Dienstag, 12. Juli 2011

Noctambule II: Rückblick - Mundraub

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II



Jetzt erst begriff die Novizin, dass sie einen anderen, viel größeren Mann vor sich hatte und blickte wild zwischen beiden Männern hin und her. Wimmernd presste sie sich nun an Armand, der sanft den Arm um sie legte.
"George." knurrte er dunkel und senkte den Kopf wie ein wütender Stier. George, wie immer mit höhnischer Ironie, machte einen tiefen Kratzfuß und zupfte sein Halstuch zurecht, das wie seine restliche Kleidung mehr als derangiert war.
"Die Welt ist zu klein für uns beide." seufzte George übertrieben. "Stets zu Diensten, mein lieber Armand. Wobei.. im Moment eher nicht, ich bin beschäftigt, wie du siehst. Dürfte ich dich bitten, mir die junge Dame zu reichen?"

Sein Ton war eine groteske Imitation höfischer Anbiederei und stand in heftigem Widerspruch zu seinen wild aufblitzenden Augen. Armand spürte das Zittern des Mädchens und schüttelte den Kopf, wobei er sie leicht hinter sich schob. Ihre kleinen Hände klammerten sich wie ein Äffchen an sein Hemd.
"Tut mir leid George. Wie du weißt bin ich ein Gegner von deiner Art zu jagen." erklärte er ruhig. George breitete lächelnd die Arme aus und ließ sein Gebiss aufblitzen.
"Ach komm schon! Das ist mein Essen und du begehst gerade Mundraub! Das gehört sich nicht!" Armand versuchte, das schluchzende Wimmern hinter sich zu überhören.
"Hol sie dir. Sie ist direkt zu mir gelaufen, ich habe dir nichts geraubt." Armands Stimme war leise und sehr dunkel geworden. Mit einer bestimmenden Bewegung löste er die Fäuste aus seinem Hemd und drückte das Mädchen an den Baum hinter sich, wo sie mit hysterischem Schluchzen herunter sank. Seine ganze Konzentration lag auf George, denn er rechnete jederzeit mit einem Angriff.
Doch George schien abzuwägen. Einige Sekunden lang wanderte sein Blick zwischen der Novizin und seinem Feind hin und her, dann breitete er erneut die Arme aus.
"Achwas, ich gönne sie dir. Nur dürfte der Genuss nicht mehr ganz so hoch sein, weißt du. Ich habe schon mit ihr gespielt." erklärte er fast entschuldigend. Armand knurrte.
"Das ist nicht zu übersehen." Das Lachen von George triefte vor Hohn, während er sich langsam rückwärts bewegte. Offensichtlich traute auch er seinem Gegenüber nicht.
"Wir sehen uns, mein Freund. Wir sehen uns bald." meinte er und verschwand zwischen den Bäumen.
Verächtlich schnaubend blickte Armand ihm hinterher, bis er sicher sein konnte, dass George verschwunden war. Für einen kurzen Moment öffnete er sich sogar, denn nun gab es keinen Grund mehr, sich zu verstecken. Sofort schlug ihm die Präsenz seines Erzfeindes entgegen. George hatte noch immer nicht gelernt, sich zu verschließen.


"Heilige Mutter Gottes, gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! Heilige Mutter, verzeih mir Sünderin, verzeih meine Schande und mein Unvermögen, deinem Sohn nicht die Treue gehalten zu haben. Ich flehe dich an, nimm meine Reue und bete für mich Sünderin, jetzt in der Stunde meines Todes…"
Wieder und wieder betete Elsbeth stumm vor sich hin, nicht in der Lage, ihren zitternden Körper zu kontrollieren. Sie rutschte an dem Baum herunter, weil ihre Knie zu weich waren und ihre Beine sie nicht mehr halten konnten.
Die schlimmste aller Sünden war ihr widerfahren und ihre Angst, nun von ihrem Herrn und Gott verschmäht zu werden, war übermächtig.Ohne zu verstehen, was vor ihr gesprochen wurde, sah sie den riesenhaften Mann mit den schwarzen Haaren und den riesengroßen Händen vor sich und erkannte auch den, der sie so schrecklich geschändet hatte. Sein Lächeln war die Fratze des Teufels und sein Gebiss dämonisch.
Sie konnte das Gesicht ihres Retters nicht erkennen, doch seine Haltung sprach für Abwehr und Bereitschaft, sie zu verteidigen. Sie bewunderte den Mut dieses Mannes und die Tapferkeit, die ihn daran zu hindern schien, nicht in Panik wegzurennen bei dem Anblick des Teufelssohnes. Elsbeth war noch immer fassungslos.
Ihr Körper schmerzte in jeder Faser. Jede Bewegung, jeder Atemzug erinnerte sie daran, was dieser Mann ihr angetan hatte. Sie hatte geschrieen, als sie die schrecklichen Zähne erkannt und noch einmal, als er ihre Jungfernschaft zerbrochen hatte. Danach war sie in apathische Lethargie verfallen und hatte ihre eigene Schändung wie durch einen Nebel erlebt.
Doch dann war er aufgestanden und hatte sich ein Stück entfernt wieder seine Kleidung geordnet. Er sprach mit ihr, ohne sie anzusehen, doch Elsbeth hatte ihn nicht verstanden. Ein langer, hoher Ton hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt, der alles zu übertönen schien. Doch seine abgewandte Haltung hatte auch ihren Lebenswillen wieder geweckt.
Vorsichtig war sie auf alle Viere gegangen, dann in die Hocke und schließlich einfach losgerannt. Sie hatte nicht mehr sehen können, wie sein Kopf sich langsam in ihre Richtung drehte und sein Grinsen sein Gesicht zu einer bösen Grimasse verzerrte. Und sie hatte auch nicht geahnt, dass George nun sein Lieblingsspiel wieder aufnahm und sie noch ein wenig hatte jagen wollte.

1 Kommentar:

  1. Die Rettung eines Menschen Mundraub zu nennen ist schon fast befremdlich. Auch wenn es in der Situation schon fast stimmt. Aber, lieber George, damals war Mundraub nicht strafbar.

    Lässt George jetzt tatsächlich von dem armen Ding ab? Kann Armand sie beeinflussen und sie die Schändung vergessen machen?

    Was wird er nun machen?

    Und wie kann Elsbeth das wieder gut machen? Kann man soetwas damals schon beichten?

    Das Mädchen hat es wirklich nicht leicht von jetzt an. Aber dennoch: einmal mehr finde ich die Shizophrenie in vampirischen Verhalten äußerst charmant.

    Liebe Grüße
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.