute ich ja, dass sie selbst vielleicht auch mal ein ähnliches Schicksal erlebt oder zumindest direkt miterlebt hat, so dass sie weiss, was das bedeutet. Aber das ist nur Spekulation.

    Aber raus aus dem Haus muss sie, ehe es noch mehr Verwirrungen gibt. Oder ob Amanda nach dem armen Ding suchen lässt? Schließlich will sie nicht, dass eine schwangere mutterseelenallein durch Marseille hüpft.

    Soo und jetzt geht das blöde Huhn nach hinten raus? Ich wusste es doch! Und der arme Armand liegt vorne.

    Und zu wem will sie nun? Wer soll derjenige sein, der ihr Schutz bieten kann, vor dem sie sich so ekelt? Das kann doch nicht dein Ernst sein? Sie will zu George? Sie lässt sich für die Schwangerschaft lieber von George beschützen, als noch ein einziges Wort mit Armand zu reden?

    Blödes Gefühlschaos.

    Liebe Grüße
    Joe

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