Freitag, 21. Januar 2011

Noctambule: Rückblick - Freunde unterwegs

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Ungarn 1319

Sergej und Armand führten ein Leben wie unzertrennliche Brüder. Zwar war Armand der Größere, aber Sergej in allem der Ältere. Ungarn gefiel allen Beiden ausnehmend gut. Zum einen herrschte hier bereits ein schrecklicher Aberglaube, der unglaublichen Spaß machte und der Beute das Adrenalin herrlich hoch dosiert ins Blut jagte.
Die Angst vor Vampiren war hier allgegenwärtig. Arme Kinder mit Zahnfehlstellungen wurden ertränkt, weil man in ihnen einen Vampir vermutete. Überall hingen Knoblauchstränge, die Vampire von den Eingängen fern halten sollten. Armand und Sergej nahmen sich gerne welchen mit zum Kochen, was Sergej mit Leidenschaft betrieb. Immer wieder probierte er neue Rezepte aus, einfach weil gutes Essen den Gaumen erfreute.


Aus Rosendornen gefertigte Kreuze sollten Vampire fernhalten. Tote wurden mit Sensen am Hals begraben, damit sie – sollten sie als Vampire auferstehen wollen – sich bei aufrichten selbst köpften. Kränze aus Weißdorn wie bei Jesus am Kreuz machten Vampire angeblich orientierungslos und reines Silber sollte sie töten können.
Zweimal schon hatten sie aus Gaudi ein Opfer gebissen und weiterleben lassen, um die Angst zu schüren. Natürlich hatten sie für typische, tiefe Bissmerkmale gesorgt und die aufkommende Panik genossen. Und schließlich beschlossen sie, ihre Jagd mit dem Gerücht zu würzen, dass Jungfrauen besonders beliebte Beute waren. Es erhöhte den Reiz, unerkannt eine wohlbehütete Jungfer zu erwischen. Und natürlich teilte man sich auch diese Beute brüderlich, nachdem die Jungfer ihr höchstes Gut verloren hatte und willig nach körperlicher Erlösung bettelte.
Nur selten erwischte Armand eine melancholische Stimmung, in der er sich einsam und unverstanden fühlte. Dieses Leben war nicht das, was er sich damals als junger Steinmetz erträumt hatte. Einhundertdreißig Jahre lang fristete er nun sein blutiges Dasein. Seit Ewigkeiten hatte er jeden Kontakt zu alten Bekannten verloren. Nicht einmal George war wieder aufgetaucht.
Die Erinnerung an Adaliz wollte einfach nicht verblassen. Stets weckte sie einen tiefen Groll, aber auch Trauer in ihm. In solchen Nächten pflegte Armand lange schweigend am offenen Fenster zu stehen und gedankenverloren in die Nacht hinauszuschauen. Sergej kannte diese Stimmungen inzwischen und sie beunruhigten ihn selten. Manchmal aber zerrte er Armand einfach mit auf einen Streifzug, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
In dieser Nacht folgte Armand seinem Freund mit einer seltsamen Mischung als schlechter Laune und Aggression. Heute würde ein kräftiger Mann sein Opfer sein. Jemand, der versuchen würde sich zu wehren. Er wollte eine Herausforderung. Und er suchte sie wie so oft in einer der kleinen Dorfkneipen.
Beide verschmolzen in den Schatten des alten Hauses neben dem hell erleuchteten Fenster. Die Kneipe war ungewöhnlich gut besucht, dichte Qualmschwaden waberten im Raum von Pfeifen und billigem Tabak. Ein Dunst von schwerem Alkohol lag im Raum. Armand war unzufrieden. Die Männer hier hatten alle schon viel zu viel getrunken. Der Alkohol im Blut war unbekömmlich für ihn und wirkte wie Gift, das ihn tagelangen Qualen aussetzte. Oft genug saßen hier aber auch Männer, die nur ein Bierchen tranken und danach ins Bett gehen wollten. Diese Männer wussten oft noch nicht, dass sie ihr letztes Bier genossen.
Hier schien die Ausbeute gering zu sein. Sie würden weiterziehen müssen. Aber ihr feines Gehör hatte beide auflauschen lassen und hielt sie im dunklen Schatten fest. Ein Reisender hatte mit seinen Geschichten die Männer um sich geschart. Wie es schien, war er durch die tiefsten Täler des Mittegebirges gereist und pries Gott und alle Erzengel, dass er noch am Leben war.
Lautstark trauerte er seinen Reisegefährten hinterher, die einer nach dem anderen verschwunden waren und berichtete von entsetzlichen Schattenwesen, flink und lautlos wie Fledermäuse, mörderische Gestalten, die in der Lage waren ihre Form zu verändern und über unglaubliche Kräfte verfügten. Aufmerksam warfen die Beiden sich einen langen Blick zu und lauschten weiter.

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